Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein
behandelte O-dente von der Goldküste. Der in einer Höhle bei Date wohnende Geist, er hieß zuerst Konkom, war „ein Mann mit nur einem Auge, einem Arm, krebszerfressener Nase und voller Schwären“. Dieser anmutigen Erscheinung immer zu opfern, ohne sie zu sehen, wurden die Leute müde und bei einem Opferfeste griffen beherzte Männer, als ein Arm aus der Höhle sich streckte, die Fleischstücke in Empfang zu nehmen, diesen Arm und zogen trotz allen Wimmerns die Gestalt nach. Aber entsetzt liefen alle davon unter dem Rufe: „Es ist kein gemeiner Mann, in der Tat, es ist ein Gott.“ Völlig entsprechend dem Standpunkte des Naturmenschen! Deshalb unterhandelten sie mit ihm. Er zeigte sich versöhnlich und legte ihnen als Buße auf, alle Früchte auf dem Felde und im Hause zu verbrennen, sie sollten jegliches hundertfältig zurückerhalten. Die Leute taten’s, da war Konkom gerächt, denn er floh von ihnen und eine Hungersnot brach aus. Er begab sich nach Krakye, wurde dort O-Dente genannt, und die Einwohner behielten ihn gerne. Er zog sich wieder in eine Höhle zurück und Krakye wuchs mächtig. Indessen gefiel es ihm dort nicht, er wollte nach Date zurück. Da erstand in diesem Ort ein Weib Koko, das von ihm, O-Dente, besessen wurde und den Datern alles mögliche verhieß, wenn sie O-Dentes Befehle erfüllten. Der Gott zöge dann selbst wieder zu ihnen. Der Gott verlangte Stiere und Rum, verbot dunkelblaues Zeug zu tragen. Ferner sollte niemand nachts mit einem Licht über die Straße gehen, „er könnte vielleicht eines der Kinder O-Dentes sehen, die im Donner und Windesrauschen gekommen, bei Nacht die Stadt durchwandern, sie zu bewachen.“ Nun geschieht ein Menschenopfer, das ich in seiner Scheußlichkeit nicht erzählen mag, und über diesem Opfer wird ein Altar in Gestalt eines Kegels errichtet. Und das geschah nicht etwa vor Jahrhunderten, sondern in unserer Zeit.
Die anderen ähnlichen Gottheiten darf ich übergehen, sie sind übrigens alle unilateral. Woraus zu entnehmen ist, daß sie Sonnengottheiten bedeuten, kann man nicht immer erfahren. Die Angaben bei den Afrikastämmen sind sehr verschieden. Die Namaqua sehen die Sonne für eine Scheibe Speck an, wovon man sich sogar ein Stück abschneiden kann. Demgegenüber nehmen die Madagassen die Sonne als einen strahlenden Körper an. „Sie betrachten sie als die Quelle des irdischen Besitzes, Genusses und aller Fruchtbarkeit.“ Bei den Ewara an der Guineaküste ist Lisa der Sonnengott, seine Frau ist Gleti, der Mond. Sie haben viele Kinder, davon sind die Töchter die Sterne, welche Gleti stets folgen. Wenn Lisa Gleti schlägt, wird diese dunkel, daher die Mondfinsternisse. Carl Peters in seinem Werke „Im Goldlande des Altertums“ behauptet von den Makalanga einen Sonnendienst gleich demjenigen des semitischen Baal. Er sieht bekanntlich im Makalangadistrikt das biblische Ophir. Max Müller hat nachgewiesen, daß dem Sonnendienst vielfach parallel ein Feuerdienst geht. In Afrika scheint dieser jedoch nicht sehr häufig und wesentlich auf die südlichen Stämme beschränkt zu sein. Die Hereros sollen ein heiliges Feuer, Ukuruo, unterhalten, das von einer Tochter des Häuptlings, die den Titel Ondangere führt, gepflegt wird. Also eine Art Vestalinnendienst, der auch ganz dem römischen gleicht. Den Prometheus spielt ein alter König. Das Feuer erhält auch Opfer, und es dient auch um böse Geister zu verjagen.
Bei den Indianern scheint von höheren Ideen etwas vorhanden zu sein, das Frobenius’ zweiter Gruppe der afrikanischen Gottheiten entspricht. Ratzel, in seiner Völkerkunde, sagt: „Wo sich ein hinreichend abstrakter Begriff (nämlich für Gott) findet, deckt er sich doch nur mit ‚Seele‘, ‚Geist‘, ‚schalten‘ oder einfach ‚wunderbar‘. Manitus (der Algonkins) sind zahllose Geister von bekannter Herkunft, die die ganze Natur bevölkern und bald feindlich, bald wohlwollend dem Menschen begegnen.“ Gleichwohl kennen einige Stämme einen höchsten Weltschöpfer, einen Lichtgott, der die Welt für die Lichtmänner geschaffen hat. Die entdeckenden Europäer wurden für diese gehalten. Sonnenkult haben alle amerikanischen Stämme; Ratzel meint, soweit der Ackerbau reicht (wohl soweit Nutzpflanzen gedeihen). Manche verehren auch Mond und Gestirne. Aber nach den Sagen z. B. der Tlinkitindianer, an der Küste von Nordwestamerika, die Krause in seinem Buche über diese Stämme mitteilt, haben sich Sonne, Mond und Gestirne in drei Kästen befunden, die ein Häuptling, der Onkel Yelchs, besaß. Dieser letztere, als Knabe, setzte es durch, nacheinander mit allen drei Kästen zu spielen, öffnete sie, trotz des Verbots des Onkels, und so flogen erst die Gestirne, dann der Mond, zuletzt die Sonne an den Himmel. Und Yelch, wenn auch die Indianer sagen: „So wie Yelch handelte und lebte, so müssen auch wir handeln und leben“, war keine hohe Gottheit. In den vielen Mythen, die Krause von ihm mitteilt, ist die Hauptsache, daß er als Rabe Streiche über Streiche machte. Ob er Rabe war oder nur ein Rabengefieder trug, er fliegt jedenfalls wie ein Rabe und benimmt sich auch ähnlich. Bei anderen Stämmen sind es andere Tiere, die Yelch vertreten, wie Bär, Schildkröte, Spinne. Es ist also doch eigentlich nur höherer Totemismus und Ahnenglaube, der unter dem Einfluß des Christentums eine neue, mehr aufs Ideale gehende Färbung erhalten hat. Der Indianer unterscheidet sich in dieser Hinsicht vorteilhaft vom Neger. Und nun gar die Kulturvölker des alten Amerika; ich möchte nicht wiederholen, was ich in meinem Buche „Die Entstehung der Welt“ ausgeführt habe, und verweise darauf.
Unter den Ozeaniern haben es die Polynesier, trotz der sonstigen auf Fetisch- und Seelenglauben beruhenden Ansichten, zu einigen hohen Ideen gebracht. Die große Begeisterung, die andere ihren Sagen und Mythen entgegenbringen, teile ich nicht, weil selbst in den besten Kindischheit und Barbarei durchscheinen. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, daß manches auf der Höhe griechischer Schöpfungen gleicher Art steht. Schon das Ehepaar Rangi und Papa, so materiell sie aufgefaßt werden, sind doch als höhere, besondere Wesen, Himmel und Erde, gekennzeichnet. Sie sind zuerst eng aneinander geschmiegt, so daß allgemein Finsternis besteht und ihre Kinder von Licht nichts wissen. Die so vergehenden Zeiten, nach Dekaden gerechnet, werden als Wesen aufgefaßt, Po. Jene Kinder heißen Tangaroa, Rongo-ma-tane, Haumia-tiki-tiki, Tane-mahuta, Tawhiri-ma-tea, Tu-matauenga. Von der gewaltsamen Trennung Rangis und Papas habe ich schon gesprochen. Sobald sie getrennt sind, ist es Licht. Von Sonne und Gestirnen wird nichts gesagt. Aber auch die Bibel kennt Licht ohne Sonne, es ist das erste, was Gott schafft. Nun sollte man erwarten, daß die Kinder Rangis und Papas etwas ganz Besonderes sind. Aber nein, sie sind rein irdisch. Grey, dem ich hier folgen darf, als dem wohl bedeutendsten Kenner polynesischer Mythologie, sagt: „Tangaroa bezeichnet (signifies) Fisch jeder Art, Rongo-matane bezeichnet Kartoffel und alles vegetabilisch als Nahrung Kultivierte, Haumia-tiki-tiki bezeichnet Farnwurzel und alles wildwachsende Eßbare, Tane-mahuta bezeichnet Wälder, Vögel und Insekten, die darin wohnen, und alle Dinge, die aus Holz gemacht werden, Tawhiri-ma-tea bezeichnet Wind und Stürme, Tu-matauenga bezeichnet Mensch.“ Damit ist nicht viel anzufangen. Der Realismus geht noch weiter. Der Wind und Sturm ist mit der Gewalttat, die gegen Himmel und Erde, auf Veranlassung des ersten Menschen, verübt ist, nicht einverstanden und rächt Vater und Mutter, indem er seine Brüder überfällt. Alles unterliegt ihm. Nur Tu-matauenga widersteht allein ohne Hilfe seiner Brüder. Nun zieht er über diese her und zehrt alles von ihnen, was irgend eßbar ist, also vom Wald alles Getier, vom Meer die Fische usf., auf. Zuletzt macht er noch Beschwörungsformeln, um sie zu zwingen, den Menschen immer zur Nahrung zu dienen. Und so wird der erste Mensch als Gott bezeichnet, der die Menschen diese Beschwörungen lehrte. Außer diesem Tu-matauenga läßt nur noch Tawhiri-ma-tea, das Wetter, göttlichere Eigenschaft erkennen. Anderweitig ist Tangaroa ein Hauptgott. Die Nachkommen des ersten Menschen sind die Menschen überhaupt. Sie erst haben Menschengestalt, die vier ersten Geschöpfe gleichen Menschen nicht. Rangi und Papa aber bleiben bis jetzt getrennt. Und wenn Papa voll Sehnsucht seufzt, steigen die Seufzer als Nebel zum Himmel, und wenn Rangi um die Geliebte weint, fallen die Tränen als Tau zur Erde; ein wunderschönes Bild. Rangi und Papa sind auch die Wohltäter der Menschen, indem Rangi Hauche, Menschen und Pflanzen zu kühlen, sendet, und Nebel, Tau und Regen und klares Wetter, damit die Pflanzen wachsen. Papa aber läßt die Pflanzen aus ihrem Schoß hervorgehen. Das tun sie, daß ihre Kinder zu essen haben.
Unter den Nachkommen befindet sich der bekannte Maui, mit vollem Namen Maui-tiki-tiki-a-Taranga. Er ist eine Frühgeburt und von seiner Mutter Taranga in die See geworfen (S. 12). Nach polynesischer Ansicht sollte er verderblicher Geist werden und die Menschen quälen, denn Frühgeburten müssen unter Beschwörungen vergraben werden. Er ist es nicht, zeigt aber in seinem Charakter in der Tat auch bösartige Eigenschaften. So tötet er ohne Grund ein junges Mädchen und macht ganze Ernten verdorren. Seinen Schwager verwandelt er aus Neid über dessen Erfolg beim Fischen in einen Hund, so daß seine Schwester