Götterglaube. Kristina Licht

Götterglaube - Kristina Licht


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war schuld. Unfall hin oder her. Sie hat mich an die Gesandten verraten und mich dann auch noch überfahren. Scheiß drauf, ob mit Absicht oder nicht. Ich hasse sie.«

      Weil er jemanden hassen musste. Weil es dann leichter war, zu akzeptieren. Milan verstand dies nur allzu gut.

      »Weißt du, wenn du sie wirklich hasst … gerade dann kann der Sex echt gut werden.« Er zwinkerte Ewan vielsagend zu, der seinen Gürtel schloss und sich endlich fertig

      bekleidet hatte.

      Mit großen Schritten kam er auf Milan zu. Als er direkt vor ihm stand, nahm er sein Gesicht in die Hand, umschloss mit den Fingern Milans Kinn und blickte ihm tief in die Augen. »Du hast eine ziemlich große Klappe, was dieses Thema anbelangt. Weißt du, was ich daraus schließe, alter Freund?«

      Milan hob fragend die Augenbrauen, gab aber keinen Mucks von sich, während Ewans Finger an seinem Unterkiefer lagen. Sein ganzer Körper stand unter Spannung. Er konnte kaum atmen.

      »Ich schließe daraus«, fuhr Ewan fort, »dass du niemanden mehr flachgelegt hast, seit wir uns kennengelernt haben. Also – wer hatte nun länger keinen Sex? Du oder ich?«

      Touché. Ewan ließ ihn los und Milan zuckte nicht mit der Wimper, ließ sich nichts anmerken, regungslos wie die Skulptur eines griechischen Gottes. »Das wüsstest du wohl gern, was?« Ein schiefes Lächeln, ein schelmisches Funkeln aus grünen Augen und das, obwohl Ewan Recht hatte. Ewan war die Person, die er zuletzt geküsst hatte. Nach ihm hatte er niemanden mehr anziehend gefunden. Keinen Mann, keine Frau. An keinem Menschen hatte er Interesse gefunden, weder physisch noch psychisch, platonisch oder was es sonst noch gab. Doch das würde er Ewan natürlich nicht verraten. Lieber würde er sich die Zunge herausschneiden.

      »Also, bist du jetzt hier, um mir zu helfen oder bist du den weiten Weg gefahren, nur um mich zu nerven?«

      Eigentlich war er den weiten Weg gefahren, weil er Paige gesagt hatte, er würde sich darum kümmern. Darum kümmern, dass weder Ewan noch Kiara ihr Leben verloren. Er wollte seinen alten Freund zur Vernunft bringen und gleichzeitig noch einmal mit dem kratzbürstigen Mädchen reden. Denn irgendetwas an ihr verstand er noch nicht. Sie war wie eine verschlossene Truhe, die er aufkriegen musste, weil er wusste, dass in ihrem Inneren etwas Wertvolles zu finden war.

      »Warum hast du Kiara abhauen lassen?«, fragte er, statt auf Ewans Frage zu antworten.

      Der dunkelhaarige Mann ging zu seinem Bett und ließ sich mit einem Stöhnen darauf nieder. »Hätte nicht gedacht, dass sie sich aus den Handschellen befreien kann.«

      Milan runzelte die Stirn. »Ich hab’ gesehen, wie sie aus dem Fenster gesprungen ist.«

      Ewan sah ihn ungläubig an. »Warum hast du sie dann nicht aufgehalten?«

      Er zuckte mit den Schultern. »Ich schätze, ich wollte erst mal deine Version der Geschichte hören. Deinen Plan. Oder was auch immer. Du hast doch einen Plan, oder?«

      »Der ist schiefgelaufen. Ich hatte Kiara schon so weit, dass sie mir geglaubt hat und mir vermutlich überallhin gefolgt wäre. Doch dann musste sich dieser blonde Bubi einmischen.«

      Das musste der Junge sein, der im Morgengrauen das Haus verlassen hatte. »Wer ist er? Und warum hast du ihn überhaupt hierhin mitgenommen?«

      Ewan verdrehte die Augen. »Kiara hat darauf bestanden, ihn mitzunehmen. Er war so was wie ihr bester Freund oder so. Auf jeden Fall dachten wir, dass er ein Mensch ist, der von nichts eine Ahnung hat. Er hat hervorragend geschauspielert, hat gesehen, wie ich ihr Blut getrunken hab und ist völlig ausgerastet und all das. Aber …« Ewan seufzte tief.

      »Was aber?«

      »Aber er ist ebenfalls einer von uns.«

      »Von uns?« Das überraschte Milan nun wirklich, ihn, den eigentlich so gut wie nichts mehr überraschen konnte. »Und du hast das nicht früher bemerkt?«

      »Wie hätte ich denn? Denkst du, der Bursche hat mich vorher auch nur einen Scheiß interessiert?« Er schüttelte abfällig den Kopf und lehnte sich gegen die hölzerne Wand. »Ich hab’ ihn mitkommen lassen, damit ich ein Druckmittel gegen Kiara habe. Ich dachte, sie hängt an ihm. Außerdem war er mir ein bisschen suspekt. Ich hielt es für klug, ihn im Auge zu behalten, weil er sich für meinen Geschmack zu sehr in Kiaras Entscheidungen einmischen wollte. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass er meine Verbindung zum Himmel ausnutzt und ebenfalls vor dem Seelenteppich steht. In meinem Traum.«

      Milans Mund klappte auf. Ein Verfluchter – okay. Aber einer, dessen Seele so bewandert war, dass er sich von der Menschenwelt trennen und im Traum aus dem System klinken konnte? Sich an Ewans Seele heften konnte, um mit ihr gemeinsam im Traum die Ebene der Wirklichkeit zu besuchen?

      »Hast du mit ihm geredet? Was das sollte? Was er vorhat?«

      Ewan verzog unzufrieden den Mund. »Nur kurz. Er meinte, er wolle uns helfen und habe sich nur zu uns gesellt, weil er verhindern wollte, dass Kiara die Kreise berührt.«

      Das ergab keinen Sinn und Ewans Tonfall nach glaubte er diesem Falk ebenfalls nicht. Milan nahm sich vor, selbst ein ernstes Wörtchen mit dem neuen Verdammten zu reden. »Wo ist er hin?«

      »Keine Ahnung. Er hat heute Morgen gesagt, dass er noch etwas zu erledigen hätte. Auf jeden Fall ist Kiara vermutlich seinetwegen abgehauen. Dass er auch ein Verdammter ist, hat sie eiskalt getroffen. Jetzt vertraut sie weder ihm noch mir. Alles an Vertrauen, was ich versucht habe aufzubauen, ist wieder weg. Und sie ist bestimmt längst per Anhalter auf dem Weg in eine Stadt ganz weit weg von mir.«

      »Dir zu vertrauen, wäre ja auch töricht.«

      Ewan warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

      Milan lachte. »Ist doch so. Paige hat mir erzählt, dass du die Kleine umbringen wolltest. Stimmt das?«

      Er wich seinem Blick aus und das war Antwort genug.

      »Ich hätte dich nie für einen Mörder gehalten.« Milan seufzte. Ein letztes Mal glitt sein Blick durch das kleine Zimmer, blieb einen Herzschlag zu lange an Ewans Gesicht haften – dann drehte er sich zur Tür. Es war Zeit zu gehen. Er hatte für heute genug mit diesem Mann geredet, es waren so viele Worte gefallen wie schon seit Wochen nicht mehr. Milan hatte sich geschworen, Abstand zu halten und Ewan seinen eigenen Weg gehen zu lassen. Ewan hatte damals nicht auf ihn gehört, als er ihn vor der Beziehung mit Elaia gewarnt hatte. Er und sie hätten niemals zusammen sein können, selbst wenn Ewan nicht gestorben wäre. Sie war eine Göttin, sie gehörte nicht in die Menschenwelt. Aus ihnen hätte nie etwas werden können. Es war dumm von Ewan, sich nach seinem Tod in seine Rachegefühle hineinzusteigern. Es war dumm, dass er nach seinem Tod schon wieder nicht auf Milan gehört und das Blut eines Menschen getrunken hatte. Milan hatte ihn erneut gewarnt – warum tat er das überhaupt noch? Sein alter Freund schien nicht auf seinen Rat zu hören. Er war eigensinnig, unbelehrbar.

      »Viel Spaß mit deinen Fehlern«, knurrte Milan und ließ das Haus hinter sich. Ewan lernte nicht durch weise Ratschläge anderer. Ewan war ein Mensch, der am eigenen Leib lernen musste.

      Blieb jetzt also noch Kiara. Milan hoffte, dass er bei ihr mehr Glück haben würde, doch zuerst müsste er sie finden. Sie war anders als Paige oder andere Menschen, die von der Existenz der Verdammten wussten. Sie war keine Motte, würde niemals eine sein. Zwischen all den blassen Flügelwesen war sie ein schillernder Schmetterling.

      Er betete inständig darum, dass die Gesandten sie nicht vor ihm fanden und ihr die Flügel herausrissen.

      4. wanderhure

      Wen siehst du, wenn du in den Spiegel schaust?

      Ich traue meinem Spiegelbild schon lange nicht mehr über den Weg.

      - aus den Briefen eines Gejagten -

      Es wurde dunkler, meine Schritte schwerfälliger. Mit aller Kraft versuchte ich mich selbst davon zu überzeugen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, von Ewan und Falk Reißaus zu nehmen. Ich war schon immer gut


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