Einführung in die Theorie des Familienunternehmens. Fritz B. Simon
nicht (etwa zwischendurch übers Wetter reden). Verschiedene Typen sozialer Systeme – also beispielsweise Familien und Unternehmen – unterscheiden sich dabei (wie Schach und Fußball) durch ihre Spielregeln oder, abstrakter formuliert, durch unterschiedliche Selektionskriterien der Kommunikation.
Daraus resultieren die vielfachen psychologischen Probleme, die sich für Familienmitglieder ergeben, die im Familienunternehmen arbeiten: Sie haben es mit unterschiedlichen Kontexten zu tun, in denen sie als Personen auch unterschiedliche Identitäten haben. Vater und Chef sind, z. B., ganz unterschiedliche Rollen, und die Vater-Sohn-Beziehung unterscheidet sich gravierend von der Chef-Mitarbeiter-Beziehung. Wenn beide Personen mal im einen, mal im anderen Kontext aufeinandertreffen, dann kann es zu Verwirrungen kommen, nach welchen Regeln sich beide zu verhalten haben …
Diese zwangsläufig sehr verkürzte theoretische Darstellung ist hier vorausgeschickt, um einige abstrakte Vorannahmen explizit zu machen, die der hier skizzierten Theorie des Familienunternehmens zugrunde liegen.
1.3 Definition von Familienunternehmen
Was macht ein Unternehmen zum Familienunternehmen? Das Spektrum der Unternehmen, die sich selbst so bezeichnen, ist breit: von der italienischen Osteria, in der Papa in der Küche steht, während Mutter, Sohn und Neffe bedienen, bis zum global agierenden Konzern, der Zigtausende in aller Welt beschäftigt und an dem die Familie nur noch einen Minderheitsanteil an Aktien hält.
Da es keine formaljuristischen Kriterien gibt, die ein Unternehmen zum Familienunternehmen machen, und die Größe nicht als Unterscheidungsmerkmal taugt, ja, offenbar nicht einmal die Eigentumsverhältnisse ausschlaggebend sind, muss es sich um andere, »weichere« Charakteristika handeln, die zur Definition verwendet werden können.
In den letzten Jahren hat sich zunehmend folgende Definition durchgesetzt:
Ein Unternehmen ist ein Familienunternehmen, wenn eine Familie einen maßgeblichen Einfluss auf die Politik des Unternehmens hat (Wimmer et al. 1996, S. 19 f.).
Folgt man dieser Definition, wird deutlich, dass sowohl die Pizzeria an der Ecke als auch Unternehmen wie BMW als Familienunternehmen zu betrachten ist. Klar ist dann ebenfalls, dass dazu auch Unternehmen zu rechnen sind, in denen weder ein Familienmitglied in der Geschäftsleitung tätig ist, noch die Familie als (alleiniger oder Mehrheits-)Eigentümer des Unternehmens zu betrachten ist. Es reicht, wenn ihr politischer Einfluss – durch welche rechtlichen Regelungen (Stimmrechtsbeschränkung etc.) auch immer – gesichert ist.
1Das Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU), Universität Witten/Herdecke.
2Der an den allgemeinen theoretischen Grundlagen näher Interessierte sei auf die Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (Simon 2006) verwiesen.
3Die im Folgenden entwickelten theoretischen Modelle sind in der Zusammenarbeit mit meinen Kollegen Rudolf Wimmer (mit mir Gründungsprofessor des Wittener Instituts für Familienunternehmen) und Thorsten Groth (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut) entstanden. Ihnen sei an dieser Stelle gedankt. Dennoch sind selbstverständlich alle eventuellen Fehler und Fehleinschätzungen allein mir zuzurechnen.
2 Familien und Unternehmen – Unterschiedliche Typen sozialer Systeme und ihre unterschiedlichen Rationalitäten
2.1 Historischer Rückblick
Ein Blick in die abendländische Geschichte zeigt, dass die Unterscheidung zwischen Arbeit und Privatleben relativ jung ist. Im klassischen Altertum gab es zwei Typen eindeutig gegeneinander abgegrenzter Systeme: das Haus (griech. oikos) und den Staat bzw. die Stadt (griech. pólis). Das Haus war zum einen wirtschaftliche Überlebenseinheit (daher der Begriff »Ökonomie«), aber es war auch Lebensgemeinschaft und emotionales Bezugssystem für seine Mitglieder. Zu ihm gehörten nicht nur die Familienmitglieder im engeren, verwandtschaftlichen Sinne, sondern auch Sklaven und Bedienstete. Der Begriff »Familie« (lat. famulus »Diener«) stand in diesem Sinne für das »ganze Haus«, d. h. eine Gemeinschaft, die weit über den Kreis der Blutsverwandten hinausging. Nur als Mitglied solch eines »Hauses« hatte der Einzelne die Möglichkeit zu (über)leben (Mitterauer u. Sieder 1977).
Dieses Modell der Arbeits- und Lebensgemeinschaften findet man heute gelegentlich noch in der Landwirtschaft oder in der Gastronomie, obwohl es auch dort inzwischen sehr selten geworden ist und die Abhängigkeit des Einzelnen von derartigen privat-professionellen Mischformen sozialen Lebens weit geringer ist, als es in grauen Vorzeiten der Fall war.
Dem Haus stand der Stadtstaat (Beispiel: Athen) gegenüber. Er fungierte nach außen als handelnde Einheit gegenüber anderen Staaten (z. B. Sparta), wenn es zum Krieg kam, und nach innen sorgte er für den gesetzlichen Rahmen, der das Zusammenleben der Bürger regelte (etwa durch Institutionen der Rechtsprechung im Konfliktfall).
Seit Beginn der industriellen Revolution kam es zu einer weitreichenden Veränderung der sozialen Strukturen. Die westliche Gesellschaft entwickelte Subsysteme mit unterschiedlichen Funktionen (»funktionelle Differenzierung«), die für eine gesellschaftliche Arbeitsteilung sorgen. Jedes dieser Subsysteme (Wirtschaft, Gesundheitswesen, Erziehung, Wissenschaft, Religion, Kunst, Politik usw.) hat seine eigenen Spielregeln, Institutionen und Organisationsformen entwickelt. Sie haben unterschiedliche Aufgaben und Funktionen zu erfüllen. Eine der Konsequenzen: Sie folgen unterschiedlichen (Zweck-)Rationalitäten.
Abb. 2: Die funktionelle Differenzierung der Gesellschaft und die Bildung unterschiedlicher sozialer Einheiten (diverse Typen von Organisationen, Familie)
Universitäten produzieren wissenschaftliche Wahrheiten, Schulen dienen der Erziehung, Gerichte sprechen Recht, Unternehmen liefern Produkte und Dienstleistungen, Krankenhäuser sichern die Patientenversorgung usw. In der Religion werden Entscheidungen aufgrund anderer Kriterien getroffen als in der Wissenschaft (deshalb ist es ein Risiko für wissenschaftliche »Wahrheit«, wenn religiöse Glaubenssätze festlegen, was als »wahr« zu gelten hat), und im Rechtssystem gelten andere Entscheidungsgrundlagen als in der Wirtschaft (der Grund, warum man – im Idealfall – Urteile nicht kaufen kann: »Vor dem Gesetz sind alle gleich« – ob arm oder reich). Was aus wirtschaftlicher Sicht rational erscheint, kann aus wissenschaftlicher oder rechtlicher Sicht vollkommen irrational sein.
Im Rahmen dieses historischen Ausdifferenzierungsprozesses haben sich auch die Funktionen von Familie und Unternehmen auseinanderentwickelt und mit ihnen die Spielregeln der Kommunikation, die in beiden Typen von Systemen praktiziert werden.
2.2 Zwei Rationalitäten
Glaubt man dem öffentlichen Bild, dann leiden Familienunternehmen darunter, dass die Rationalität ihrer Entscheidungsfindung durch die Irrationalität (= Emotionalität) der Entscheidungsfindung in Familien beeinträchtigt wird. Diese Ansicht äußern oft auch Führungsfiguren von Familienunternehmen – unabhängig davon, ob es sich um Fremdmanager oder Mitglieder der Eigentümerfamilie handelt.
Dass Emotionalität in Familien üblicherweise eine größere Rolle spielt als in Unternehmen (trotz gemeinsamer Betriebsausflüge und Weihnachtsfeiern), ist ja nicht zu leugnen. Aber die Gleichsetzung von Emotionalität und Irrationalität ist abwegig. Untersucht man nämlich die Logik der Entscheidungsfindung in Unternehmen und Familien, so erweist sich, dass beides soziale Systeme sind, die unterschiedliche Funktionen erfüllen und dementsprechend unterschiedlichen