Fiona - Leben. Zsolt Majsai

Fiona - Leben - Zsolt Majsai


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anzugehören, Attentate geplant zu haben, und dann an Ort und Stelle mit zwei Kugeln hingerichtet. Das mit den Attentaten stimmte sogar. Aber die wussten nicht, was ich wirklich wollte und dass sie mir sogar dabei helfen, meine Pläne auszuführen. Wie hätten sie es auch wissen sollen? Sie waren zwar weder modern noch aufgeklärt, das sind diese Art von Diktaturen nie, aber sie konnten sich trotzdem nicht vorstellen, dass ich so eine Hinrichtung überleben würde. Sie glauben zwar an Himmel und Hölle und so, an eine dualistische Welt, aber die Realität übersteigt ihre Vorstellungskraft bei Weitem.

      Doch zurück zu der Hinrichtung. Meine Hände waren am Rücken gefesselt, mit einem Seil oder so. Kann sein, dass es ein Abschleppseil war, ich weiß es nicht so ganz genau. Während der Verhandlung musste ich knien und die ganze Zeit zum Tribunal schauen. So nannten sie es jedenfalls. In Wirklichkeit war es Lynchjustiz, aber das ist egal. Es spielt keine Rolle, denn jedes Gericht in jedem Staat hält sich für legitimiert und ist es doch nicht. Ich bin legitimiert, denn ich wurde von Gott dazu berechtigt. Doch das ist eine andere Geschichte, und Sie denken jetzt sowieso, ich bin eine Irre, völlig durchgeknallt und größenwahnsinnig.

      Tatsache ist allerdings, dass ich hier vor Ihnen sitze, obwohl ich hingerichtet wurde. Das sollte Ihnen möglicherweise zu denken geben.

      Nun, ich kniete also da auf dem harten Boden, was nach einer Weile sogar schmerzhaft wurde, aber Schmerzen bin ich ja gewohnt. Es gehört zu meinem Job, dass es ab und zu schmerzhaft wird. Ziemlich schmerzhaft sogar, denn nicht immer geht es so schnell und einfach zu wie meine Hinrichtung in diesem Fall.

      Ich beobachtete den Richter und die beiden Soldaten rechts und links von ihm. Rings um uns herum waren noch andere, Soldaten, oder besser gesagt, Rebellen, die sich für Soldaten hielten. Nicht einmal Uniformen hatten sie, viele trugen Sandalen. Nicht wirklich die geeignete Kleidung zum Kämpfen, aber es waren ja auch Amateure. Verblendete Idioten, um ganz genau zu sein. Sie spielen Krieg und irgendwann begannen sie, das Töten zu genießen. Zuzuschauen, wie bei den Kopfschüssen Augen, Nase und Gehirn der Hingerichteten durch die Gegend spritzen, das ist für sie schöner geworden als ihr Sperma zu verspritzen. Make war not love. Ganz schön pervers. Ich meine, ich töte auch. Es macht mir wenig aus, allerdings weiß ich, dass der Körper eines Menschen nicht den Menschen ausmacht, und ich weiß auch, dass das Töten nicht mehr ist als das Verschrotten eines Autos. Sonst wäre ich ja nicht hier, trotz meiner Hinrichtung.

      Hinter mir gestikulierten aufgeregt einige Männer, vielleicht darüber, wer mich erschießen darf. Ich habe keine Ahnung. Ich weiß noch, dass ich mir die krumme Nase des Richters anschaute, als der erste Schuss fiel. Die Kugel drang von oben ein, hier hinten, können Sie bei sich spüren, oberhalb der Einbuchtung. Die Anatomen haben auch einen Namen dafür, fällt mir grad nicht ein. Egal. Etwas oberhalb der Augen also, und der Schütze konnte oder wollte nicht vernünftig zielen.

      Es war ein ganz eigenartiges Gefühl. Erst einmal ein ziemlich heftiger Schlag, der meinen Oberkörper nach vorne riss. Ich fiel nicht ganz um, schon allein wegen meiner Körperlage. Mein Oberkörper federte gegen meine Oberschenkel. In meinem Kopf fühlte es sich an wie … Ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll. Es tat nicht weh. Das Gehirn an sich fühlt ja keinen Schmerz. Es war mehr so eine Art Ziehen. Dauerte nicht lange, nicht einmal eine Sekunde, weil meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt wurde.

      Wie gesagt, der Schütze hatte schief geschossen, warum auch immer. Die Kugel verließ meinen Kopf durch das linke Auge, mit dem ich natürlich nichts mehr sehen konnte. Obwohl, ist schon interessant. In so einem Moment hat man ja ein ganz anderes Zeitgefühl. Für die anderen sind es Sekundenbruchteile, aber ich konnte deutlich und wie in Zeitlupe spüren, dass die Kugel mein Auge von innen traf. Ganz kurz, wie ein Aufblitzen, konnte ich die Kugel sogar sehen. Irgendwie unheimlich, wenn ich mir das so überlege.

      Ich hing da also auf meinen Oberschenkeln, starrte mit dem verbliebenen Auge auf den Boden und sah nebenbei die Reste meines anderen Auges zusammen mit Blut und einer hellen, rosafarbenen Flüssigkeit auf den Boden tropfen.

      Dann wurde mir klar, die rosafarbene Flüssigkeit war ein Teil meines Gehirns. Ich hatte es ja schon gesehen, ich meine, außerhalb meines Kopfes. Neu war für mich das alles ja nicht.

      Ich dachte noch, wie schön es ist, dass es dieses Mal so schnell geht. Ich meine, ich habe es mir selbst ausgesucht. Den Job so allgemein, und ich wusste vermutlich, dass es auch bedeutet, dass es physisch sehr anspruchsvoll wird. Deswegen regenerieren wir uns immer wieder. Aber das Sterben, das ist wie bei allen Menschen. Und manche Arten zu sterben sind … sehr unschön. Kopfschüsse sind im Vergleich richtig angenehm. Wohlgemerkt, im Vergleich und für Leute wie mich, die überhaupt die Möglichkeit haben, diesen Vergleich anzustellen. Sie beispielsweise werden diese Möglichkeit nicht haben, wenn Sie gleich sterben. Deswegen erzähle ich Ihnen das so genau, damit Sie wissen, was auf Sie zukommt.

      Die zweite Kugel kam seitlich. Wahrscheinlich habe ich meinen Kopf gedreht, darum. Jedenfalls spürte ich noch, wie sie irgendwo neben dem Ohr in meinen Kopf eindrang. Sie zerfetzte mein rechtes Auge, sodass ich jetzt blind war. Ich glaube, es ging auch ganz schnell. Ich spürte noch, wie noch mehr von meinem Gehirn auf den Boden floss, dann wurde es plötzlich dunkel. Vermutlich als die kritische Masse meines Gehirns zerstört war.

      Mein Körper war damit deaktiviert. Vorübergehend. Ich habe mich dann notdürftig gesäubert, aber in meinen Haaren klebt noch Blut und Reste von dem, was es sonst noch so in meinem Kopf gibt. Sehen Sie?

      Mein Ich war natürlich noch da. Ich habe mittlerweile sehr viel Übung darin, die Zeit zu überbrücken, bis mein Körper sich regeneriert hat. Sie haben ihn zu den anderen Leichen geschafft. Als ich zu mir kam, lag ich auf den Überresten eines etwa dreijährigen Mädchens und eines Mannes, der wahrscheinlich sein Vater gewesen ist. Hätte ich zu dem Zeitpunkt auch nur den geringsten Zweifel gehabt, ob ich meinen Plan noch ausführen wollte, wäre dieser Zweifel bei diesem Anblick sofort geflüchtet.

      Allerdings hatte ich keinen Zweifel. Ist nicht meine Art. Wissen Sie, mein Motto ist auch, dass ich bereit sein muss, zu Ende zu bringen, was ich beginne. Wofür hätte ich sonst auch all das auf mich genommen? Als Leiche gelangte ich in Ihr Haus, und auch wenn das nur Plan B war, für den Fall, dass ich erwischt werde, hat er doch ganz gut funktioniert.

      Und das bedeutet, dass jetzt Sie hingerichtet werden.“

      Die Pupillen des Mannes auf der anderen Seite des Tisches weiten sich kaum merklich. Bevor er aufspringen kann, drücke ich ab und beobachte, wie die Kugel durch die Stirn in seinen Kopf eindringt.

      „Michael?“ In der Stille reicht dieses Wort schon geflüstert, um einen Widerhall zu erzeugen. Untermalt vom Quietschen der Tür müsste es meine Ankunft unüberhörbar verkünden. Dennoch gibt es keine Reaktion.

      Aber ich spüre, dass er da ist.

      Ich durchquere den großen Raum, den man mit viel gutem Willen Wohnzimmer nennen könnte, und gehe zur Tür, die in den Nachbarraum führt. Darin befindet sich unter anderem das Bett.

      Darauf Michael, zusammen mit einem Buch. Er sieht hoch und mustert mich schweigend.

      „Hi“, sage ich leise.

      „Hi.“ Er lässt seinen Blick über meinen Körper gleiten, dann wieder hoch zu meinen Augen. „Welch ein hoher Besuch! Was verschafft mir diese unerwartete Ehre?“

      Das frage ich mich auch gerade. Was habe ich eigentlich erwartet? Noch ist es nicht zu spät, ich sollte mich einfach umdrehen und wieder gehen. Es wäre das Klügste.

      Und damit ausgeschlossen.

      „Ich komme gerade aus dem Irak.“

      „Wie schön für dich. Hast du dort Urlaub gemacht? Als Frau? Mutig.“

      „Idiot. Ich habe jemanden hingerichtet. Und ich weiß jetzt, wie sich Kopfschüsse anfühlen.“

      Er zieht eine Augenbraue hoch. Die rechte. „Hast du jemanden hingerichtet oder wurdest du hingerichtet?“

      „Beides.“

      „Also Abenteuerurlaub.“

      „Michael …“

      „Ja?


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