Eine Münze für Anna. Anne Gold

Eine Münze für Anna - Anne Gold


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tust du das?»

      «Was?»

      «Du weisst, was ich meine.»

      «Weil es mir Spass macht.»

      «Einem mürrischen Politiker die Termine zu organisieren, stundenlang auf ihn zu warten und den ganzen Tag seinen Gemütsschwankungen ausgesetzt zu sein? Ich kann mir weit Besseres für eine intelligente, attraktive Dreissigjährige vorstellen.»

      «Achtunddreissig.»

      «Das ist keine Antwort.»

      Nicole stieg in den Mercedes, Christ setzte sich auf den Beifahrersitz.

      «Ist es ein Affront, wenn wir nicht am Leichenmahl teilnehmen?»

      «Das ist es. Aber es wird keiner wagen, darüber ein Wort zu verlieren.»

      «Und die Kinder?»

      «Die kennen dich besser, als du dich selbst. Tina lässt dir ausrichten, dass es in Ordnung ist, wenn du nicht erscheinst. Sie versteht es.»

      «Die Teilnahme so vieler Menschen entsprach absolut nicht meinem Wunsch nach einer Beisetzung im engsten Familienkreis.»

      «Ja, leider. Da unsere Telefone in den letzten Tagen heissliefen, war ich darauf vorbereitet.»

      «Deshalb auch der Lautsprecher ausserhalb der Kapelle.»

      «Genau. Es war eine würdige Abdankung. Florian war sehr gut … Ich musste weinen.»

      «Das heisst viel.»

      «Das letzte Mal weinte ich beim Tod meines Bruders. Nach Hause?»

      «Du schuldest mir noch eine Antwort.»

      «Mir macht es wahnsinnig Spass, dein Sekretariat zu leiten.»

      «Aber das genügt dir doch nicht auf lange Sicht.»

      «Überlass das getrost mir. Für die nächsten Tage habe ich alle Termine abgesagt.»

      «Und das gab keine Probleme?»

      «Nein, das heisst, nur dein schmieriger Parteifreund war uneinsichtig.»

      «Du magst Ingo nicht besonders, stimmts?»

      «Korrekt. Ich sehe ihm seine perversen Gedanken förmlich an. Wenn er mich einmal, nur ein einziges Mal berührt, geht er durch die Hölle.»

      «Was will er?»

      «Das verschwieg er. Es sei ungeheuer dringend. Der Kerl kann ganz schön nerven.»

      «Wann?»

      «Morgen, um zehn. Wenn du willst, vertröste ich ihn auf den Nachmittag oder auf Donnerstag. So dringend wird es wohl nicht sein.»

      «Schon gut. Ich will hören, was Ingo so dringend unter den Nägeln brennt.»

      «Was war das für eine Münze?», fragte Nicole.

      «Über diese Münze lernte ich Anna kennen. Ich vertrat als junger Anwalt eine Firma in einem Arbeitsprozess.»

      «Eine Tochterfirma deines Vaters?»

      «Nein. Die ersten Sporen verdiente ich mir in einer kleinen Kanzlei ab. Ein KMU entliess einen Mitarbeiter fristlos in seiner Zweigstelle in Lörrach, weil er angeblich die Portokasse geplündert hatte. An und für sich eine Lappalie, doch der Entlassene zog vor Gericht. Als ich den Mann sah, wusste ich, dass ich mir den Weg nach Lörrach hätte sparen können. Das war kein Dieb. Der Richter kanzelte mich als Vertreter des KMU grausam ab. Zu Recht. Und so kroch ich mit meiner Schlappe gebeutelt zum Parkhaus, ohne Kleingeld und plötzlich ging die Sonne auf. Eine wunderschöne Frau half mir mit einer Münze aus.»

      «Anna.»

      «Ja. Wir verliebten uns auf den ersten Blick. Es war Schicksal. Die Münze habe ich dann gar nicht benötigt, denn während wir uns unterhielten, kam der Beklagte und entschuldigte sich bei mir für die beleidigenden Worte des Richters. Ich könne ja nichts dafür. Er lud Anna und mich zum Kaffee ein und versorgte mich mit Kleingeld für die Parkgebühren. Annas Münze behielt ich als Erinnerung an unsere erste Begegnung.»

      «Und jetzt liegt sie auf ihrem Grab.»

      «Sie wird sie mir zurückgeben, wenn wir uns wieder treffen.»

      «Ich dachte im ersten Moment an die griechische Mythologie.»

      «Den Fährmann Charon, der die Toten gegen einen Obolus über den Acheron ins Reich des Hades fährt?»

      «Exakt. So, wir sind da.»

      «Kommst du noch auf einen Kaffee mit rein?»

      «Natürlich.»

      Nicole gab Hannah, der Hausdame der Familie Christ, zu verstehen, dass Markus einen Augenblick allein sein wollte, und zog sich mit ihr in die Küche zurück. Gedankenversunken setzte sich Markus an seinen Lieblingsplatz mit Sicht auf den Garten und den Swimmingpool. Wo ich hinschaue, erinnert mich alles an Anna. Als sie noch lebte, war mir das nie bewusst. Schon seltsam. Erkennt man wirklich erst, was man hat, wenn es bereits verloren ist? Vielleicht hat es etwas mit Glück zu tun, dass alles, was wir haben wollen, wir entweder nicht bekommen oder es uns genommen wird. So ein dummer Spruch oder steckt womöglich ein Funke Wahrheit darin? Anna, du fehlst mir so. Schaue ich in den Garten, sehe ich, wie du die Hecken schneidest, den Rasen mähst, um danach über die Gartenarbeit zu stöhnen. Meinen Vorschlag, für die schwere Arbeit einen Gärtner zu engagieren, winktest du jedes Mal aufs Neue ab. Das war Teil unseres Rituals. Der Garten war dein Reich. Nicht einmal unsere Kinder durften es wagen, in deinem Königreich zu wildern.

      «Kaffee oder etwas Stärkeres?»

      «Einen Whisky mit wenig Eis, bitte.»

      «Kommt sofort.»

      Wohin ich schaue, ich erwarte, dass Anna im nächsten Moment durch die Tür tritt und das Zimmer mit Leben füllt. «Du hast jeden Raum mit Sonne geflutet, hast jeden Verdruss ins Gegenteil verkehrt. Nordisch nobel, deine sanftmütige Güte, dein unbändiger Stolz. Das Leben ist nicht fair.» Wie recht Herbert Grönemeyer mit diesen Zeilen hat. Es ist, als hätte er sie für Anna geschrieben. Ich muss mich daran gewöhnen, dass ich allein bin. Irgendwie. Irgendwann. Zu Hause in dieser riesigen Villa sind der Schmerz und die Einsamkeit am grössten. Wie konnte das nur so enden? Anna, du fehlst mir so sehr! Wir verbrachten eine wunderschöne Zeit, wurden vom Glück verwöhnt. Drei wunderbare Kinder bereichern unser Leben und ehrlich, sie sind das Beste, was uns je passierte. Auch Geld spielte nie eine Rolle, es war einfach da. Diese finanzielle Unabhängigkeit hat unseren Alltag sehr erleichtert. Ich würde dem Spruch «Geld macht nicht glücklich» nie und nimmer zustimmen. Wir waren es, nicht zuletzt wegen unseres Vermögens. Am Anfang tat sich Anna schwer mit unserem Stand. Verständlich, wuchs sie als unerwünschtes Kind im Waisenhaus auf. Hinzu kam erschwerend, dass meine Mutter ihr offen zeigte, dass sie keine standesgemässe Partie für ihren Sohn war. Anna konnte sich bemühen, wie sie wollte, sie stiess auf totale Ablehnung. Der Tanz auf dem Vulkan dauerte ganze zwei Jahre.

      «Hier Whisky mit wenig Eis.»

      «Danke. Ich weiss nicht, ob ich in der Villa bleibe. Jede Kleinigkeit erinnert mich an Anna. Ich könnte dir über jedes Möbelstück, sogar über die Kissen und den Teppich eine Geschichte erzählen. Eben musste ich an ihren zwanzigsten Geburtstag denken.»

      «Ihr wart lange zusammen. Was war am Zwanzigsten?»

      «Paps lud uns ins Stucki ein und der Horror begann. Ich wollte die Einladung ausschlagen, weil ich ahnte, was passiert. Meine Mutter war eine schwierige Person. Leider tat ich es nicht, vermutlich war ich zu wenig aufmüpfig.»

      «Du scheutest wohl die Konfrontation mit deiner Mutter.»

      «Ja, bestimmt. Sie war sehr dominant, ich konnte ihr nicht auf Augenhöhe begegnen.»

      «Was ist an dem Abend passiert?»

      «Anna freute sich riesig auf das Essen und interpretierte die Einladung als Zeichen dafür, dass sie endlich akzeptiert sei. Die Freude


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