Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein


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selbst in einem geheimen See abgewaschen. Diener bedienen, die sofort der See verschlingt“. Hiernach muß der Wagen ein Kultobjekt enthalten, in dem die Göttin selbst weilt, da sie mit den Sterblichen verkehrt (konversiert, sagt sogar Tacitus) und davon ermüdet. Dieses Objekt erklärt Lippert für einen Fetisch. Daß hier ein weibliches Wesen in Betracht kommt, würde zwanglos aus der auch den Germanen früher bekannten Mutterfolge sich ergeben. Außerdem nahmen die Germanen in die Schlacht effigies et signa mit. Das sind nach Jakob Grimm figurierte Gegenstände, nach Lippert Seelenfetische und Gegenstände, die den Fetischen gehören. Von den von Tacitus ferner noch genannten Gottheiten finden sich Mars und Herkules überall, wo Krieg und Heldengeist herrscht, und Kastor und Pollux vertreten, vielleicht irgendein bemerkenswertes Brüderpaar. Doch weiß man mit diesem letzteren allerdings nichts anzufangen. Auch die Isis wird als von einem Teil der Sueven verehrt angeführt. Der Römer meint, ihr Dienst sei importiert, weil wie bei Isisfesten ein Schiff herumgeführt wird. Aber Jakob Grimm hat schon nachgewiesen, daß Umzüge mit Schiffen in Deutschland noch im Mittelalter geschahen, und er vermutet in Isis eine deutsche Göttin und in dem Schiff etwas Ähnliches wie im Wagen der Nerthus. Lippert weist noch auf das Totenschiff hin (S. 75). Gleichwohl kann man sich der Ansicht Jakob Grimms nicht verschließen, daß, da Tacitus so oft und bedeutend von Gott und Göttern der Germanen spricht, teils allgemeinen teils vaterländischen und häuslichen, dieses, zusammengehalten mit sonstigen Überlieferungen und Überlebseln, bloß einen Naturmenschenglauben nicht erlaubt. „Wie läßt sich,“ sagt er, „alles andere, was wir von der Sprache, der Freiheit, den Sitten und Tugenden der Germanen wissen, hinzugenommen, der Gedanke festhalten, sie hätten, in dumpfen Fetischismus versunken, sich vor Klötzen und Pfützen niedergeworfen und ihnen rohe Anbetung erwiesen?“ So niedrig meint es Lippert ja auch nicht, der Seelen- und Ahnenglaube kann sehr wohl mit einer geläuterten Ansicht von Welt und Leben bestehen. Und der Götterdienst der Germanen und die Totenbräuche bei ihnen waren keineswegs sehr harmlos; und letztere sind durchaus, wofür Jakob Grimm selbst viele Beispiele beibringt, auf naturmenschliche Anschauungen von der Seele begründet. Also werden wir wenigstens einen Einschlag von Seelen- und Ahnenglauben, und auch von Fetischismus (Lippert führt mehrere Beispiele an von Bäumen, denen selbst Opfer dargebracht wurden), in der Religion der Germanen nicht von der Hand weisen können. Wir wissen ja, daß z. B. die Franken, selbst nach Annahme des Christentums, noch Menschen beim Übergang über den Po geopfert und in diesen Fluß gestürzt haben, und ähnliche aus dem Seelen- und Fetischglauben fließende Greuel werden noch manche erzählt.

      Von dem großen nordisch-germanischen Göttersaal ist nicht gesprochen. Daß er zum Teil auch den eigentlichen Germanen bekannt gewesen ist, darf nicht mehr bezweifelt werden, obwohl die Erzählungen der Edda sehr deutliche Spuren fortgeschrittenerer Kultur und Weltkenntnis, sowie des Einflusses des Christentums an sich tragen. Die nordischen Mythen verstärken den Eindruck, daß die Gesamtgermanen zwar eine höhere Naturreligion gehabt haben, etwa im Sinne der Griechen und Ägypter, daß aber auch viel Naturmenschliches vorhanden war. Von den Menschenopfern bei den Skandinaviern erzählt Adam von Bremen (elftes Jahrhundert) nach den Mitteilungen eines Swen Ulfsson, der sich zwölf Jahre an dem Hofe des Schwedenkönigs aufgehalten hat. Im Hain am Tempel zu Upsala, der Odin, Thor und Freyr geweiht war, hingen mitunter 70 und mehr geopferte Menschen neben Hunden und anderen Tieren. Von diesem Hain sagt der Genannte: „is enim locus tam est sacra gentilibus, ut singulae arbores ejus ex morte vel cibo immolatorum divinae credantur.“ Also man hielt die Bäume wegen der Opfer oder der Opferspeise für göttlich (geheiligt). Die Götter wurden mit Blut versöhnt, die Priester hießen auch selbst Götter: Goda, Dior, Asar, Anses; gleich lebenden Fetischen. Heilige Haine gab es überall, wie auch sonst auf der Welt, einzeln und in der allerverschiedensten Zusammensetzung. Der feste Glaube der Skandinavier, nach tapferem Leben in Walhall das freudigste Dasein bei Trunk, Speise und Waffenspiel fortzusetzen, ist bekannt. Doch muß auch ein Leben der Toten in den Gräbern angenommen worden sein. In dem Harbardslied der älteren Edda, in dem Thor vom Fährmann Harbard (Graubart) so sehr verspottet wird, fragt Thor seinen Quälgeist, woher er solche Spottreden habe, und Harbard antwortet: „Ich lernte sie bei Männern, bei jenen uralten, die in den Heimatshügeln wohnen.“ Da höhnt Thor: „Wie gibst du den Gräbern anmutige Namen, daß du sie Heimatshügel nennst.“ Totenbeschwörung wurde viel geübt. Im Hyndlalied ruft Freia die Vala Hyndla aus dem Grabe hervor, daß sie ihr wahrsagen solle. Richard Wagner hat daraus wohl den Gedanken zu der stürmisch-gewaltigen ersten Szene des dritten Aktes von Siegfried geschöpft. Zauberei und Hexerei blühten in Skandinavien mehr noch als in Deutschland und müssen sich zuzeiten zu wahrer Kalamität ausgewachsen haben, da mehrere Könige Hunderte von Menschen, die diesen Gewerben nachgingen, verbrennen ließen. Wälder, Berge, Wasser, Höhlen wimmelten von Geistern und Dämonen. Meist waren diese bösartiger Natur. Doch hatte jeder Skandinavier auch einen Schutzgeist (Vätten), einen „Führer“, Fylgior, dessen Bedeutung der des Mannes entsprach. Gleichwohl war das Volk auffallenderweise höchst fatalistisch gesonnen: „gegen sein Schicksal kann sich niemand bewahren“ wird in Liedern unzählig variiert. Das ist nicht naturmenschlich gedacht. Als naturmenschlich aber wiederum muß es bezeichnet werden, wenn die Götter, wie es so oft geschieht, kaum höher gestellt werden als machtvollere Menschen. Odin spricht von sich im Runenliede des eddischen Havamal im gleichen Tone, wie ein Runenzauberer reden würde. Er führt sich ein, wie er an einem Baume (wohl an der Weltesche Yggdrasil) neun Nächte hing, ohne Speise und Trank. Da lernte er Runen und fiel herab. Und dann zählt er alles auf, was er mittelst dieser Runen zu vollbringen weiß: Hilfe gegen Sorgen und Seuchen, feindliche Waffen stumpfen und weichen, Freiheit dem Gefesselten, Leben dem Getöteten usf. Und welch eine Fülle von menschlich Verkommenem unter den Asen und Asinnen enthält das Schmählied Lokis, die Lokasenna in der Edda. Da erscheinen die Götter und Göttinnen niedriger noch als im Nibelungenring; Wagner hat sie noch veredelt. Es scheint, als wenn die südlichen Germanen doch höhere Ideen von ihren Gottheiten besessen haben als ihre nordischen Brüder. Doch hat man oft Lieder wie die Lokasenna als bewußte Begründung zu der so hochtragischen Götterdämmerung angesehen.

      Von den Kelten ist nicht viel überliefert. Cäsar sagt, daß die Druiden das Volk lehren, die Seele gehe nicht unter, sondern fahre nach dem Tode des Menschen in einen anderen Körper. Diodor aus Sizilien erzählt das gleiche, fügt aber noch hinzu: „Daher kommt es, daß bei ihren Leichenbegängnissen einige Leute Briefe, die sie an ihre verstorbenen Väter, Mütter oder Verwandte geschrieben haben, in das Feuer werfen, in der Meinung, daß die Toten diese Briefe lesen würden.“ Cäsar erzählt auch, daß bei Leichenbegängnissen nicht bloß Gegenstände und Tiere, sondern auch Sklaven und Schutzbefohlene mitverbrannt wurden. Die Gallier liehen auch Geld, mit Bezahlung im Jenseits, wo sie also wie im Diesseits lebten. Lucanus, in der Pharsalia, spricht letzteres auch deutlich aus:

      ... Ihr lehret dawider, daß nimmer die Schatten

      Wollen zum schweigenden Erebus hin, auch sähen sie nimmer

      Plutos dämmerndes Land, es beherrsche die Glieder derselbe

      Geist noch in anderer Welt: es steht — wenn euer Gesang wahr —

      In eures Lebens Mitte der Tod. — —

      Das alles ist sicher rein naturmenschlich. Daß die Welt von drei Druiden geschaffen oder aus der Tiefe, auch aus dem Meere heraufgeholt sei, gehört ebenfalls hierher. Was es mit den Gottheiten Teutates, Hesus, Cermunus, Taranis, Belis oder Belenus, Ogmius, Andrate und vielen anderen für eine Bewandtnis hatte, können wir nicht sagen. Cäsar teilt mit, die Gallier verehrten Merkur, Apollo, Mars, Jupiter, Minerva. Damit ist für unsere Zwecke nichts anzufangen. Doch wissen wir, daß sie die Gottheiten aus der Materie hervorgegangen ansahen, und daß sie auch Flüssen, Quellen, Bergen, Bäumen opferten. Und ihr Götterdienst war von solchen Greueln erfüllt, daß Kaiser Claudius, nachdem alle Mittel, ihn zu mildern, gescheitert waren, ihn ganz unterdrücken mußte. Gleichwohl werden die Gallier wenigstens in der Kultur ziemlich hoch gestanden haben, da Cäsar und andere so viel von ihren Städten, Tempeln, Schulen und Kenntnissen mitteilen. Von dem, was die altgälischen Barden erzählen und was wir im Ossian lesen, hat, wegen der mindestens zweifelhaften Originalität, abgesehen werden müssen. Einiges ist übrigens von mir an anderer Stelle vorgetragen.

      Wir sind gezwungen, die Runde durch die Kulturvölker fortzusetzen.


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