Butler Parker Jubiläumsbox 4 – Kriminalroman. Günter Dönges
erhielt einen ähnlichen Brief, Sir, das heißt, Aufmachung und Papiermaterial dieses Schreibens dürften identisch sein.«
»Lassen Sie mal sehen …!«
Josuah Parker bückte sich und fischte den Brief aus dem Papierkorb. Als Mike Rander danach greifen wollte, schüttelte Parker fast unmerklich, aber dennoch irgendwie vorwurfsvoll den Kopf, legte den besagten Brief zuerst auf das Silbertablett, um ihn dann an Mike Rander weiterzureichen.
Der junge Anwalt zog den Brief vom Tablett, riß den Umschlag auf und entfaltete das Schreiben, auf dem nur wenige Zeilen Text zu lesen waren.
Diese wenige Textzeilen hatten es allerdings in sich.
Mike Rander wurde zuerst einmal als gemeiner, hinterhältiger Polizeispitzel und Schnüffler bezeichnet. Dann wurde ihm mitgeteilt, die »Langen Messer« hätten beschlossen, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Und das innerhalb der kommenden drei Tage. Flucht sei sinnlos, so wurde weiter mitgeteilt. Die Wurfmesser stünden schon bereit. Statt einer Unterschrift waren die Umrisse eines langschneidigen Messers zu sehen.
»Alberner geht’s wohl nicht«, sagte Mike Rander und warf den Brief auf den Tisch. Dann sah er zu Parker hoch, der stumm und stocksteif vor dem Schreibtisch stand. »Haben Sie auch solch einen Wisch erhalten, Parker?«
»In der Tat, Sir …!«
»Na, und was halten Sie davon?«
»Ich erlaube mir, Sir, Ihnen beizupflichten«, erwiderte Josuah Parker. Mit spitzen Fingern nahm er das Schreiben hoch und legte es zurück auf das Silbertablett. »Diese kindliche Naivität, diese robuste Primitivität könnten allerdings, wenn ich es recht betrachte, eine bewußte Finte sein.«
»Sie wollen diesen Wisch ernst nehmen, Parker?«
»Mordandrohungen, Sir, pflege ich immer als eine Art persönliche Beleidigung zu betrachten«, entgegnete der Butler gemessen.
»Schön, haben Sie schon mal etwas von den »Langen Messern« gehört?«
»Ich nahm mir die Freiheit, bereits in meiner Privatkartei nachzuschlagen«, antwortete Parker. »Eine Gang, die sich ›Lange Messen nennt, ist darin nicht verzeichnet, was nicht unbedingt heißen soll und kann, daß es eine Gang dieses Namens nicht gibt.«
Mike Rander, einmal abgelenkt, sortierte die übrige Post. Er hielt ein langes, schmales Couvert hoch, dem ein schwacher Parfümgeruch entströmte.
»Rita Malcona …«, las er den Absender halblaut vor.
»Auch dieser Name ist in meiner Privatkartei nicht existent«, schaltete Parker sich ein.
»Tragen Sie etwa die Namen meiner weiblichen Bekannten in Ihre Kartei ein?« erkundigte Mike Rander sich verblüfft.
»Nur aus Gründen der allgemeinen Übersicht«, entschuldigte sich der Butler.
»Kennen wir eine Miss Rita Malcona?« Mike Rander öffnete das Couvert und nahm eine Briefkarte heraus. Nachdem er die Zeilen überflogen hatte, reichte er die Karte an Parker weiter.
In Parkers Gesicht verzog sich kein Muskel, als er die Zeilen las. Mit einer knappen Verbeugung reichte er dann die Briefkarte an seinen jungen Herrn zurück.
»Noch eine Mordandrohung, wenn auch indirekt und nicht gegen Sie oder meine bescheidene Wenigkeit gerichtet«, sagte er dann. »Nähere Einzelheiten möchte uns Miss Malcona heute abend im Nachtclub Amazonas mitteilen, Sir. Darf ich an dieser Stelle fragen, ob Sie den Smoking zu tragen wünschen?«
»Wer sagt Ihnen, daß ich Miss Malcona besuchen will, Parker?« Mike Rander lächelte unwillkürlich.
»Wie ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiß, Sir, daß Sie niemals eine junge Dame hilflos und unbeschützt lassen werden, wenn sie ermordet werden soll.«
»Schön, ich nehme den Smoking.«
»Und welches Kaliber bevorzugen Sie für die Nacht, Sir?«
»Was paßt denn Ihrer Meinung nach zu einem Smoking?« fragte Mike Rander ironisch.
»Wenn ich mir einen bescheidenen Rat erlauben darf, Sir, würde ich zu einem kleinen, handlichen 38er raten«, gab der Butler todernst zurück. »Dieses Kaliber hat den Vorteil, den Stoff nicht zu sehr auszubeulen.«
»Also schön, den 38er also«, entschied Mike Rander und unterdrückte ein Lächeln.
»Dann werde ich mich, wenn Sie erlauben, Sir, zurückziehen und die erforderlichen Vorbereitungen für die Nacht treffen.«
*
Der Portier des Amazonas-Club war ein mit allen Wassern gewaschener Endfünfziger, dem nichts Menschliches mehr fremd war. Er hatte in seinem Beruf schon die verrücktesten Dinge erlebt und wunderte sich über nichts mehr.
In jener Nacht aber staunte er dermaßen, daß sein Unterkiefer fassungslos herunterklappte. Dann rieb der Mann in der goldbetreßten Uniform sich wiederholt die Augen und schüttelte verständnislos den Kopf.
Nachdem er einigermaßen sicher war, daß sein Blick ihn nicht täuschte, räusperte der Portier sich die trockene Befangenheit aus der Kehle und nahm fast schutzsuchend Deckung an der harten Hauswand.
Er wollte es einfach nicht glauben, daß dieses vierrädrige Vehikel auf Rädern tatsächlich fuhr. Er wollte es einfach nicht glauben, daß dieses komische Fahrzeug direkten Kurs auf den roten, gewölbten Baldachin nahm, der den Eingang zur Bar mit der Fahrbahn verband.
Röchelnd, stinkend, eine düstere Wolke hinter sich lassend, wurde dieses seltsame Monstrum auf Rädern vor den Baldachin gelenkt. Dieses Fahrzeug war nichts anderes als ein Londoner Taxi, das vom Zahn der Zeit bereits ziemlich angenagt worden war. Es war schon fast ein kleines Wunder, daß es überhaupt noch aus eigener Kraft rollte.
Am Steuer des hochbeinigen Monstrums saß eine erstaunliche Gestalt. Der Mann, auf dessen Kopf eine Melone thronte, trug einen ungemein korrekten tiefschwarzen Anzug, wie ihn hochherrschaftliche Butler zu tragen pflegen. Als er ausstieg, um seinem Fahrgast im Fond die hintere Wagentür zu öffnen, lüftete der Fahrer höflich die schwarze Melone und deutete eine knappe, korrekte Verbeugung an.
Ein junger, sportlich aussehender Mann mit angenehmen Gesichtszügen stieg aus. Er trug einen tadellosen Smoking, dessen Schnitt schon verriet, daß er von einem der teuersten Schneider der Stadt stammen mußte.
Der Portier hatte sich von seiner nahenden Ohnmacht erholt.
Dennoch waren seine Schritte etwas unsicher, als er dem jungen Mann entgegenging. Der Portier war sich noch nicht schlüssig, wie er sich hier und jetzt zu verhalten hatte.
»Mr. Rander«, meldete der schwarz gekleidete Butler. »Wenn ich mich recht erinnere, wurde ein Tisch bestellt.«
»Sehr wohl, Sir!«
Der Portier dienerte und war gleichzeitig wütend über diesen Butler. Schon allein die korrekte, englische Ausdrucksweise behagte ihm nicht. Und schon gar nicht diese selbstverständliche Sicherheit, vor der man seelisch unwillkürlich in die Knie ging.
»Soll ich Ihren … Wagen auf den Parkplatz fahren lassen?« fragte der Portier. Es gelang ihm, einen Unterton von Spott in seine Stimme zu bringen.
»Das besorge ich lieber allein, der Wagen könnte sonst Schaden nehmen«, meinte Josuah Parker. »Ich gehe doch richtig in der Annahme, daß in diesem Etablissement die weiße Göttin auftritt, oder?«
»Der Star der Show«, erwiderte der Portier. Nur mühsam dämpfte er seine Gereiztheit. Schon allein die Fragestellung dieses Butlers ging ihm auf die Nerven. Deshalb beschloß er, diesem so würdig auftretenden Mann eins auszuwischen. Er fügte hinzu: »Für das Personal haben wir im Hof eine Kantine eingerichtet.«
Parker sah den Portier mit höflichem Interesse an.
»Dann wissen Sie ja, junger Mann, wohin Sie sich in Ihrer Freizeit zu begeben haben«, meinte er dann. Mike Rander hatte schmunzelnd zugesehen und zugehört. Nun hielt er es für an der Zeit, sich einzuschalten.