Waldlichter. A. V. Frank

Waldlichter - A. V. Frank


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finden konnte.

      Beinahe zwanghaft fanden meine Füße immer den Weg zu einer großen Eiche, aus der ihre Stimme zu kommen schien, die verkündete: „Es wird eine Zeit kommen, da du mich finden wirst, also hör auf zu trauern und lebe dein Leben. Vergiss nie: Wenn Bäume singen, Blätter steigen und du siehst das Licht deines Herzens, dann sei vorbereitet auf ...“ Das Ende ihres Satzes ging immer im Tosen eines sich nähernden Sturmes unter und ich erwachte schweißgebadet.

      Nun, inzwischen nicht mehr, inzwischen schreckte ich mit einem Knoten in meinem Magen auf, der mich mahnte, dass die Zeit verrann und ich etwas unternehmen musste. Nur leider war bisher nie eine Gelegenheit greifbar gewesen, um etwas zu unternehmen, um sowohl dem Tod meiner Schwester wie auch diesem Traum auf die Schliche zu kommen. Bis jetzt. Nun – mit diesem Formular in meinen Händen ‒ war des Rätsels Lösung so nahe wie nie zuvor, doch die Angst vor den Tränen meiner Eltern versperrte mir den Weg.

      Ich wollte ihnen unter keinen Umständen solche Schmerzen bereiten, wie Vetana es getan hatte, ich wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass sie all das erneut durchleben mussten, nachdem sie extra umgezogen waren, um nicht mehr so sehr an ihre älteste Tochter erinnert zu werden. Manchmal schien es mir fast so, als hätten sie sie vergessen, doch dann kam stets ein Augenblick, in dem ihre Abwesenheit greifbar zwischen uns stand, und ich kam mir gefühllos vor, etwas Derartiges auch nur in Betracht gezogen zu haben.

      Mein Handy riss mich aus meinen Gedanken, indem es mir eine Nachricht meines Freunds John anzeigte, der fragte, ob ich zu ihm kommen wolle. Ich antwortete schnell, dass ich mich auf den Weg machen würde, zog mir einen Pullover über das T-Shirt und legte das Formular auf meinen Schreibtisch.

      Unten gab ich meinen Eltern kurz Bescheid, was sie allerdings kaum bemerkten, weil sie gebannt Elisabeths Ausführungen über die weltweite Ölverschmutzung der Meere lauschten – die natürlich mit meinen Worten vorgetragen wurden. Zähneknirschend schnappte ich meinen Autoschlüssel und fuhr zu John. Der war ebenfalls im Vorstand von Pan und die treibende Kraft hinter der Filmproduktion gewesen. Ich war schon gespannt darauf, was er zu Elisabeths neuester Intrige sagte. Aber vielleicht war es ihm auch egal, er unterstützte sie bereits seit einiger Zeit und schien überhaupt nicht mitzubekommen, wie sehr er mich damit verletzte.

      Fünf Minuten später fuhr ich bei ihm vor und klopfte an die Tür seines kleinen Wohnwagens, der auf dem Grundstück seiner Eltern stand. Er hatte sich dort einquartiert, um unabhängiger sein zu können, was allerdings nur dazu geführt hatte, dass er häufiger kleine Partys feierte, denn zum Essen und Wäschewaschen ging er immer noch zu seinen Eltern.

      Er öffnete mir die Tür und ließ mich ein. Der Geruch nach Alkohol lag in der Luft und ich entdeckte ein paar leere Schnapsflaschen auf dem Boden.

      „Hast du gestern Abend gefeiert?“, fragte ich erstaunt.

      Er kratzte sich verlegen am Nacken und räumte die Flaschen schnell weg. „Ja, nur mit ein paar Leuten. Wir haben den Erfolg unseres Films gefeiert.“

      „Einen Film, für den ich mir den Arsch abgefroren habe, um dann herausgeschnitten zu werden ... Eine Feier ohne mich“, dachte ich zynisch und hatte Lust, umzudrehen und wieder zu gehen.

      „Hey Baby, tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid gesagt habe, aber ich wusste ja, dass du dich heute konzentrieren musstest, um ihn vorstellen zu können. Und da dachte ich, dass eine Party für dich nicht das Richtige wäre.“ Er kam zu mir und schloss mich in seine Arme. Etwas steif erwiderte ich die Umarmung und schluckte meinen Ärger herunter. „Und wie lief es?“

      Ich berichtete knapp von der Vorstellung, während er mir Wasser in ein sauberes Glas einschenkte und sich neben mich auf die Couch setzte. Er nickte zu meinen Worten und schien mit mir einer Meinung zu sein. Als ich allerdings von Elisabeth anfangen wollte, unterbrach er mich und wechselte das Thema – leider ging es um die Fahrt nach Grettersane, was mich auch tatsächlich komplett von Elisabeth abbrachte. Er offenbarte mir, dass niemand Zeit hätte und von mir erwartet wurde, dass ich mitfuhr, da aus der eigentlich zwanglosen Freizeit eine neue Aktion für Pan gemacht worden war – und zwar ohne mich zu informieren, obwohl das eine Sache für den Vorstand gewesen wäre. Als ich ihn darauf ansprach, druckste er verlegen herum.

      „Na ja, wir mussten gestern auch noch ein paar ernste Sachen besprechen und haben festgestellt, dass du in unsere Organisation schon länger nichts mehr eingebracht hast. Bei dem Film mussten wir alles nachsprechen lassen, weil man dich nicht verstanden hat, und auch sonst hast du schon länger nichts mehr getan, was dich für den Vorstand qualifizieren würde, weshalb ich dir sagen muss, dass du offiziell nicht mehr im Vorstand von Pan sitzt. Wenn du allerdings mit guten Ergebnissen von deiner Reise zurückkommst, nehmen wir dich sofort wieder auf. So lange bleibt dein Platz natürlich unbesetzt.“ Er wollte auf mich zugehen und mich küssen, doch ich wich zurück.

      „Deshalb sollte ich zu dir kommen, damit du mir das sagen kannst?“, fragte ich benommen. Ich spürte, wie langsam die Wut in mir heranwuchs, und wollte vorher abklären, ob sie auch wirklich gerechtfertigt war.

      „Na ja, ich hab mich mit den anderen beraten und Elisabeth meinte, so wäre es vielleicht das Beste.“

      „Elisabeth?! Seit wann hat sie denn ein Mitspracherecht?“

      „Hey, ganz ruhig! Immerhin hat sie sich dazu bereit erklärt, deine ganzen Texte nachzusprechen, und damit den Film gerettet. Da ist es doch nur gerechtfertigt, wenn man sie mitbestimmen lässt. Was ist nur los mit dir, Victoria? Du benimmst dich schon seit Wochen total seltsam.“

      Ich öffnete den Mund zu einer empörten Antwort, verschloss ihn dann aber schnell wieder. Das hatte alles keinen Sinn, vielleicht würde ich etwas erreichen, wenn ich mich wieder beruhigt hatte. Also griff ich energisch nach meinem Schlüssel – wobei ich mir die Finger anstieß, was mich noch wütender machte – und stürmte aus seinem Wohnwagen hinaus, setzte mich in mein Auto und fuhr fort. John stand in der Tür und blickte mir nach.

      Zu Hause angekommen legte ich erst mal den Kopf aufs Lenkrad, um mich zu beruhigen. Ich musste irgendwie an meinen Eltern vorbeikommen, ohne dass sie Verdacht schöpften und mich aushorchten. Es dauerte bestimmt eine Viertelstunde, bis sich mein Herzschlag und mein Atem beruhigt hatten und ich dazu in der Lage war, unbeeindruckt auszusehen. Das wütende Funkeln in meinen Augen ließ sich zwar nicht ganz abschalten, aber noch länger wollte ich nicht warten. Bemüht lässig schloss ich die Haustür auf und betrat den Flur. Schon als ich die beiden vor mir stehen sah – blass, mit geröteten Augen und einem Blatt Papier in Dads Händen – ahnte ich Schreckliches. Und tatsächlich, es war das Formular für die Reise nach Grettersane.

      „Victoria McOrdnay, was fällt dir ein, uns das zu verheimlichen?“, grollte mein Vater und wedelte mit dem Blatt Papier. Das gräuliche Weiß seines Gesichts verwandelte sich in erschreckender Schnelligkeit in ein dunkles Purpurrot.

      „Ich wollte es nicht verheimlichen. Außerdem, was spricht schon dagegen?“, fragte ich aggressiv. So viel zu der Viertelstunde, in der ich versucht hatte, meinen Zorn herunterzuschlucken.

      „Was dagegen spricht?“, fragte meine Mum mit schwacher Stimme und wurde noch bleicher. Sie stützte sich mit der Hand an der Wand ab und atmete schwer, die ersten verräterischen Tränen rannen über ihr Gesicht.

      „Was soll das?“, herrschte mich nun mein Vater wieder an. „Du willst in dieses verfluchte Dorf fahren und feiern? Ein Dorf, in dem deine Schwester gestorben ist? Hast du so wenig Respekt vor ihrem Andenken? Es kommt mir fast so vor, als hättest du sie komplett vergessen. Wie konntest du auch nur einen Augenblick darüber nachdenken, da mitzufahren?“ Er war auf mich zugetreten und funkelte mich zornig an, während meine Mum hinter ihm leise schluchzte.

      Ich hingegen war gefährlich ruhig. „Du denkst, ich habe nicht an Vetana gedacht? Ja, Vetana war ihr Name, habt ihr das etwa schon vergessen? Ihr seid es doch, die seit vier Jahren ihren Namen nicht mehr nennen, die vor ihm und den damit verbundenen Gedanken geflohen sind! Und nun unterstellst du mir, sie vergessen zu haben?“ Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Leider spürte ich gleichzeitig, wie meine Augen feucht wurden. Ich musste diesen Streit beenden, bevor ich anfing


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