Götterglaube. Kristina Licht

Götterglaube - Kristina Licht


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diesen blonden Verdammten auf der Stelle auslöschen, wenn er wollte.

      »Ich habe die Klinge nicht hier«, log er. Weshalb, wusste er nicht. Dieser Verdammte folgte ihm nun schon zu lange, war auf eigenen Beinen zu seiner Hinrichtung marschiert – er schien also etwas zu bezwecken, was wichtiger war als seine Existenz. »Wir sollten ihn erst mal verhören. Über das, was er zu sagen hat.«

      Raphael lachte. »Und weshalb sollten wir ihm glauben? Er würde uns alles erzählen, nur um nicht sterben zu müssen.«

      »Ich sage die Wahrheit, ich schwöre es«, beteuerte der Blonde. War Falk überhaupt sein richtiger Name? Michael konnte immer noch nicht fassen, dass er Kiaras menschlicher Begleiter war, der so ahnungslos getan hatte. Still und unauffällig hatte er mit ihnen im Auto gesessen und Kiaras Beschützer gespielt. Ob sie wohl ahnte, wer er in Wahrheit war?

      »Ihr dürft Kiara nicht töten! Wenn sie stirbt, wird sie ebenfalls verdammt und dann gibt es einen nur noch größeren Riss im System. Das System wird zusammenbrechen«, fuhr der Blonde fort. Er schien nicht einmal Angst zu haben, obwohl Gabriel ihn immer noch fest im Griff hielt.

      »Das System wird zusammenbrechen, wenn wir unsere Arbeit nicht richtig erledigen, indem wir solche Seelen wie dich und Ewan verschonen. Genau deshalb wird es keine Gnadenfrist mehr geben«, knurrte Gabriel. »Ewan wird eliminiert. Das Menschenmädchen wird sterben. Und du wirst getilgt. Ihr alle drei. Du kannst nichts daran ändern.«

      Falk schloss die Augen, Qual überzog sein Gesicht, als hätte man ihm das Messer erneut in den Oberkörper gestoßen. Sein Kiefer spannte sich an, als er die Zähne zusammenbiss. Michael sah förmlich die Gedanken des Jungen. Ich habe versagt, stand ihm ins Gesicht geschrieben.

      3. der schmetterling zwischen den motten

      Mein Körper ist festgefroren in Zeit und Raum, als wäre es ein Fluch. Ein anderer Fluch als der der Verdammten. Denn die Verdammten hatten eine Kindheit, sie hatten ein sterbliches Leben – während ich nie eins besaß.

      Ich bin das einzig tote Wesen auf diesem Planeten. Die Nadel im Heuhaufen. Der Glassplitter im Sandkasten. Der Fremdkörper in einem atmenden Organismus.

      - aus dem Tagebuch eines Reisenden -

      Milan stieg aus seinem weißen SUV, den er in einiger Entfernung zum Haus geparkt hatte. Seit seiner Ankunft hatte er ein paar Dinge beobachtet. Zum Beispiel, wie Ewans Bruder in der vorletzten Nacht das Haus verlassen hatte. Wie Ewan und das Mädchen vergangenen Abend auf den Treppenstufen gesessen und in den Regen gestarrt hatten. Er hatte auch gesehen, wie ein blonder Knabe in einem schwarzen Hoodie heute Morgen das Haus verlassen hatte. Und etwa eine Stunde darauf, wie Kiara aus dem Fenster gesprungen war. Eins stand fest: hier herrschte reges Treiben.

      Mit großen Schritten überquerte er den Rasen, auf dem der Wind einzelne gelbe Blätter vor sich hertrieb, und sprang die wenigen Treppenstufen hinauf auf die Veranda des rustikalen Landhauses. Voller Elan klopfte er an die Tür und wartete. Und wartete.

      Milan runzelte die Stirn. Ohne Schlüssel ließ sich die Tür von außen nicht öffnen, also blieb ihm nur eine andere Möglichkeit. Mit voller Kraft trat er gegen das Holz, sodass die Tür krachend ins Innere flog.

      Wumm.

      Immer noch kein Ewan.

      War Ewan taub? Hatte Milan etwas verpasst und übersehen, dass auch sein einstiger Freund das Haus verlassen hatte?

      Milan stieg über die eingetretene Tür und sah sich auf der unteren Etage um. Das Haus wirkte verlassen, doch er spürte Ewans Anwesenheit. Ob es sein Geruch war, das leise Keuchen von oben oder eine übernatürliche Anziehungskraft, die schon immer zwischen ihnen geherrscht hatte, wusste er nicht. Aber er wusste, dass er hier war.

      Milan nahm zwei Treppenstufen auf einmal und oben angekommen, fiel sein Blick direkt auf Ewans nackten Oberkörper. Sein einstiger Freund hing an einer Metallstange, die oben zwischen dem Türrahmen befestigt war, und machte Klimmzüge. Anscheinend schon eine ganze Weile, denn sein durchtrainierter Körper war schweißüberströmt. Er hatte Kopfhörer in den Ohren und das blaue Kabel hing hinab bis in die Tasche seiner kurzen Sporthose, in

      der sein iPod steckte. Erst als Milan direkt vor Ewans Tür stand, bemerkte er den Eindringling. Abrupt ließ er die Stange los und landete leichtfüßig auf dem Boden. Gleichzeitig riss er sich die Kopfhörer aus den Ohren. »Verdammt, Milan! Was zur Hölle –?«

      »Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Ewan.« Milan zog die Mundwinkel übertrieben nach oben, bis er sich fühlte, als würde er die Grimasse des Jokers nachahmen.

      Wenn Blicke töten könnten, hätte Milan jetzt definitiv den Kürzeren gezogen. »Warum bist du uns gefolgt?«, fauchte Ewan. Seine braunen Augen funkelten dabei so aggressiv, dass Milan vorsichtshalber einen Schritt zurücktrat. Sich mit Ewan zu prügeln – vor allem, wenn er halb nackt war –, war definitiv keine gute Idee. Nicht, dass er gegen ihn verlieren würde, aber wenn er Pech hatte, würde das Gefühle wachrütteln, die er in den letzten Monaten versucht hatte, zu untergraben.

      »Wer ist uns?«, fragte Milan, ohne sein Grinsen abzulegen und ohne etwas von seinen Gedanken preiszugeben. »So wie ich es sehe, bist du mutterseelenallein.«

      Ewan verschränkte schnaubend die Arme vor der Brust, als würde er sich so besser beherrschen können. Seine Nasenflügel bebten und kurz schlug Milans Herz schneller. Härter.

      »Ich frage dich ein letztes Mal. Was. Tust. Du. Hier?«

      Milans Grinsen verflog. Mit einem ernsten Gesicht nickte er, während er seinen Mut zusammennahm und den Schritt wieder vortrat. Er hatte sich wieder unter Kontrolle.

      »Du siehst gestresst aus«, sagte er zu seinem Freund. »Weißt du, was da hilft?«

      Ewan verengte die Augen. »Was?«

      »Sex.«

      Ewan blinzelte. »Ist das dein Ernst?« Er fühlte sich verarscht, das wusste Milan. Und das erheiterte ihn. Gab ihm ein Stück Macht zurück. Seinen einstigen Freund zu ärgern, machte immer noch Spaß.

      »Ja, mein voller Ernst«, antwortete er deshalb. »Wann hast du das letzte Mal eine flachgelegt?«

      »Milan, hast du überhaupt eine Ahnung, in welcher Scheiße ich hier gerade stecke?«

      »Ja, habe ich. Aber du hast doch gerade eh nichts Besseres zu tun, als dich mit mir zu unterhalten. Statt deine Scheiße auszubaden, hängst du hier ja nur rum und arbeitest an deinen Muskeln.«

      »Ich hänge – ach, halt die Fresse. Mit dir brauche ich nicht reden!« Ewan wandte sich von ihm ab und stampfte ins Zimmer. Von der Stuhllehne nahm er sich ein Handtuch und wischte damit den Schweiß von seinem Gesicht, dann von seinem Oberkörper.

      Milan sah nicht hin. Konnte es nicht.

      »Also? Hattest du was mit diesem Mädchen?«, fragte er beiläufig, während er sich in dem kleinen Zimmer umsah.

      Ewan ließ das Handtuch sinken und starrte Milan fassungslos an. »Tickst du nicht mehr richtig? Du weißt, wen ich als letztes …«

      Milan lachte, während Ewan sich ein T-Shirt überzog. »Gütiger Gott. Dann brauchst du es erst recht, um von ihr loszukommen. Ich hatte gedacht, dass du die Gelegenheit nutzen wirst, wenn du schon mit dem frechen Mädchen abhaust.« Er wusste selbst nicht, warum er so auf dem Thema herumritt. Ewan zu provozieren, war nur ein netter Nebeneffekt. War er nach all der Zeit tatsächlich noch eifersüchtig? Schon wieder eifersüchtig auf eine Frau?

      »Du weißt, warum das nicht infrage kommt!« Ewan zog vor Milans Augen seine Sporthose aus und griff nach einer Jeans. Milan presste die Zähne zusammen. Die Unterhaltung war schön und gut, es hatte seinen Reiz, Ewan mit seinem nicht vorhandenen Sexleben aufzuziehen, aber dass er hier einen halben Striptease hinlegte, war haarscharf an der Grenze. Ob Ewan das absichtlich tat? Um ihn ebenfalls zu provozieren? Ob er überhaupt wusste, dass es Milan nach all der Zeit immer noch nicht kalt ließ? Er sah forschend in Ewans Gesicht. Nein, Ewan hatte keine Ahnung.


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