Die Geschichte eines hässlichen Mädchens. Charlotte Peter

Die Geschichte eines hässlichen Mädchens - Charlotte Peter


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Zucker- und Papierfabriken, später Petrochemie-Werke, avancierte vom Oberingenieur zum Direktor und arbeitete mit beim Aufbau der Emserwerke. Zeit für Sport oder Hobbys hatte er nie, sein Freundeskreis beschränkte sich auf Kollegen und Geschäftsfreunde, mit denen er sich prächtig verstand. Er ging mit den Finnen fischen, begeisterte sich zusammen mit dem indischen Zuckerfabrikanten und Parlamentarier Rama Puri für Nehru, schimpfte mit dem bayerischen Salinendirektor Hans über Hitler, schenkte den kolumbianischen Partnern Schwäne vom Zürichsee, trank mit den Peruanern Pisco sour und mit den Japanern Sake. Er war ein friedlicher Mensch und ein guter Vater. Gerne hielt er seine Reiseerinnerungen in Zeichnungen fest und so kannte ich bald den Mailänder Bahnhof, die finnischen Rentiere, das Brandenburger Tor, die Tirolerhüte und vieles mehr. Gut möglich, dass er lieber einen Buben gehabt hätte, doch er akzeptierte mich als Ersatz, freute sich über meine guten Mathenoten und meine Unternehmungslust, oft haben wir nach dem Abendessen komplizierte Rechenaufgaben gelöst. Mit meinen Reiseunternehmen war er stets einverstanden und als ich vom Plan erzählte, von der Kansas University nicht über den Atlantik, sondern über den Pazifik heimzukehren, belohnte er meine Glanzidee mit einem dicken Scheck.

      Ebenso gut wie mit meinem Vater verstand ich mich mit seiner Familie, nach ihrer Behausung an der Seminarstrasse kurz Semi genannt. Anders meine Mutter. Am ehesten duldete sie den Schwager Hans. Er war der Schönste der Familie, hätte mit seinem dunklen Haarschopf und den markanten Gesichtszügen für einen Süditaliener oder Zigeuner durchgehen können und sah sich als Künstler. Nie hat er etwas anderes getan als gemalt und gezeichnet, es wäre ihm als Verrat an der Kunst erschienen. Einen Kollegen, der sich als Zeichenlehrer anstellen liess, hat er tief verachtet, nannte ihn Streber, Spiessbürger und Materialist. (Zu den Unguten, die für ihr Weiterkommen Kompromisse machen, gehörte bald auch ich.) Er selbst hatte mit der Malerei nie Erfolg, wäre aber dank seiner vielen Ideen und seinem handwerklichen Geschick vielleicht ein guter Grafiker geworden. Die Umstände wollten es anders und so wurde Hans mit den Jahren immer bitterer. Eine Affäre mit einem Mädchen aus Nigeria hat die Familie zwar toleriert, aber streng geheim gehalten. Von der Afrikanerin erfuhr ich nur, sie sei sehr hübsch, zu Familienfesten wurde sie nie eingeladen, ein wirklicher Trost für Hans konnte sie nicht sein. Für mich mutierte der malende Onkel zum abschreckenden Beispiel eines Versagers. Ein Schicksal wie das Seine erschien mir als grosse Bedrohung, ich wollte es um jeden Preis besser machen. Mir bleibt nur eine gute Erinnerung an Onkel Hans, er hat mich einmal auf einer Zeichnung verschönert, mich so gezeigt, wie ich gerne gewesen wäre.

      Strenger als den Künstler beurteilte die Mutter den Schwiegervater. Er hatte die Druckerei der Familie durch eine unselige Bürgschaft verloren, arbeitete nun als Beamter in der städtischen Verwaltung und liess sich über sein Missgeschick vom Dienstmädchen trösten. Für meine Mutter ein klarer Fall: Schwiegervater war ein treuloser Schürzenjäger, schuld aber vor allem hatte die schlampige Schwiegermutter.

      Anders lagen die Dinge bei Schwager Max. Dieser war als Optiker während der Krise der Dreissigerjahre nach Australien ausgewandert, wo er sich in die fröhliche Jean verguckte. Es lief gut. Max liebte die Weite des Landes, die vielen Sportmöglichkeiten und vor allem die Lässigkeit der Menschen. Hier brauchte man keine Krawatte, hier pflegte man seine Nachbaren und Kollegen gleich mit dem Vornamen anzusprechen. Gerne wäre er geblieben, doch er durfte als Ausländer kein eigenes Geschäft eröffnen. So kam er zurück nach Zürich, wo sein Wunsch nach Selbständigkeit schnell in Erfüllung ging. Nach einem Jahr florierte sein Optikergeschäft und er bat Jean, ihm zu folgen. An die Ankunft des Girls from Australia kann ich mich gut erinnern. Die Semi brachte Alpenrosen, um zu signalisieren: «Bei uns bist du willkommen.» Meine Mutter brachte teure Rosen, um zu zeigen: «Seht wie fein ich bin», sie fand die Handtasche in Form eines Koalabärchens ordinär und die für meine Schwester und mich mitgebrachte Puppe Molly, verwendbar auch als Kissen, unhygienisch und ebenfalls ordinär. Molly wurde schnell weggeschlossen.

      Jean lebte sich an der Seminarstrasse gut ein. Sie lernte Schweizerdeutsch, gab mir Englischunterricht, verkaufte auf dem Markt Gemüse, liebte seidene Unterwäsche und erzählte von Grillpartys mit vielen Gästen im eigenen Garten. «Dumme Aufschneiderei der Tochter eines Blöni» (verächtlich für Polizist), befand meine Mutter. Jahre später habe ich die Crawfords in Adelaide besucht und fand alles bestätigt. Der Vater war ein Sheriff höheren Ranges, das Haus stand da und zu einem Barbecue im eigenen Garten wurde ich auch eingeladen. Schade nur, dass ich der früh verstorbenen Jean nicht mehr von meinen schönen Erfahrungen in ihrer alten Heimat erzählen konnte.

      Max zog als Witwer wieder an der Semi ein, was bestens passte. Die Geschwister hielten zusammen wie Pech und Schwefel, pflegten die gleichen Hobbys und die gleichen Freundschaften, kannten keine Vorurteile und keinen Neid. Als Max mit Rita, einer ehemaligen Freundin von Jean, anbändelte, war das durchaus ok, ebenso die Hochzeit der Beiden. Meine Mutter wusste mit der in England aufgewachsenen Bankangestellten wenig anzufangen, sie war unauffällig, kam aus einer brav-bürgerlichen Familie, bot keine Angriffsfläche.

      Besonders schlecht war dagegen das Verhältnis zur Schwiegermutter, die aus einem alten Zürcher Geschlecht stammte. Einer ihrer Vorfahren war mit Zwingli befreundet gewesen und ist als Chronikschreiber Stumpf in die Lokalgeschichte eingegangen, sie selbst war in einem Pfarrhaus aufgewachsen. Zwei unterschiedlichere Frauen hätte es nicht geben können. Grossmutter Charlotte lernte kaum kochen, dafür Altgriechisch und Latein, denn ihr Vater interessierte sich mehr für Aristoteles, Sophokles und Platon als für Jesus. Die ungewöhnliche Erziehung funktionierte gut. Charlotte brachte es sogar zur Altphilologie-Lehrerin an einem englischen Töchter-Internat. Eine gute Hausfrau aber ist sie nie geworden, was ihr meine Mutter mehr als nur verübelte. Sie nannte sie schlicht Schlampe. Ich selbst habe nicht die Schönheit meiner Grossmutter Paula geerbt, aber vielleicht etwas von der Unternehmungslust und Freude an den Sprachen von Grossmutter Charlotte. Das wäre eine Gerechtigkeit des Schicksals, für die ich mich gerne bedanke.

      Ebenfalls miserabel war das Verhältnis meiner Mutter zu Schwägerin Lotti. Die grazile, gebildete aber nur mässig hübsche Frau hatte sich in den Bruder einer Freundin, einem Arzt verliebt, was belächelt wurde. Ein Arzt verdient eine schönere Frau, eine Frau wie Amalie. Unvergesslich bleibt für mich ein gemeinsamer Besuch von Lotti und Freund Otti. «Nun will ich zeigen, was für eine feine Frau Röbi geheiratet hat», verkündete meine Mutter, zog alle Register, holte ihr bestes Porzellan hervor (natürlich das aus Stuttgart), pries ihre Kochkünste (Herstellung handgemachter Stuttgarter Spätzle) und punktete mit ihren beiden herzigen Töchtern. «Eine Frau muss kochen können, Buchhaltung bringt nichts», verkündete sie spitz (Lotti hatte eine Handelsschule absolviert), säuselte von der grossen Verantwortung der Ärzte und vom Verzichten der Frauen.

      Otti hat Lotti nicht geheiratet, sondern sich in Berlin in eine schwedische Krankenschwester verliebt und es später bereut. Lotti blieb ledig, sorgte für die alten Eltern, den früh verwitweten Bruder Max und den schönen, erfolglosen Bruder Hans. Sie stand trotz ihrer vielfältigen Begabungen ewig im Schatten, war ein Opfer ihrer Zeit, sie hat sich nie beklagt. Gerne hätte ich ihre Tagebücher gelesen, doch diese gerieten in die Hände meiner Mutter, die sie verbrannt hat. «Da stand nur dummes Zeug über Bücher, Bircher-Benner Vegetarier, Frösche im Gartenteich, kuriose Familienbräuche und anderes», meinte sie.

      Meine Schwester und ich waren gern an der Semi. Es gab stets Hüppli (ein knuspriges Gebäck in Röhrchenform), Tante Lotti las Balladen vor, konnte Vögel am Gezwitscher erkennen und zeigte, wie man Blumen presst, die Grossmutter schenkte mir die ersten literarisch anspruchsvollen Bücher. Gestritten wurde nie, man hatte Verständnis für Hans, der niemals für schnödes Geld arbeiten wollte, für Lottis Pech in der Liebe und sogar für die Streitlust meiner Mutter. An der Semi beurteilte man die Menschen mit an Naivität grenzender Freundlichkeit. Von Ottis Frau, die Kleider, Schuhe und Haushaltgeräte ausschliesslich in ihrer schwedischen Heimat kaufte, wurde gesagt, sie stamme aus einer Künstlerfamilie und habe deshalb einen exquisiten Geschmack, vom Seitensprung des Grossvaters mit dem Dienstmädchen hiess es, Männer seien nun einmal schwach.

      Die Semi führte ein Leberecht-Hühnchen-Leben ohne Ansprüche und mit der Gabe, auch kleinste Freuden gross zu geniessen. Gelebt wurde in einem Reihenhaus mit Gärtchen, man unternahm immer wieder die gleichen Wanderungen über den Albis, freute sich immer wieder über die ewig gleichen Ausblicke auf den Zürichsee. Ferien gab


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