Götterglaube. Kristina Licht

Götterglaube - Kristina Licht


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der Ewan gesprochen hatte. Und Falk. Diese Welle war es, die mir bereits im Traum den Boden unter den Füßen weggerissen haben musste. Im wachen Zustand war die Erkenntnis nicht weniger schmerzhaft. Falk war nicht der, für den er sich ausgegeben hatte. Die ganze Zeit über hatte er mir etwas vorgespielt.

      Ich muss hier weg!

      Endlich quetschte ich mein zierliches Handgelenk durch den metallischen Ring. So dünn zu sein, hatte auch seine Vorteile. Da fiel mein Blick auf etwas auf dem Bett. Ein Collegeblock lag neben dem Kopfkissen. Es war der Block, in dem ich Falk zuvor hatte zeichnen sehen. Ich griff danach und blätterten durch die Seiten. Viele davon waren lediglich mit einer unordentlichen Handschrift bekritzelt. Ich hatte nicht die Zeit, mir alles durchzulesen. Ich blätterte weiter und fand ein Bild von drei Worten, das mich stocken ließ. Sie waren kunstvoll ausgearbeitet und erstreckten sich über die gesamte Seite.

      GONE TOO FAR.

      Ich starrte eine gefühlte Ewigkeit darauf, während tausend bittere Gedanken meinen Geist tränkten. Ja, Falk, du bist zu weit gegangen. Definitiv. Ich wollte den Block gerade zurücklegen, als ich eine weitere Seite umblätterte und mein Blick an einem Porträt hängen blieb. Mein eigenes Gesicht, mit Kugelschreiber skizziert, starrte mir entgegen.

      Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Was hatte Falk für ein Spiel gespielt? Seit wann war er ein Verfluchter? Und obwohl ich dachte, der Schock könnte nicht noch tiefer gehen, wurde ich eines Besseren belehrt, als ich dahinter eine weitere Zeichnung fand. Ein Arm, auf dessen Unterseite eine Reihe von Zahlen tätowiert war: 12.12.12.

      Ich schmiss den Block zurück aufs Bett, als hätte ich mich daran verbrannt. In Rekordgeschwindigkeit ratterte mein Gehirn alle Erinnerungen der letzten Tage durch, auf der Suche nach einem Moment, in dem ich Falk die Zahlen auf meinem Arm gezeigt hatte. Mir fiel keine Situation ein, in der er sie hätte sehen können. Mein Blick glitt meinen Körper hinunter: Ich hatte nur eine Jeans und ein Top an, genauso wie ich mich gestern mit Ewan ins Bett gelegt hatte. Je nachdem, wie lange ich bewusstlos gewesen war, hätte Falk demnach in den letzten Stunden oder Minuten meinen Arm betrachten können. Doch war die Zeichnung wirklich so neu? Hatte er sie angefertigt, während ich bewusstlos gewesen war?

      Hektisch sah ich mich im Zimmer um, während ich versuchte, meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Das Wichtigste war, dass ich hier wegkam. Gestern hatte ich es noch akzeptiert, von nun an mit Ewan zu reisen, als ‚Doppelpack’ durch die Weltgeschichte zu bummeln, wie er es ausgedrückt hatte. Doch dass Falk viel tiefer in der Sache mit drinsteckte und offensichtlich ein falsches Spiel mit mir gespielt hatte, änderte für mich alles. Ich wusste nicht, ob Ewan jetzt auf Falks Seite sein würde, weil sie beide verflucht waren. Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen. Falks Verrat saß so tief, dass ich nicht einmal daran denken wollte, ihn wiederzusehen. Es war keine harmlose Lüge gewesen, sondern eine Lüge, die ihn zum schlimmsten Bösewicht der Geschichte machte. Ich konnte ihm nicht mehr vertrauen, würde ihm nie wieder trauen können. Dabei war er der einzige Mensch, dem ich gern vertraut hätte. Wie paradox.

      Ich eilte zu meiner Reisetasche und packte ein paar Sachen aus dem Koffer um. Ein paar ließ ich absichtlich zurück, um auf meiner Flucht keinen unnötigen Ballast mitzuschleppen. Schnell kontrollierte ich, ob ich Handy und Portmonee dabeihatte, dann zog ich die Lederjacke über das Top, schlüpfte in meine Turnschuhe und schlich zur Tür. Ich presste mein Ohr gegen das Holz und lauschte. Nichts. Keine Stimmen, keine Schritte. Doch das hieß nicht, dass die beiden Männer außer Haus waren.

      Ich wandte mich um und eilte zum Fenster. Das war definitiv der sicherere Ausgang und die zwei, drei Meter würden mich nicht umbringen. Ich riss das Fenster auf, warf einen Blick hinunter und schmiss die Reisetausche hinaus. Mit einem dumpfen Plopp landete sie auf dem Rasen. Ich sah mich draußen um, doch außer der kleinen Grasfläche um das Haus herum erkannte ich nichts als Wald. Es schien zumindest niemand in der Nähe zu sein. Tief durchatmend nahm ich all meinen Mut zusammen und schwang ein Bein aus dem Fenster. Vorsichtig kletterte ich über den Rand und ließ die Beine in der Luft baumeln, während ich mich mit den Händen an der unteren Fensterkante festhielt.

      Eins, zwei, drei.

      Ich ließ los und der Wind zischte mir um die Ohren, während mein Magen einen Salto vollführte. Als meine Fußballen auf den Boden trafen, beugte ich mich vor und rollte mich über den Rücken ab, um den Aufprall abzuschwächen. Aufgrund von mangelnder Übung ging das nicht ganz schmerzlos über die Bühne, doch das kümmerte mich jetzt nicht. So schnell wie möglich stand ich wieder auf, griff nach meiner Tasche und rannte in den Wald.

      Ich rannte, bis die Bäume mich verschluckten, bis das Sonnenlicht das Blätterdach nicht mehr durchdrang und bis ich mich umblicken konnte, ohne etwas anderes als Baumstämme zu sehen. Die Bäume verloren bereits langsam ihr Laub und ich lief wie auf einem gelben Teppich. Nach einer Weile drosselte ich mein Tempo und grübelte darüber, wo ich hinwollte. Denn jetzt hieß es nach vorne blicken und nicht mehr zurück. Ich durfte nicht einmal daran denken, was passieren würde, wenn ich einem der beiden Männer in die Arme lief. Oder einem von dreien, falls Ewans Bruder immer noch in der Nähe war.

      Falk, der Lügner.

      Ewan, dem ich noch nie über den Weg getraut hatte. Seit er in dieser komischen Traumwelt seine Geliebte wiedergetroffen hatte, wollte ich erst recht Abstand zu ihm und dieser ganzen Sache gewinnen. Ich musste mein Herz und mein Leben schützen, das hatte oberste Priorität.

      Und Darian? Er hatte uns bestohlen und war ohne ein Wort verschwunden, hatte mich bei Ewan zurückgelassen, obwohl er mir angeblich hatte helfen wollen. Auch er hatte sich in Lügen gekleidet. Was er wirklich vorhatte, wusste ich nicht. Und solange ich das nicht wusste, müsste ich mich auch vor ihm in Acht nehmen.

      Fuck. Meine Lage war ganz schön beschissen.

      Hinzu kam, dass die Kälte mit jeder Minute schneidender wurde. Mein Atem bildete weiße Wölkchen vor meinem Gesicht und meine Beine waren ermüdet von dem Sprint, den ich zu Anfang hingelegt hatte.

      Dieser Wald müsste doch irgendwann ein Ende finden? Ich würde auf einer Landstraße herauskommen und mich per Anhalter in die nächste größere Stadt fahren lassen. Oder noch weiter weg. Und dann müsste ich mir einen neuen Job suchen. Doch je tiefer ich in den Wald eindrang, desto schneller schlug mein Herz. Es war nichts zu hören außer dem Knacken der Äste oder dem Rascheln der Blätter unter meinen Sohlen. Nicht einmal Vögel zwitscherten.

      Plötzlich kam mir ein neuer Gedanke. Was, wenn mich noch jemand anderes fand? Jemand, den ich bisher nicht bedacht, nein, nicht einmal gesehen hatte.

      Die Gesandten.

      Ein eiskalter Schauer jagte meine Wirbelsäule hinunter, doch ich schüttelte die Vorstellung ab. Bisher hatte noch kein Gesandter meinen Weg gekreuzt, ich konnte nicht einmal sicher sein, dass diese himmlischen Wesen überhaupt existierten. Was für ein Pech müsste ich haben, dass sie mich ausgerechnet jetzt fänden?

      2. verstärkung

      Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen,

      sondern Sünder zur Buße.

      - aus der Bibel, Lukas 5:32 -

      Sie waren gekommen.

      Vor Michael standen drei fremde menschliche Körper auf der mit Moos überwucherten Lichtung im Herzen des Waldes. Die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen beschienen ihre regungslosen Gesichter.

      »Gabriel, Raphael, Uriel. Ich bin froh, dass ihr so schnell gekommen seid«, sprach der Gesandte. Hinter ihm stand das Auto des Sünders. Dieser Wagen und das gestohlene Buch waren Köder und Druckmittel zugleich. Das Landhaus, in das Ewan sie gebracht hatte, lag so weit abseits, dass sie ohne einen Wagen Tage brauchen würden, um die nächste Stadt zu erreichen. Und ohne das Buch würden sie ohnehin nicht fliehen. Ewan verzehrte sich nach Antworten, er brauchte sie so dringend wie menschliches Blut.

      »Bring uns auf den neusten Stand, Michael. Wo ist der Verdammte?«, fragte Gabriel im Körper eines jungen tätowierten Bikers. Die Gesandten hatten Körper aus der Umgebung wählen müssen, um so schnell wie möglich hier zu sein.


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