Die Geschichte eines hässlichen Mädchens. Charlotte Peter

Die Geschichte eines hässlichen Mädchens - Charlotte Peter


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dank seines Sprachtalents – er sprach schnell fliessend Spanisch – und dank seiner schlauen Anpassungsfähigkeit zu Geld und Ansehen gelangt wäre, doch er zog es vor, zurück nach Stuttgart zu kommen. Und wiederum war ihm das Glück hold. Er heiratete eine brave Bürgerstochter, die eine halbe Million Goldmark in die Ehe brachte, zeugte fünf Söhne und etablierte sich als Privatier. Einen Beruf ausüben musste er nie, er war einer von jenen Kapitalisten, die Karl Marx nicht leiden konnte, was damals nur von wenigen Revoluzzern verstanden wurde.

      Etwas weniger gut lief es mit den fünf Söhnen. Der Älteste, der meine Grossmutter geheiratet hatte, starb – wie wir wissen – mit 23 Jahren, der Mann der Kellnerin wurde kaum älter, ein dritter Bruder etablierte sich als Landarzt, wäre aber lieber Geigenspieler geworden. Er pflegte seine Patienten spät abends mit einer Pferdekutsche zu besuchen, speiste nach Mitternacht und spielte nachher noch lange auf seiner Violine. Geheiratet hat er erst mit beinahe fünfzig und bekam von seiner häuslich-untertänigen Frau den Sohn Herbert, der uns einst in Zürich besuchte. Daheim wurde der leicht Körperbehinderte von seiner Mutter und einer Haushälterin nach Noten verwöhnt, übte – obwohl gescheit und gut geschult – nie einen Beruf aus, lebte wie sein Grossvater als zufriedener Privatier.

      Ein zweiter Mediziner in der Familie erlag seiner Morphiumsucht, nur Onkel Ferdinand machte alles richtig, heiratete eine passende Frau mit passender Mitgift, gründete eine Kamerafabrik, verdiente im Ersten Weltkrieg durch Lieferungen an die Armee ein ansehnliches Vermögen, verkaufte das Unternehmen zur rechten Zeit an Zeiss Ikon, rettete sein Geld in die Schweiz und übersiedelte mit Frau Helene und Sohn Walter nach Zürich. Die Tochter Anneliese hatte sehr jung einen deutschen Geschäftsmann geheiratet, mit dem sie erst in Hamburg, dann in Kairo, danach in New York lebte. Eine gute Partie, wie die Familie hoffte. Geschäfte hatten sich stets gelohnt, sogar besser als die Studien der beiden Ärzte. Zudem sah Friedrich blendend aus, verteilte Handküsse mit vollendeter Eleganz und stammte aus einer befreundeten Familie. Meine Mutter hielt den schönen Mann für albern, womit sie für einmal Recht hatte. Frieder scheiterte erst in der Hansestadt, dann bei den Pyramiden, dann bei den Wolkenkratzern, in der Geschäftswelt nützt Schönheit einem Mann wenig. Unterdessen war Anneliese nicht nur Mutter des Töchterchens Ursula geworden, sie hatte sich auch zu einer modernen, selbstsicheren Frau entwickelt. Auf die Unterstützung der Eltern wollte sie nicht mehr angewiesen sein, lieber wurde sie Barpianistin in Manhattan, was Urseli einst ausplauderte. Es folgte die Scheidung und die Übersiedlung nach Zürich, wo ihr Vater das Haus an der Resedastrasse gekauft hatte, in dem ich noch heute wohne.

      Eine Adresse mit Krimi-Vergangenheit. Es hatte ursprünglich dem österreichischen k-u-k-Generalkonsul gehört, der im Ersten Weltkrieg beschuldigt worden war, Spione zu unterstützen. Die Alliierten engagierten daher einen Meistereinbrecher aus Neapel. Er sollte Beweismittel finden und als Lohn den Schmuck der Wiener Gattin einstecken dürfen. Datum der Aktion war ein Abend, an dem der Konsul zu einem Diplomatentreffen nach Bern eingeladen war. Aber auch die Zürcher Polizei schlief nicht. Sie rückte an der Resedastrasse an, der Dieb floh, sprang in die Limmat und wurde samt Schmuck und Dokumenten aus dem Wasser gefischt. Darauf liess der Generalkonsul im Erdgeschoss Eisengitter anbringen, hinter denen ich mich noch heute sicher fühle.

      Anneliese erging es vielleicht ähnlich. Sie übersiedelte nach der Scheidung zu den Eltern, fand sich in Zürich schnell zurecht, wurde nicht Barpianistin, sondern Betreiberin einer Gymnastikschule, übernahm nach dem Tod ihrer Eltern das Haus im Seefeld und heiratete schliesslich den Schweizer Jus-Professor Karl Oftinger. Dieser kam als Kämpfer gegen den Lärm zu einiger Bekanntheit, fand die Resedastrasse zu laut und verkaufte das Haus meinem Vater.

      Dem lauten Lärmgegner verdanke ich Hunderte von Flugtickets und das durch Zufall. Als Erzfeind von Fluglärm schrieb Oftinger einst einen Leserbrief an die NZZ, in dem es hiess: «Wenn ein Geschäftsmann in einer dringenden Angelegenheit nach Athen fliegt, kann man das noch tolerieren, wenn aber gewisse Leute zum blossen Vergnügen nach Athen fliegen, ist das unakzeptabel.» Als Reisejournalistin und Reiseleiterin gehörte ich zu den «gewissen Leuten» und schrieb ebenfalls einen Brief an die NZZ: «Wer im Flugzeug nach Athen reist, weckt einige Leute in Kloten und einige Leute in Heliopolis, wer mit dem Auto nach Athen fährt, weckt halb Europa.» Mein Kommentar gefiel dem Chefredaktor der neugegründeten Swissair Bordzeitung, er lud mich zur Mitarbeit ein und schon war ich Swissair-Schreiberling. Mit wahrer Freude verfasste ich Reiseberichte, PR-Material, Inserattexte und Bücher wie «Flug 502 Fernost», «Visit Sri Lanka», «Visit USA» und «Visit the Far east», hatte während Jahrzehnten fast stets ein Flugticket in der Tasche und lauschte immer wieder ungeduldig auf das Anlaufen der Triebwerke, das für mich wie Musik klingt. Fliegen wurde zu meiner Leidenschaft. Ich hatte meinen Traumberuf gefunden, ebenso mein Plätzchen im journalistischen Umfeld.

      Mit Anneliese verstand ich mich prächtig. Sie war tüchtig, weltgewandt, unternehmungslustig, unkonventionell, chic und fröhlich. Ihre Barpianisten-Tätigkeit habe ich bewundert, dass meine Mutter die Hübschere gewesen sein soll, kümmerte mich wenig. Nur eine oft wiederholte kleine Geschichte mochte ich nicht gern hören: «Einmal begegneten wir auf einem Spaziergang einigen Studenten», erzählte meine Mutter. «Einer von ihnen schenkte mir Blumen, die Anneliese bekam keine Blumen, sie war einfach zu pummelig und hat sich wohl geärgert.» Was für ein unhöflicher Bursche und was für eine herzlose Cousine.

      Endlich gab es bei den Stuttgartern auch noch einen jüngeren Bruder von Anneliese. Er hätte in Berlin studieren sollen, kurvte aber lieber mit seinem schnellen Motorboot auf dem Zürichsee herum. Mein Vater sollte ihn daher einst in Berlin, wo er öfter geschäftlich zu tun hatte, besuchen und ermahnen. Vergebliche Mühe, Walter genoss die Burschenherrlichkeit und lag noch um zwölf Uhr mittags tief in den Federn. Auch später wollte es nicht klappen, kein abgeschlossenes Studium, kein Job und die Zeit der feinen Privatiers war nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig vorbei. Walter starb überraschend an einem ungenannten Leiden, man flüsterte von Selbstmord.

      Bleiben die beiden Brüder meiner Mutter. Der brave Eugen wurde Bankbeamter, war ein Musterknabe, jedoch nicht sonderlich geschickt in der Anlage seiner Erbschaft. Er interessierte sich wenig für Frauen, versprach jedoch, für seine Schwester zu sorgen, falls diese nicht heiraten könne, hätte gerne Sprachen studiert, was der Grossvater aber nicht finanzieren wollte. Meine Mutter schwärmte für den Musterknaben, der sich weigerte, dem Chef die Zeitung zu holen, weil das nicht zum Aufgabenbereich eines Bankangestellten gehöre. Er wäre wohl kaum mein Typ gewesen, doch er starb zu früh, als dass ich ihn hätte kennenlernen können.

      Der jüngere Bruder Oskar schmiss die Handelsschule, stieg ins Elektrobusiness ein und führte schon bald ein florierendes Unternehmen. Weiterer Verdienst: Er machte meine Mutter mit Robi, einem Freund aus der Offiziersschule bekannt. Die beiden Männer wollten in Basel eigentlich nur eine Rodin-Ausstellung besuchen, doch beim gemeinsamen Mittagessen hatte es auf Anhieb gefunkte. Ein Blick auf die schöne Amalie genügte und die Würfel waren gefallen. Der verliebte junge Ingenieur kam eine Woche später zurück und machte einen Heiratsantrag, der angenommen wurde. Es folgte eine lange, konventionelle, sexuell unterkühlte Verbindung. So erklärte mir meine Mutter die eheliche Liebe als wenig verlockende Nebensache: «Es ist bloss ein kurzer Rausch», oder sie klagte über den müden Daddy: «Er muss ruhig schlafen um am Morgen wieder einen klaren Kopf zu haben», (also kein Sex). Viel genützt hat ihr die von Grossmutter Paula geerbte Schönheit nicht, sie bezirzte zwar einen rechtschaffenen, erfolgreichen Mann, aber glücklich wurde sie nie. Sie begann den Tag frustriert, stritt mit allen und jedem, mit dem Hausmeister, den Lehrern, den Nachbarn, den Verwandten, dem Pfarrer, der Coiffeuse, den Verkäuferinnen. Nichtige Kleinigkeiten genügten, so waren einst die Früherdbeeren im Lebensmittelgeschäft links unten zu teuer. «Ich habe der Verkäuferin alle Schande gesagt (das tat sie oft), ist doch Diebstahl, lasse ich mir nicht gefallen …» donnerte sie los und wechselte vom Geschäft links unten zu einem Geschäft rechts oben. Bald darauf ein Zwischenfall mit einer Büchse Spargel, auf der es hiess «se obra de otro lado (spanisch für ‹auf der anderen Seite öffnen›)» und wieder ein Donnerwetter «Warum italienisch, wir reden deutsch, denen habe ich alle Schande gesagt», Öffnung der Büchse auf der falschen Seite und wieder Wechsel des Geschäftes. Es ging so lange, bis sie mit allen Lebensmittelläden der Umgegend verfeindet war und schliesslich zum Geschäft Nummer 1 zurückkehren musste.

      Meinen


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