Die Flut. Ulrike Schmitzer

Die Flut - Ulrike Schmitzer


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im Dorf mochten ihn, denn Geschwätzigkeit hielten sie für einen Charakterfehler. Er hörte seinen Patienten aufmerksam zu. Seine Diagnosen stimmten nicht immer, aber oft. Und er machte gerne Hausbesuche bei den Bauern. Nie verließ er einen Hof ohne hausgemachte Würste oder frisches Geselchtes auf dem Beifahrersitz. Der Arzt konnte essen, ohne dick zu werden. Der kann essen, sagten die Bauern anerkennend. Da machte es nichts, wenn er beim Trinken versagte. Wenn ein Notfall kommt, muss ich fit sein, sagte der Arzt dann immer. Vielleicht bist du der Notfall. Das leuchtete den Bauern ein.

      Heute war der Arzt ausnehmend gesprächig. Als der Bauer näher kam, merkte er allerdings, dass der Arzt immer wieder dasselbe sagte.

      Ich weiß es auch nicht, möglicherweise ist es giftig oder ansteckend. Am besten jeden direkten Kontakt vermeiden. Nach den Blutproben werden wir mehr Informationen haben, funktioniert von irgendjemandem das Telefon? Ich müsste im Krankenhaus anrufen, die Hautveränderungen beobachten, warum geht bloß kein Telefon? Bitte Ruhe bewahren, das wäre jetzt das Schlimmste, wir müssen abwarten, bis Hilfe kommt. Ich habe Schmerzmittel, aber hat jemand Schmerzen? Das Schwarze, ich weiß nicht, was das Schwarze sein kann. Ich habe schon eine Idee, aber dafür ist es zu früh. Panik wäre jetzt das Schlimmste. Die Kinder im Haus lassen, jedenfalls. Der Arzt redete immer weiter, ohne etwas Neues zu sagen.

      Der Bauer ging ins Geschäft. Der Boden war schlammig rot verschmiert und rutschig. Er kaufte fünf Kisten Wasser, bei der Kassa nahm er noch eine Schokolade. Er war ratlos, was er kaufen sollte. Wie lange mussten sie mit dem Essen auskommen? Kartoffeln, Mais, Fleisch und Gemüse waren zu Hause in der Vorratskammer. Noch waren genug Lebensmittel im Geschäft. Er ging zurück und holte Salz, Zucker, Öl, Nudeln, Reis und Mehl.

      Bin gespannt, wann die Leute zu hamstern anfangen, sagte die Verkäuferin an der Kassa. Mich wundert’s, dass sie noch nicht da sind.

      Was hamstern die denn, wenn sie hamstern, fragte der Bauer.

      Jedenfalls keine Schokolade, sagte sie, stand von der Kassa auf und schaute durch die Glastür.

      Das Wasser wird als erstes weg sein, sagte sie. Ich hab mir auch schon ein paar Kisten nach Hause bringen lassen. Batterien vielleicht. Und eine Taschenlampe.

      Der Bauer holte noch fünf Kisten Wasser, Batterien und eine Kiste Bier und stellte alles auf seinen Anhänger. Bevor er sich auf den Nachhauseweg machte, trank er eine Flasche Bier in einem Zug aus.

      Die Verkäuferin stand vor dem Geschäft und warf dem Bauern ein großes Stück Hartkäse hin. Schönen Gruß an die Frau. Wird uns sowieso alles schlecht, sagte die Verkäuferin, wenn wir nicht bald wieder Strom bekommen.

      Als er den Motor ankurbelte und die Wundermaschine laut wurde, deutete ein Soldat in seine Richtung. Die anderen nickten zustimmend. Der Bauer setzte sich schnell auf seine Maschine und gab Vollgas. Er hörte die Soldaten noch schreien. Halt, schrien sie, letzte Warnung.

      Der Bauer duckte sich, ging aber nicht vom Gas. Er hatte den Motor des alten Motorrads nicht gedrosselt. Zulassung bekomm ich sowieso nicht, hatte er zur Frau gesagt. Da sind die am Amt doch kolossal überfordert mit so viel Fantasie.

      Am Nachhauseweg begegnete ihm kein einziges Fahrzeug. Wissen alle nichts, sagte er zu seiner Frau, die ihm schon bei der Einfahrt entgegenlief.

      Wenigstens Wasser, sagte die Frau.

      Er wollte die Kisten in den Bunker tragen, sie dirigierte ihn allerdings in die Küche um, dort stapelten sie sie in einer Ecke.

      Wenn wir nur die Paula erreichen könnten, sagte die Frau.

      Derzeit kann niemand telefonieren, sagte er und kontrollierte das Ladekabel, an dem das Handy hing.

      Die Viecher fangen schon zu stinken an, sagte die Frau.

      Ich rieche nichts, sagte der Bauer und ging in den Hof. Der Holzstoß brannte sofort lichterloh. Das Feuer auf dem Feld war kilometerweit zu sehen, die Tierkörper verflüchtigten sich in einer Rauchwolke, die in dem rosaroten Gewölk des Vortages hängen blieb.

      Schau, sagte der Bauer.

      Am Horizont waren mehrere Wolkenhaufen zu erkennen. Die anderen Landwirte hatten ebenfalls mit dem Verbrennen begonnen. Die rosarote Decke wurde immer dichter. Der Himmel verdunkelte sich. Die Sonne kam kaum mehr durch.

      Ich hab das Gefühl zu ersticken, sagte die Frau.

      Komisch, sagte der Bauer. Die Viecher müssten doch stinken.

      Die rosarote Wolke über ihnen wuchs immer mehr an, sie vermischte sich mit den Wolken, die von den Nachbarfluren herüberwuchsen.

      Der Bauer hörte ein eigenartiges Geräusch.

      Schnell, rief er zu seiner Frau, ins Haus.

      Die Frau ließ sofort die Mistgabel fallen und lief so schnell sie konnte ins Haus.

      Renn, rief der Bauer direkt hinter ihr.

      Die Frau wagte nicht sich umzudrehen oder zu fragen, wovor sie davonliefen.

      Kaum im Haus angekommen, sperrte der Bauer die Tür hinter sich zu und kontrollierte die Fenster.

      Was, fragte die Frau außer Atem. Auf dem Feld war schon ein Zucken und Blitzen, wie sie es noch nie gesehen hatten. Selbst ein Sommergewitter im Gebirge, das sie oft genug auf der Alm erlebt hatten, war nichts im Vergleich zu dem, was sich vor ihrem Fenster abspielte. Die blutroten Blitze zischten vom Boden in den Himmel und vom Himmel in den Boden und schienen sich mit jedem Kontakt noch mehr aufzuladen und gewaltiger zu werden.

      Als der Bauer sagte, dass kein Donner zu hören sei, fegte gerade ein ohrenbetäubendes Geräusch über das Haus hinweg, ein Windstoß, der alles mit sich riss, was nicht angekettet war. Ein Sturzregen folgte.

      Oh Gott, sagte die Frau.

      Der ist da sicher nicht mit im Spiel, sagte der Bauer.

      Die Frau schlug ein Kreuz über der Brust.

      Der auch nicht, sagte der Bauer.

      Als sich der Sturm legte, war das Feld geflutet. Das Wasser drang in den Keller ein.

      Der Bauer und seine Frau saßen in der Küche und warteten. Nach Stunden begann sich das Wasser wieder zurückzuziehen, die klebrige Masse blieb.

      Die Bäuerin holte zwei Kübel aus der Abstellkammer und ging damit in den Keller.

      Warte, rief der Bauer. Fass bloß nichts an.

      Ich will das nicht in meinem Haus haben, schrie die Frau hysterisch.

      Der Bauer gab ihr die Handschuhe aus der Werkstatt. Sie wischte sich die Haare aus dem Gesicht. Der Schwarze Fleck hatte sich schon bis zum Ohr ausgebreitet. Die weißen, aufgesprungenen Lippen seiner Frau zitterten.

      Er watete durch die Masse wie durch batzigen Schnee und holte die metallenen Melkkübel aus dem Stall. Den verstärkten Lederschuhen tat die Masse nichts an. Er trug einen Kübel nach dem anderen aus dem Haus und schüttete die Masse in den kleinen Teich, der früher meist ausgetrocknet war. Er hatte ihn für die Kinder angelegt. Sie hatten hier im gatschigen Schilf gespielt und Frösche gefangen. Der Teich war randvoll. Die Ufer waren mit der eigenartigen Masse überzogen. Ein paar kleine Fische schwammen bäuchlings in dem Tümpel. Tote Frösche schwappten über die Uferböschung.

      Das ist doch sinnlos, sagte er leise und stöhnte, weil ihm die Arme wehtaten.

      Als der letzte Kübel aus dem Haus war, schrubbte die Frau noch immer Farbreste aus dem Boden. In der Küche, im Wohnzimmer, überall war der Schlamm in die kleinsten Ritzen eingedrungen.

      Der Essigreiniger wird den Geruch vertreiben, sagte sie endlich, als ob damit alles überstanden wäre. Es war schon später Abend. Ich rieche nur den Essig, sagte er, sonst nichts.

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      In der Morgendämmerung zog eine weiße Staubwolke die Straße vom Hügel herunter. Der Bauer rieb sich die Augen. Je näher diese eigenartige Staubwolke kam, umso klarer erkannte er, dass es eine Menschenkette


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