Die Geschichte eines hässlichen Mädchens. Charlotte Peter

Die Geschichte eines hässlichen Mädchens - Charlotte Peter


Скачать книгу
sie wusste mit den Besuchern nichts anzufangen, ging mit ihnen spazieren, wobei sie sich stets beim Mann einhängte. «Man sollte sehen, dass Röbi zu mir gehört», erzählte sie später und weiter: «Das gefiel Lotti nicht, sie wurde eifersüchtig, machte den Kopf, bis der Daddy sich befreite. Er kam einfach nicht los von seiner Schwester.» Ins Ausland reisten weder Hans noch Lotti, nur einmal nahmen wir Lotti nach Paris mit, wo sie nicht besonders beeindruckt war, kannte sie doch alles schon von Bildern und aus Erzählungen.

      Ein grosses Hobby aber hatte die Semi: das politische Cabaret Cornichon. Gemeinsam besuchten sie jedes Programm mindestens fünfmal und spielten dann am Silvester einige der Nummern nicht ganz ohne Talent nach, doch auch die Bühnendekorationen von Onkel Hans und die von Tante Lotti genähten Kostüme konnten sich sehen lassen. Ich glaube, an der Semi gingen einige Talente verloren. Die sprachbegabte Grossmutter hätte ein selbständiges Leben als Griechischprofessorin führen können, der gescheiten und lernfreudigen Lotti wären manche Chancen offen gestanden, doch die Zeitumstände wollten es anders. Es war eine etwas chaotische, aber liebenswerte Welt.

      Fazit: In meiner Familie hat die Schönheit nur bei Grossmutter Paula entscheidend über das Schicksal entschieden, sonst blieb die Bilanz ambivalent. Anneliese liess sich durch das blendende Aussehen eines Mannes verführen, doch es war der Falsche, Lotti verlor ihren Freund an eine hübschere Schwedin, die Stuttgarter Herren heirateten zumeist lieber Geld als Schönheit, mein Vater verliebte sich blitzartig in die schöne Amalie und heiratete ebenso blitzschnell, aber es war wohl nicht die Richtige. Das könnte ein Trost für die weniger Hübschen sein. Lasst euch nicht verrückt machen vom Schönheitskult. Schönheit kann sowohl Glück als auch Ungemach bringen. Anneliese hat aus dem Fehler ihrer Teenagerjahre gelernt und in zweiter Ehe nicht mehr einen besonders gutaussehenden, sondern einen besonders gelehrten Mann geheiratet, doch auch der war nicht ganz ohne Tadel. Lotti hatte schlicht Pech, man war an der Semi wahrscheinlich zu brav, während die Schwedin von der freien Berliner Luft profitierte. (In Berlin sei er zum Leben erwacht, erklärte Otti einst.) Die Vernunftehen der Stuttgarter verliefen in bürgerlich-geruhsamen Bahnen, die Liebesehe meiner Eltern dümpelte im Schatten der Konventionen freudlos durch Jahrzehnte daher.

       Kapitel 2

       Meine schönen Freundinnen

      Die Schulkameradin Hedi, von der meine Mutter gemeint hatte, sie würde ihren Eltern viel Glück bringen, war nur die Erste von vielen schönen Freundinnen. Ich habe sie öfters beneidet, jedoch stets bewundernd, niemals zickig. Zudem dachte ich viel nach, ich wollte wissen, wie die Schönheit funktioniert, habe genau beobachtet und dabei überraschende Erfahrungen gemacht. Da gab es die glücklichen Hübschen, die ihre Schönheit als Geschenk des Himmels betrachteten, für das man dankbar ist und das man gelegentlich auch nützt, doch von dem man sich nicht verführen lässt und da gab es die weniger Glücklichen, die die falschen Männer verführten oder unerfüllbaren Träumen nachjagten.

       Im Chanel-Kostüm zum Schah von Persien

      Eine von den glücklichen und klugen Schönen ist Susanne Speich. Sie startete als brillante Journalistin, heiratete sehr jung ihren Chefredaktor, dies jedoch weniger dank ihrer langen blonden Haare und ihrer strahlenden Augen als wegen ihrer Ausstrahlung, ihrem Charme, ihrem Lebensmut und ihrem Reportertalent. Sie schaffte es sogar, den Schah von Persien zu interviewen, dies in einem perfekt passenden Chanel-Kostüm.

      Über sich schreibt sie: »Ich sehe mich selbst nicht als Schönheit, habe mich aber stets bemüht, attraktiv und elegant zu sein und das beruflich weidlich ausgenützt. Als gut aussehende Frau erhält man automatisch den besten Platz und damit die beste Story. Es macht für einen Journalisten auf der Suche nach den Original-Quotes der wichtigsten Anwesenden einen entscheidenden Unterschied, ob man top gestylt am Tisch des CEO sitzt oder als graue Maus am Pressetisch weit hinten. Die Männer sind entgegen der landläufigen Meinung gar nicht scharf darauf, mit der schönen Frau an ihrem Tisch zu flirten oder gar mit ihr ins Bett zu gehen. Sie wollen einfach die Schönste neben sich haben, das befriedigt ihr Ego und sichert ihnen die Aufmerksamkeit und den Neid der anderen Männer.»

      Als der Blick seine Chefreporterin zur Krönung des Schahs von Persien schickte, hatte Susanne drei grosse Abendroben, Schmuck, Pelze und Hüte im Gepäck und sass dann bei der grossen Zeremonie im Golestanpalast keine zehn Meter vom Thron entfernt. Als Gastgeschenk überbrachte sie dem Kaiser am Vortag der Krönung im Chanelkostüm mit Hut comme il faut ein Fotoalbum mit Bildern der kaiserlichen Familie beim Skiurlaub in St. Moritz.

      Auch Chanel, aber passend zum Anlass in Schwarzweiß, trug Susanne 1967 bei der Reise von Papst Paul VI. in die Schweiz. Susanne flog nach Rom und bestieg dort mit siebzig Medienvertretern die Swissair Spezialmaschine nach Genf. Als das Flugzeug in der Luft war, wurden drei Journalisten zur Privataudienz ins umgebaute Erstklassabteil gebeten: Die Chefredaktoren von Radio Vatikan und dem Corriere della Sera und die Schweizer Reporterin mit keckem Pillbox-Hütchen auf dem blonden Haar und dies knapp fünf Jahre, nachdem der Blick den Vorgänger von Paul VI., Papst Johannes XXIII., drei Tage zu früh als verstorben gemeldet hatte. War auch der Papst nicht gefeit gegen weibliche Reize? Oder verstand er sich auf Mode?

      Chanel jedenfalls ist bei Top-Anlässen immer richtig, was mir einst auch die Chefredakteurin der französischen Elle bestätigte. Sie hatte fünfzehn Chanel Kostüme in ihrem Schrank hängen, war mit Coco gut befreundet und zitierte die hochberühmte Designerin: »Ich entwerfe bequeme, tragbare Kleider für Frauen, die arbeiten, nicht für Modepüppchen.»

      Nicht mit ihrem Aussehen, jedoch mit einem schlauen Trick schaffte es Starreporterin Susanne in den innersten Zirkel der Trauergäste bei der Abdankung und Beerdigung des ermordeten Präsidentschaftskandidaten Robert F. Kennedy. «Es gelang mir, bei Pierre Salinger, der die Beerdigungsfeierlichkeiten organisierte, einen jugoslawischen Journalisten auszumanövrieren und erhielt dessen Platz in der siebten Reihe der St. Patricks-Kathedrale in New York und anschliessend an Bord des Zuges, der Bobbys Sarg mit den Trauergästen zur Beisetzung nach Washington fuhr.» An Bord waren der ganze Kennedyclan und halb Hollywood. Susanne hatte Storys auf Wochen hinaus.

      Nicht genug mit dem Reportererfolg und dem glorreichen Leben bei den Schönen und Reichen, Susanne wurde früh Mutter einer Tochter, liess sich einige Jahre später scheiden und wechselte schliesslich vom Blick zum Chefredaktoren-Stuhl in der Annabelle. Es schien bestens zu passen. Susanne brachte neuen Wind in die etwas brave Mode- und Hausfrauenzeitschrift, veranstaltete einen Wettbewerb, bei dem es ein Einfamilienhaus zu gewinnen gab, überzeugte die Schweizer Hausfrauen, keine Eier von Käfighühnern zu kaufen, machte eine Kampagne zur Einführung der Fristenlösung und schrieb als Erste von den Schrecken der Mädchenbeschneidung.

      Dann ein Ereignis, das auch mich betraf. Die Elle, bei der ich als Chefredaktorin wirkte, wurde an die Annabelle verkauft und der Verlag suchte für die zusammengelegten Zeitschriften eine neue Führung. Ich schlug dem Herausgeber Max Frei eine doppelte Chefredaktion vor: Die schöne Strahlefrau Susanne sollte zuständig sein für Mode, Lifestyle, Society und Sterneküche, ich könnte mit meinem Dr. phil. 1, meinem Einsatz fürs Frauenstimmrecht und meinen kulturellen Interessen einen Hauch von Intellekt ins Blatt bringen. Max Frei aber hatte sich auf seinen Jasskumpel Werner Wollenberger, den populären Feuilletonisten und Cabaretautor, fixiert. Dieser präsentierte sich als von Frauen umschwärmter Star und grosser Macher, garantierte Erfolg, prophezeite zwischen mir und Susanne einen Zickenkrieg, nannte mich eine Emanze und mochte auch Susanne nicht besonders gut leiden. Schön und auch noch gescheit passte nicht in sein Macho-konzept, zudem hatte ihn Susanne ein Jahr zuvor kurzerhand als Annabelle-Kolumnist entlassen, denn er lieferte kaum je termingerecht.

      Es kam mit Wolli und mir zu einer kurzen Doppel-Chefredaktion, die nie funktionierte. Schon bald wurde mir ein Brief zugespielt, den Wolli an einen jungen Mitarbeiter geschrieben hatte und in dem es hiess: «Wenn wir die Peter los sind, wird alles besser.»

      Um sein Ziel zu erreichen, war dem Witzbold der Nation jedes Mittel recht, auch das Verschwindenlasssen von Texten. So hatte ich einst als Weihnachtsbeitrag vorgesehen, die berühmtesten Festtagsspezialitäten verschiedener


Скачать книгу