Götterglaube. Kristina Licht

Götterglaube - Kristina Licht


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die Augenbrauen und schmunzelte. Das Grün seiner Augen funkelte verschmitzt und je länger er meinen Blick erwiderte, desto unwohler fühlte ich mich. Etwas schnürte mir die Kehle zu.

      »Das war besser, als dich ohnmächtig im Wald liegen zu lassen, oder?«

      Ich war mir da nicht so sicher. Milan und Ewan kannten sich. Wenn Milan mich zu sich nach Hause gebracht hatte, würde es vermutlich nicht lange dauern, bis Ewan im Schlepptau mit dem Mann aufkreuzte, vor dem ich geflohen war.

      »Ich habe Ewan nichts von dir erzählt«, fügte er hinzu, als habe er meine Gedanken gelesen.

      Ich verschränkte die Arme vor der Brust und deutete mit dem Kopf die Treppe hinunter. »Wer ist noch hier?«

      »Paige. Sie macht Mittagessen. Ich nehme an, du hast Hunger?« Sein rechter Mundwinkel zuckte. Obwohl ich vor Hunger fast umkam, verspürte ich keine Eile, die rothaarige Brillenschlange wiederzusehen, die mich im Stich gelassen hatte.

      Gemächlich ging Milan an mir vorbei und stieg die Treppe hinunter. Er war die Gelassenheit in Person, als wüsste er ohnehin, dass ich ihm folgen würde. Wenn ich die Augen schloss und tief einatmete, stieg sogar der Duft von gebratenem Fleisch und Gemüse in meine Nase. Verdammt!

      Seufzend verdrängte ich meinen Ärger und folgte meinem neuen Gastgeber.

      Von den Händen eines Verfluchten wurde ich zum nächsten weitergereicht. Wer war ich – ihre billige Wanderhure? Der Gedanke gefiel mir ganz und gar nicht, doch um an meinem Schicksal etwas zu ändern, musste ich erst wieder zu Kräften kommen.

      Ich ignorierte Paige. Ihre strahlende Begrüßung, ihre Frage nach meinem Wohlbefinden und auch ihre gestammelte Entschuldigung, als sie merkte, dass ich alles mit kalter Schulter abblockte. Als ich sie zum letzten Mal gesehen hatte, hatte ich sie um Hilfe gebeten, weil Ewan mich fast umgebracht hätte – dann war Paige einfach verschwunden und hatte sich nie wieder blicken lassen.

      Ich setzte mich stumm an den Tisch und füllte meinen Teller mit den gebratenen Ministeaks und einer Portion Nudelsalat.

      »Mach dir nichts draus, Paige. Gestern war sie auch schon so zickig und undankbar«, sagte Milan und setzte sich neben mich. »Vielleicht ist das der Hunger. Wir sollten Snickers kaufen, wenn es nach dem Mittagessen nicht besser mit ihr wird.«

      Ich knirschte mit den Zähnen, sagte aber nichts.

      »Bist du sauer auf mich?«, fragte die rothaarige Motte, die Milan sich als Schoßhündchen hielt. »Ich habe dich nicht im Stich gelassen. Ich wollte Hilfe holen.«

      »Klar, deshalb kam deine Hilfe auch nie an.« Ich trank einen Schluck und genoss das Gefühl des Wassers in meiner ausgetrockneten Kehle.

      Paige stellte ein leeres Glas vor Milan auf den Tisch und schüttete ihm Cola ein. Obwohl es mir immer noch fremd war, dass Milan sich von seinen Motten bedienen ließ, beobachtete ich das Ganze mit kaltem Desinteresse – bis Paige plötzlich ein scharfes Küchenmesser in der Hand hielt und sich über ihre Fingerkuppe fuhr.

      Ich verschluckte mich an meinem Wasser und stellte das Glas ab.

      Ohne das Gesicht zu verziehen, ließ Paige ein paar Tropfen ihres Blutes in Milans Getränk tropfen. Dann ging sie zum Wasserhahn, ließ kaltes Wasser über ihre Hand laufen und verschloss die Wunde mit einem bereitgelegten Pflaster, als wäre das ein tägliches Essensritual.

      Mein Blick huschte zu dem blonden Mann an meiner Seite, der das Glas in die Hand nahm und mir zuprostete. Sein schiefes Grinsen verriet, dass ihn meine Sprachlosigkeit amüsierte.

      Ich räusperte mich und wandte mich erneut dem Essen zu. Dass Verdammte Blut tranken, war für mich nichts Neues. Lediglich die Selbstverständlichkeit oder die Alltäglichkeit dieser kleinen Geste hatte mich überrumpelt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich Ewan irgendwann nebenbei mein Blut in sein Getränk tropfen lassen würde. Ich verscheuchte diese Vorstellung und widmete mich stattdessen den köstlich duftenden Steaks. Niemals wieder würde ich einer dieser unsterblichen Kreaturen freiwillig mein Blut geben.

      Das Trinken und Essen tat so gut, dass ich meine Wut auf Paige und Milan für einen Moment sogar vergaß. Vorerst schien ich hier in Sicherheit zu sein, also beschloss ich, Klartext zu reden.

      »Was wollt ihr von mir?«

      Der blonde gutaussehende Mann und die rothaarige Studentin tauschten geheimnisvolle Blicke. Als überlegten sie, welche Version der Wahrheit sie mir erzählen konnten, ohne dass ich schreiend hinausrannte.

      »Also?« Ich hob abwartend die Augenbrauen. Es gab nun wahrlich nichts mehr, was mich noch schockieren könnte. In den letzten zwei Wochen hatten sich meine Weltanschauung und mein Leben um 180 Grad gewendet, ab jetzt konnte es nur noch normaler werden.

      Milan seufzte. »Ewan hört nicht auf meine Ratschläge. Vielleicht bist du leichter zur Vernunft zu bringen als er.«

      Ich runzelte die Stirn, spießte ein Salatblatt und ein Stück Fleisch auf und nahm einen Bissen, während ich seine Worte zu analysieren versuchte. »Was hast du ihm denn geraten?«, fragte ich kauend.

      Milan verdrehte die Augen. »Vieles. Hätte er auf mich gehört, befänden wir uns jetzt nicht in dieser Lage. Fakt ist, dass die Gesandten nach euch beiden suchen. Um ihn zu tilgen, müssen sie dich töten. Ich biete dir meinen Schutz an. Die Gesandten können mich nicht aufspüren, hier wärst du also in Sicherheit, während Ewan eine wandelnde Zielscheibe ist.«

      »Und warum ist er für die Gesandten einfacher zu finden als du?«

      »Je älter Verdammte sind, desto schwieriger ist ihre Verfolgung für den Himmel, weil wir uns immer weiter von unserem menschlichen Leben entfernen. Ewans Spuren sind noch frisch – ich hingegen bin so alt, dass ich mich nicht einmal an mein menschliches Leben erinnere.«

      Ich ließ mir Milans Worte und sein Angebot eine Weile durch den Kopf gehen. Mein eigener Plan – in einer Stadt ganz weit weg von hier einen Neuanfang zu wagen – hatte mehrere Risiken. Wenn himmlische Gesandte wirklich existierten und mich jagten, musste ich diese Gefahr ernst nehmen und mich erst einmal aus dieser Lage herauswinden, bevor ich irgendwo ein neues Kapitel aufschlug. Und ganz ehrlich: wollte ich wirklich zurück in meinen langweiligen, von Geldsorgen geplagten Alltag? Ich hatte immer nach mehr gelechzt und das hier war mehr. Milans Vorschlag, mir Schutz vor den Gesandten zu bieten, klang tatsächlich gut, logisch und nicht einmal allzu kompliziert. Doch jede Hilfeleistung hatte einen Haken.

      »Warum solltest du mir helfen?«, fragte ich deshalb. Was hatte er davon, sich in meine Flucht vor den Gesandten einzumischen?

      »Das lass mal meine Sorge sein.«

      Meine Skepsis vertrieb diese Antwort erst recht nicht, doch ich beschloss mitzuspielen, bis mir ein besserer Plan einfiel.

      Ich schob meinen leeren Teller beiseite und lehnte mich zurück. »Wusstest du eigentlich, dass Ewan das Buch gefunden hat?«

      Als ich Milan das letzte Mal gesehen hatte, war er ganz scharf darauf gewesen, es zu finden. Ewan und Milan hatten die Absprache getroffen, dass derjenige, der es als erstes fand, dem anderen Bescheid gab. Der Art, wie Milan jedoch gerade an seinem Fleisch erstickte, entnahm ich, dass Ewan sich nicht an den Deal gehalten hatte.

      »Das Buch?«, röchelte er.

      »Das Schwarze Buch der Verdammten«, konkretisierte ich in einem geheimnisvollen Singsang, als würde ich für eine Geisterattraktion vorsprechen.

      Milan fand diese Information weder witzig, noch nahm er sie mit Jubelschreien auf. »Wo hat der Wichser es her?«

      Ich zog beeindruckt die Augenbrauen hoch. »Und ich dachte, nur ich hätte ein Problem mit ihm.«

      Milan knallte das Besteck auf den Tisch und schob den Stuhl zurück. Anscheinend war ihm der Appetit vergangen.

      »Du musst was falsch verstanden haben. Oder er hat dich angelogen. Er kann das Buch nicht so schnell gefunden haben. Unmöglich.« Milan murmelte vor sich hin und tigerte in der Küche auf und ab. Sein Gesicht war tiefrot angelaufen.

      »Meister.«


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