Götterglaube. Kristina Licht

Götterglaube - Kristina Licht


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mit seinem Blick auf.

      »Hast du es gesehen? Hat er es wirklich?«

      Ich nickte, sichtlich verwirrt, dass Milan dieses Buch so wichtig war.

      »Wo ist es jetzt?«

      »Darian hat es gestohlen. Ewans Bruder.«

      Milan runzelte die Stirn. »Das … das ergibt alles keinen Sinn.«

      Gut, dass Milan und ich uns zumindest in dieser Sache einig waren. Vielleicht war ich hier also doch gar nicht so schlecht aufgehoben. Milan hatte etwas an sich, dass er statt Angst das Gefühl in mir weckte, auf derselben Seite zu stehen. Aber das Gefühl hatte ich bei Falk auch schon gehabt …

      Ich schluckte und sah hinunter auf die Maserung des Tisches. Ich hatte gerade eben erst die Lektion erteilt bekommen, niemandem mehr vertrauen zu können. Also würde ich das auch nicht mehr tun.

      »Ich muss ein paar Mails checken«, sagte ich schnell und erhob mich. Ich wollte an mein Handy und ein paar Nachrichten verschicken, sichergehen, dass die Leute, die mir im Entferntesten etwas bedeuteten, in Ordnung waren. Dass die Säulen meines alten Lebens noch standen – falls ich jemals doch dahin zurückkehren wollte. Andererseits wollte ich Milans Nähe entfliehen, bevor mich das Gefühl von Vertrautheit wieder auf den falschen Weg brachte.

      Ich verließ die Küche, ohne dass Paige oder Milan mich aufhielt, doch als ich am Treppenabsatz stand, griff plötzlich jemand nach meinem Arm.

      »Lass uns reden«, sagte Paige. Ihre Augen hinter den Brillengläsern flehten mich geradezu an.

      Ich schnaubte und entriss ihr meinen Arm. Hatte ich vorhin beim Essen nicht schon deutlich gemacht, dass ich nicht hier war, um mit ihr zu reden? Ohne ein Wort ging ich die Treppe hoch. Paige folgte mir wie lästiges Ungeziefer.

      Vor dem Zimmer, in dem ich geschlafen hatte, drehte ich mich zu ihr um. »Ich hab dich früher schon nicht gemocht, aber jetzt bist du ja noch nerviger.«

      Meine Worte trafen sie, das sah ich ihr deutlich an. Dabei hatte ich ihr von vornherein klargemacht, dass ich keine Freundin suchte. Die zwei Tage mit mir hätten ihr eigentlich reichen müssen, um mich so weit kennenzulernen, dass ihr das klar wäre.

      »Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte sie. »Du hast gesagt, ich soll Hilfe holen, als er dich angegriffen hat. Ich selbst hätte dich kaum vor ihm verteidigen können, oder?«

      Ich schüttelte den Kopf und betrat das Zimmer. Mit meiner Reisetasche setzte ich mich aufs Bett, doch Paige folgte mir auch hierhin.

      »Du hättest hundert Sachen machen können, um mir zu helfen«, fauchte ich. »Stattdessen bist du zu Milan gerannt und hast dich hier verkrochen. Dich hat es nicht einmal interessiert, ob ich überlebt habe.« Ich zog den Reißverschluss auf und holte mein Handy heraus. Mehrere entgangene Anrufe blinkten mir vom Display entgegen: ein verpasster Anruf von meinem Vermieter, eine Nachricht von meinem Vater, vier Nachrichten und zwei Anrufe von Mia.

      »Das stimmt nicht«, erwiderte Paige vehement und stellte sich vor mich. »Jetzt sieh mich gefälligst an.«

      Ich hob den Kopf und bemühte mich um einen desinteressierten Gesichtsausdruck.

      »Ich war besorgt um dich und habe versucht, Milan zu überreden, dir zu helfen.«

      Ich verdrehte die Augen. »Also habe ich es dir zu verdanken, dass er mich im Wald aufgegabelt und hierher verschleppt hat? Was erwartest du? Ein Dankeschönkärtchen?«

      Wütend presste Paige die Lippen zusammen und ballte die Fäuste. »Ich habe keine Ahnung, warum du so zu mir bist! Wenn es dir lieber ist, völlig allein zu sein, bitteschön!«

      Damit wirbelte sie herum und stolzierte aus dem Zimmer. Mein schlechtes Gewissen schluckte ich herunter. Ich war es gewohnt, meine Mitmenschen zu vergraulen. Als sie voller Wucht die Tür hinter sich zuschlug, zuckte ich trotzdem kurz zusammen.

      »Ich bin so oder so allein«, antwortete ich leise auf ihre Frage. Auf diese Weise wusste ich wenigstens, dass ich allein war. Das war besser, als die Illusion einer Freundschaft aufzubauen, nur um nachher enttäuscht zu werden.

      5. hinter feindlichen grenzen

      Und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte des Himmels werden ins Wanken kommen.

      - aus der Bibel, Lukas 21:26 -

      Falks Unterleib schmerzte noch immer. Obwohl kein Messer mehr drinsteckte und die Wunde sich geschlossen hatte, war es, als fühle er den Einstich noch. Zu tief war die Klinge eingedrungen und er brauchte dringend Blut, um wieder zu Kräften zu kommen. Allerdings bezweifelte er, dass er in Gegenwart der himmlischen Kreaturen an das rote Elixier gelangen konnte. Sie würden ihm mit Sicherheit keins geben.

      Schweigend ging er mit ihnen mit. Direkt hinter ihm lief der Schwarzhaarige, der die Klinge in ihn gerammt und damit seine Tarnung hatte auffliegen lassen.

      Kurz überlegte Falk, ob er eine Chance hatte, wenn er jetzt die Waffe zog, die er zwischen Steißbein und Hosenbund geklemmt hatte. Die himmlische Klinge hatte er bei seinem letzten Besuch in Ewans Haus mitgehen lassen. Die Engel waren offenbar noch unbewaffnet, doch sie waren in der Überzahl. Er verwarf den Gedanken wieder und beschloss, auf eine bessere Gelegenheit zu warten.

      Er quälte sich nicht mehr länger mit der Frage, warum er so viel riskiert hatte – warum er dem Erzengel nachgelaufen war. Er hatte keine andere Wahl gehabt. Der Lauf der Dinge musste verändert werden, er musste etwas tun, auch wenn er dabei sein Leben riskierte.

      Aber ich darf es nicht verlieren, dachte Falk, während der Wald um sie herum sich lichtete und die Sonnenstrahlen das Blätterdach durchdrangen. Wenn er getilgt wurde, bevor sich etwas grundsätzlich verändert hatte, würde die Welt untergehen und niemand würde das mehr verhindern können. Die Engel würden das Ende zu spät kommen sehen und den Tod von Milliarden menschlichen Seelen in Kauf nehmen. Andererseits … vielleicht war sein Tod die Veränderung, die es brauchte, um das alles zu verhindern …

      Falk fragte sich, ob ihn eine himmlische Klinge überhaupt tilgen würde, oder ob seine Seele noch immer mit ihr verbunden war. Vielleicht sollte er es darauf anlegen und sich von den Engeln töten lassen.

      Als er das Ziel ihres Fußmarsches erkannte, riss es ihn aus seinen selbstzerstörerischen Gedanken und er blieb wie angewurzelt stehen.

      »Weiterlaufen!«, kam es zischend von hinten und ein harter Stoß in seinen Rücken ließ ihn vorwärts taumeln.

      »Was wollen wir hier?«, fragte er, obwohl er nicht wirklich mit einer Antwort rechnete. Sie traten als bunt zusammengewürfelte Fünfergruppe aus dem Schatten der Bäume und befanden sich vor der kleinen Ferienhütte, die ihm nur allzu vertraut war.

      Wollten die Gesandten kurzen Prozess machen und Kiara und Ewan gleich hier auf der Stelle abschlachten? Eine kleine Stimme in ihm fragte sich, ob das vielleicht nicht die beste aller Lösungen war. Ob das nicht die einzige noch denkbare Lösung war.

      »Raphael und Uriel, kontrolliert, wer sich derzeit im Haus befindet, und erstattet mir Bericht«, befahl Darian.

      Falk beobachtete, wie sich die junge Frau und der bärtige Holzfäller zur Ferienhütte schlichen, an der Holzfassade entlangglitten und in jedes Fenster spähten. Als sie die untere Etage gesichert hatten, winkte Uriel die Schwarzhaarige herein. Erschrocken bemerkte Falk, dass die Haustür fehlte, als habe sie bereits jemand aus den Angeln gerissen.

      Was war hier passiert?

      Wenige Minuten später kamen die beiden Gesandten zurück.

      »Der Sünder befindet sich im Haus. Er hat uns nicht bemerkt. Er ist allein«, berichtete der Mann.

      Ewan war allein? Wo war Kiara? Ewan hätte sie unmöglich einfach gehen lassen und ohne Wagen kam sie nirgends hin.

      »Sie muss vor ihm geflohen sein«, sinnierte Darian. »Wir brauchen sie beide. Ohne sie können


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