Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein


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zulässig ist. Doch sei wenigstens hervorgehoben, daß eine Göttertrias, Kane, Ku, Lono, vorhanden ist, die alles schafft, Himmel, Erde, Sonne, Mond, Sterne und Lebewesen. Anderweitig ist Tangaroa oder Taaroa der Weltschöpfer, von dem bei den Marquesasinsulanern das von Moerenhout aufbewahrte Gedicht die höchsten Gedanken äußert:

      Es weilet hier, Taaroa sein Name, in des Raumes unendlicher Leere;

      Keine Erde noch, kein Himmel noch, keine See war da, keine Menschen.

      Von oben herab Taaroa ruft, in Neugestaltungen wandelnd,

      Taaroa, er als Wurzelgrund, als Unterbau der Felsen,

      Taaroa als der Meeressand, Taaroa in weitester Breitung.

      Taaroa bricht hervor als Licht,

      Taaroa waltet im Inneren, Taaroa im Umkreis, Taaroa hienieden.

      Taaroa die Weisheit,

      Geboren das Land Hawaii.

      Und dabei die doch zweifellosen Fetische, Götzen und Geister (Atua). Man muß annehmen, daß neben der Volksreligion, die, wie überall, im rein Konkreten haftet, auch eine höhere Anschauung vorhanden ist, die wenigen zugehört. Auch ist bekannt, daß oft die höheren Stände eine andere Religion haben als die niederen, sogar andere Fetische und Götzen. Und im übrigen stehen die sonstigen Sagen von jenen Göttern keineswegs auf sehr hoher Stufe. Selbst die Sage von Taaroa oder Tangaroa endet nicht sehr hoch. Wie es um ihn hell wurde, rief er den Sand der Küste zu sich. Dieser konnte aber nicht zu ihm fliegen. Dann rief er die Felsen zu sich. Auch diese vermochten es nicht, da sie festgewurzelt seien. Nun steigt er selbst zur Erde, und aus der Muschelschale, in der er bisher gehaust, macht er die Inseln, darauf zeugt er aus seinem Rücken die Menschen, wandelt sich in ein Boot und schwimmt auf dem Meere. Dort verspritzt er im Sturme sein Blut, worauf sich das Meer und die Wolken färben. Zuletzt wird sein Gerippe, „das Rückenbein oben, auf dem Boden liegend, eine Wohnung für alle Götter und zugleich das Vorbild für den Tempel.“ „Tangaroa wurde zum Himmel“, sagt Ratzel in seiner Völkerkunde. Man kann das zugeben, wenn man den Himmel nicht so anschaut wie wir es tun, und wenn man über alle Inkonsequenzen hinwegsieht, da ja ohne Tangaroa schon Land, Meer und Wolken vorhanden sind und man nicht recht begreift, wie dieser Gott da noch zum Himmel werden konnte. Auf Neuseeland ist Tangaroa recht indifferent als Gott der Meere, eigentlich der Tiere darin, und anderweit erscheint er auch als böser Geist, wie der ihm entsprechende Kanaloa. Auf die anderen besonderen Lehren einzugehen ist nicht nötig, nachdem wir die Höhen und die Tiefen kennen gelernt und gesehen haben, wie naiv große Gedanken mit skurrilsten Torheiten bei demselben Naturvolk bestehen können, was wir ja von uns selbst auch rühmen müssen. Auch habe ich weiteres Material schon in meinem mehrmals genannten Buche mitgeteilt.

      Können wir nun sagen, daß die Naturvölker sich bis zu dem Gedanken eines Gottes in unserem Sinne durchgerungen haben, auch wenn wir ihre sonstigen Anschauungen beiseite lassen? Ich glaube, nein! Sie mögen bis zu einer Ahnung von etwas sehr Hohem und Übermächtigem gelangt sein. Einige unter ihnen mögen auch, namentlich unter fremdem Einfluß, bestimmtere Begriffe davon gefaßt haben. Aber im ganzen sind sie nicht einmal zu einem Polytheismus, wie ihn Ägypter oder Griechen hatten, gekommen. Der Omnanimismus und Pandämonismus ist die Grundlage ihrer Anschauungen, und das Bedeutendste ist eine Monolatrie innerhalb jener und innerhalb einer Polylatrie. Bastian selbst, der am meisten geneigt scheint, wenigstens den Polynesiern hohe Begriffe von Gott und Welt zuzuschreiben, meint, daß es sich bei ihnen nicht um Schöpfungen handelt, sondern um Aufblühen von Vorhandenem. Und der ganze Kult, den sie geübt haben und üben, mit allen Albernheiten und Grausamkeiten, ist ein greller Widerspruch gegen jeden höheren Begriff. Man hat zuerst die Anschauungen der „Wilden“ nicht hoch genug stellen können, dann nicht niedrig genug, und jetzt scheint man sie wieder erheblich zu überschätzen. Das erste kam aus Unkenntnis und theologischer Voreingenommenheit, das zweite aus Enttäuschung angesichts der Wirklichkeit, das letzte scheint auf Übertragung des Verhaltens des Naturmenschen unter dem Einfluß der Kultur oder unter dem Auge des Kulturmenschen auf Verhältnisse des isolierten Naturmenschen zu beruhen.

      14. Seele und Jenseits bei den Naturvölkern.

      Wir müssen zu den ursprünglichen Seelenansichten zurückkehren. Die Seele bedingt das Leben des Körpers, außerhalb des Körpers kann sie also nicht anders existieren, denn als lebend. Folglich lebt sie, solange der Mensch oder ein anderes Wesen es zuläßt. Der Mensch kann sie vernichten, indem er sie mit der Behausung, in der sie sich befindet, etwa dem Blut, dem Herzen, der Niere, dem Auge usf. verzehrt. Sie ist dann ganz in ihn aufgegangen, mit seiner Seele verschmolzen oder auch von seiner Seele verzehrt. Aus dieser Ansicht haben viele die Menschenfresserei erklären wollen, entweder, um seine eigene Seele zu stärken, sich zum Fetisch einer verwandten Seele zu machen, oder um schädliche und gefürchtete Seelen aus der Welt zu schaffen. Ein zweites Verfahren beruht auf Vernichtung des Körpers durch tiefes Vergraben oder Verbrennen, solange die Seele noch in ihm weilt, wenn auch nicht mehr aktiv. Ein drittes endlich läßt Seelen verkommen, indem ihnen die Bedürfnisse nicht gereicht werden, deren sie nicht entbehren können, wie Behausung, Speise und Trank. Die Umkehrung bedeutet die Konservierung der Seele, indem für ihre Bedürfnisse ständig gesorgt wird. Die harmlose Form ist, wenn ihr Behausung, Speise und Trank geboten werden. Und wir wissen, daß diese Form, vollständig oder unvollständig, bewußt oder unbewußt, bis weit in hohe Kulturen hinein zur Anwendung gelangt, bei den Naturvölkern aber jeder Seele, die erhalten werden soll, oder die man sich geneigt machen will, unmittelbar geboten wird. Noch klingt es harmlos, wenn dem Toten Gerät und Schmuck in das Grab getan wird, zum Gebrauch für seine Seele, und wenn man die Behausung seiner Behausung auf Erden anpaßt, in Form einer Höhle, einer Hütte, eines Palastes, eines Tempels, wie eben die Seele, da der Körper noch lebte, es gewohnt war. Beispiele sind auf der ganzen Erde verbreitet, von niedrigen Löchern und Hütten bis zu den Prunkbauten und Prunkeinrichtungen bei den Etruskern, Ägyptern, Chinesen u. a. Nun aber wird dem Toten auch Lebendes beigegeben, dessen seine Seele im Leben bedurfte, und hierin kennt die Konsequenz des Naturmenschen keine Grenze, außer dem Egoismus, der ihn hindert, alles fortzugeben. Tiere, Sklaven, Frauen, gefangene Feinde werden, lebend oder vorher getötet, mit begraben oder auf dem Scheiterhaufen mit dem Toten verbrannt. Je höherstehend der Verstorbene, desto umfangreicher diese Gaben; bei dem Tode eines Häuptlings wird Jagd nach Menschen gemacht, um die Gabe so groß als möglich zu gestalten. Mit einer armen Polyxena wie Achill würde sich ein Dahomeerhäuptling nicht begnügt haben, hier ging die Zahl der Schlachtopfer in die Hunderte und mehr. Und wie entsetzlich klingt, was Herodot von den Totengaben bei den Skythen erzählt und was wir auch von Germanen, Slawen, Kelten u. a. wissen. Die Seele sollte möglichst viele Seelen zum Genuß, zur Bedienung und als Gefolge bekommen.


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