Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein
er sich ständig zu wahren und zu wehren, und der Zauberer muß bald die günstigen Geister zur Hilfe herbeirufen, bald die bösen durch Beschwörung und Tanz und Rasseln mit allen möglichen Dingen vertreiben und wenn möglich zurück auf den Feind lenken. Wie schon der Römer halb Sklave seiner dies fasti und nefasti, seiner Träume und Ahnungen, aller Vorfälle und Erzählungen war, so ist das in noch viel höherem Grade der Naturmensch. Überall sieht dieser die Hand unheimlicher Mächte. Das gilt vielleicht nicht für alle Naturmenschen, aber sicher weitaus für die meisten. Selbst Beduinen sind der Ansicht, daß Menschen von Geistern im Traume erschlagen werden können. Und „von bösen Geistern Besessene“ kennt das Altertum, das ganze Mittelalter und ein gutes Stück der Neuzeit. Dieses zu besprechen ist unerquicklich, und um so unerquicklicher, als beim Naturmenschen alle Mittel angewendet werden, den Besessenen zu heilen, vom bösen Geist zu befreien, bei uns aber, in unsinnigem Aberglauben, zuletzt die Heilung in Ertränken und Verbrennen der Unglücklichen gesehen wurde.
13. Höhere Anschauungen bei Naturvölkern; Naturreligionen, Naturmythen.
Indem der Naturmensch alles mit Geistern erfüllt, läßt er auch Himmel, Sonne, Mond, Gestirne, Erde, Meer, Flüsse, Quellen, Wolken, Wälder nicht von Geistern frei. Diese besonderen Geister aber haben für ihn nur zeitweise perniziöse Bedeutung, im allgemeinen jedoch spenden sie ihm Wohlleben. Sie treten so nun aus der Reihe der übrigen Geister heraus. Und sie sind es, aus denen sich allmählich die Naturreligion entwickelt. Vor allem der Himmel, als der Ort der Himmelskörper, dann Sonne, Wetter und Erde gewinnen mehr und mehr an Bedeutung. Und indem sie für ganze Völker und Länder entscheidend sind und auf lange Zeiten, werden sie mit den vornehmsten Geistern bevölkert. Aber dieser Prozeß geht langsam vor sich. Und eigentlich muß der Pandämonismus schon bis zu einem gewissen Grade abgeklungen sein, wenn jene höheren Mächte hervortreten sollen. In der Tat haben sie auch bei dem Naturmenschen bei weitem geringere Bedeutung als die unmittelbaren Geister und Dämonen, zumal sie ja ständig sichtbar bleiben und der Mensch so an ihren Anblick gewöhnt ist. Mit ihnen aber beginnt der eigentliche Götterglaube und die Mythologie, die sich dann zuletzt zum Gottglauben steigert. Es ist oft gefragt worden, ob die Wildenstämme schon im Besitz solcher höheren und höchsten Ideen sind. Ich habe schon hervorgehoben, daß bei ihnen keineswegs nur eine Anschauung herrscht, daß ihr Sinnen und Meinen sich vielmehr nach allen möglichen Richtungen wendet. Und so ist es schon zu erwarten, daß, wenn nicht alle, doch einige Stämme außer den unmittelbaren Geistern und Dämonen auch die höheren anerkennen werden, vielleicht den höchsten Geist. Das wird auch vielfach behauptet und durch Beispiele zu erweisen gesucht. Aber es ist mitunter recht schwer, einzusehen, daß dem wirklich so ist. Meist handelt es sich um einen Namen, ohne besondere Angabe der Qualitäten, höchstens unter Bezugnahme auf Schöpfung. Wenn man bedenkt, wie halbselbstverständlich dem Wilden das Wunder ist, begreift man auch, wie wenig die Schöpfung intellektuell für ihn zu bedeuten hat. Sie wird ja oft Menschen übertragen. Frobenius sagt, die afrikanischen Götter hätten dreierlei Ursprung: Geister als vergötterte Ahnen und Herrscher, letztere nicht selten noch zu ihren Lebzeiten. Mystische Gottheiten, die zum Menschen gleichgültig stehen. „Sie entsprossen dem Gefühl, daß neben den von den Afrikanern so sorgsam beobachteten Ausnahmeerscheinungen eine noch unerkannte Regelmäßigkeit in der Natur herrscht; sie sind gleichsam die Personifikation des Rhythmus in der Natur.“ Götter der hohen Mythologie, wie Sonnengötter usf. Eine strenge Scheidung soll es zwischen diesen drei Gruppen nicht geben, sie sollen ineinander übergreifen. Die erste Gruppe kennen wir. Was man mit der zweiten Gruppe anfangen soll, ist nicht recht ersichtlich, zumal sie sich nicht weiter entwickelt hat, wenn wir nicht in die Naturwissenschaft übergreifen wollen. Möglicherweise soll aber auch diese zweite Gruppe gerade zu den Höchstbegriffen führen, dann wäre die dritte Gruppe an die erste anzufügen. Einstweilen können wir in ihr nichts weiter als ein dunkles Fühlen und Ahnen sehen, ohne Namen und Sage, fast die Götter der Mysterien. Ich bekenne, daß ich für diese Götter bei den Naturvölkern keinen rechten Anhalt gefunden habe. Aber Geheimbünde bestehen bekanntlich bei ihnen in reichlicher Zahl, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie Mysterien pflegen wie die Griechen und andere Völker. Wir finden solche Bünde in Nordamerika, Westafrika, den ozeanischen Inseln, in Australien usf., von den Kulturvölkern zu schweigen. Was man von ihrem Tun und Treiben liest, ist freilich kaum geeignet, höhere Begriffe von ihren Geheimnissen einzuflössen; das meiste liegt auf dem Gebiete egoistischer Herrschsucht und der Raub- und Mordgier, auch des bösen Kannibalismus, und ist bei weitem mehr Plage als Wohltat, selbst wenn eine Art Rechtsüberwachung (ähnlich der Fehme) stattfindet. Keineswegs sind diese Mysterien mit den griechischen zu vergleichen, von denen alle alten Schriftsteller mit so hoher Achtung sprechen. Also über die zweite Gruppe weiß ich nichts zu sagen, vielleicht weiß ein anderer mehr.
Die dritte Gruppe wird von Frobenius in mehreren Beispielen behandelt. Aber hier bedarf es mitunter sehr weitgehender Deutungen, um zu höheren Ideen zu gelangen. Nehmen wir einige davon. Schango, bei den Yoruba an der Nigermündung, ist Gott des Donners, Blitzes und Feuers. Er ist Sohn des Meeres (Yemaja); Oschumare, der Regenbogen, ist sein Diener und trägt Wasser von der Erde in seinen Wolkenpalast. Ara, das Donnergrollen, ist sein Bote, Biri, die Finsternis, sein Gefolge. Er hat drei Frauen, die ihm Schnur, Bogen und Schwert tragen. Das alles klingt sehr schön und ganz wie ein hoher Naturmythos. Aber das ist nicht der einzige Mythos von Schango. Nach anderen Mythen stammt er von sterblichen Menschen. „Er war Herrscher in Oyo, der Hauptstadt Yorubas. Er war so grausam, daß Häuptlinge und Volk ihm eine Kalebasse voll Papageieneier schickten mit der Botschaft, daß er durch die Regierungsgeschäfte müde sei und schlafen gehen solle.“ Darüber entsteht ein Krieg; er muß fliehen, alles verläßt ihn, selbst sein Weib. Da hängt er sich auf. Nun erschrecken alle, sie suchen seinen Leichnam und finden eine Kette aus der Erde ragend. Darunter aber hören sie Schangos Stimme. Jetzt bauen sie darüber einen Tempel für Schango als Gott. Und wie Zweifler sagen, Schango sei doch tot, da kommt dieser in einem Gewittersturm und erschlägt die Ungläubigen. Hier ist nichts mehr von hohen Ideen, die Geschichte verläuft richtig fetischmäßig. Noch andere Mythen von Schango stehen nicht viel höher, zumal, wenn man beachtet, was auf S. 16 ff. über die Weltauffassung der einfachsten Naturmenschen gesagt ist. Höchstens eine Art Herrentum nach Art von Mauis erkennt man noch. Eine andere Gottheit ist Hubeane bei den Basuto, hier fehlt eine hohe Sage ganz. Sein Vater war Modimo, „der alles gut erschaffen, nur nicht den Menschen, welcher bald dem Verderben und dem Tode verfiel.“ Hubeane ergeht sich in Nichtswürdigkeiten diesem seinem Vater gegenüber und schlägt ihn sogar. Nun will ihn dieser töten und versucht es mit vergiftetem Brei, durch Meuchelmörder usf. Allen Nachstellungen entzieht sich Hubeane, und zuletzt muß der Vater fliehen. Nach einer anderen Mythe ist Hubeane Sohn eines Weibes, das allein noch übrig blieb, nachdem alle Menschen von einem Ungeheuer verschlungen sind. Er zieht, plötzlich erstarkt, zum Kampf gegen dieses Ungeheuer, wird aber auch verschlungen. Doch weiß er sich zu helfen, denn er schneidet ein Loch durch den Leib des Ungeheuers und schlüpft heraus, hinter ihm her kommen alle Menschen ans Tageslicht. Diese Sage ist in einer anderen, wo Hubeane von einem Schmuck, den er bei der Geburt am Halse schon mitbringt, Litaolane heißt, genauer ausgeführt; namentlich in den Verfolgungen, die er von den durch ihn befreiten Menschen erfährt. So flieht er einmal und verwandelt sich an einem Fluß in einen Stein. Seine Verfolger ergreifen den Stein und werfen ihn an das andere Flußufer hinüber. Dort wird der Stein wieder zu Litaolane, und dieser lacht seine Gegner aus. Die Auslegung, die Frobenius der ersten Sage gibt, meint, Hubeane wird verschlungen = Sonnenuntergang, er kommt wieder ans Tageslicht = Sonnenaufgang. Alle Menschen folgen ihm = erwachen im Schimmer der Morgensonne. Das ist aus Analogien erschlossen. Und alles andere, die Verfolgung durch die Menschen? Man wird gestehen, es ist nicht viel Besonderes an solchen Mythen. Und dabei sagt Frobenius: „Mit Schango und Hubeane haben wir den ganzen Vorrat der unverfälschten Sonnengötter des negerischen Afrika erschöpft.“ Er erzählt dann von dem hottentottischen Heitsi-Eibib, Tsui-Goab, Kauna. Ich kann in allen diesen Erzählungen nur mehr oder weniger törichte Märchen sehen und vermag den Deutungen von Frobenius nicht zu folgen. Nur in einigen Zügen läßt sich etwas Bedeutenderes blicken, wie, daß Heitsi-Eibib durch ein Wasser flieht, das sich vor ihm spaltet, über seine Verfolger aber zusammenschlägt (S. 13), daß Tsui-Goab in einem weißen Himmel über dem blauen Himmel