Götterglaube. Kristina Licht

Götterglaube - Kristina Licht


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was?« Sie warf mir einen schnellen Seitenblick zu und ich schüttelte – vermutlich zu vehement – den Kopf.

      Sie schmunzelte wissend. »Deine Mumu hat bestimmt mehr Action gesehen als meine in den letzten Monaten.«

      »Mumu?« Ich verzog die Augenbrauen und wusste nicht, ob ich über Paiges Ausdrucksweise lachen oder mir die Hände über dem Kopf zusammenschlagen sollte. »Dein Ernst?«

      Ihre Wangen wurden noch röter und sie nuschelte etwas, das ich nicht verstand.

      »Du liegst falsch, Paige. Seit über einem Jahr hat meine Mumu Betriebspause.« Außer dem kurzen Fummeln mit Falk lief schon länger nichts mehr bei mir, aber das wollte ich dringend aus meinem Gedächtnis löschen.

      »Echt?« Das schien den Rotschopf zu überraschen. Wie viele fremde Leute wollten mich eigentlich noch für eine Schlampe halten?

      »Echt«, gab ich gereizt zurück. »Weißt du, man braucht nicht für alles einen Mann. Frauen können es sich auch durchaus selbst besorgen.«

      Paige zuckte zusammen und ihr Hautton war nun bei dem ihrer Haare angelangt. Als sie nichts darauf zu erwidern wusste, seufzte ich theatralisch.

      »Fahr mir vor Scham aber jetzt bitte nicht gegen einen Baum«, bat ich.

      Sie räusperte sich. »Du brauchst keinen Mann. Message angekommen. Und du willst Ewan nicht sehen, weil er dich schwach macht. Aber was ist jetzt dein Plan? Wo soll ich dich hinbringen?«

      »Du lässt mich an irgendeinem Bahnhof raus. Ich fahre mit dem Zug in eine Stadt, die selbst du nicht kennst. Dann wird keiner der Männer eine Möglichkeit haben, mich je ausfindig zu machen.« So viel zu meinem Plan.

      »Hast du gar keine Angst vor den Gesandten?«, fragte Paige und warf mir einen unsicheren Seitenblick zu. »Milan könnte dich zumindest beschützen.«

      »Bisher ist mir keiner von denen begegnet. Hast du schon einen Engel gesehen?«

      Paige schüttelte den Kopf, aber ihr schien mein Plan dennoch nicht zu gefallen. »Und wo willst du schlafen? Wovon willst du leben? Was ist, wenn du an dem Bahnhof überfallen und ausgeraubt wirst?«

      »Was ist, wenn du auf der Rückfahrt einen Anhalter mitnimmst und er dich absticht?«, konterte ich galant wie immer.

      Statt mir zu antworten, schmollte Paige und drehte nach ein paar Minuten das Radio auf. Die leisen Klänge eines Popsongs füllten das Wageninnere. Das schien zumindest Paige zu entspannen, denn ihr Gesicht nahm wieder seine normale Farbgebung an. Als sie von der Autobahn runterfuhr und uns durch die Straßen einer mir fremden Stadt lenkte, wusste ich, dass es Zeit für den Abschied war.

      »Mir ist trotzdem nicht wohl dabei, dich einfach hier abzusetzen«, murmelte sie. Wir folgten einem Straßenschild, das uns zu einem Bahnhof wies.

      »Ich werde schon klarkommen«, versicherte ich ihr.

      Es war keine Großstadt, weshalb auch der Bahnhof winzig war. Ein paar Busse standen an ihren Haltestellen und vereinzelte Menschen warteten an den Gleisen auf den nächsten Zug. Paige parkte den Wagen und sah mich lange an.

      »Hör auf damit«, forderte ich. Da wir uns kaum kannten, bestand kein Grund, jetzt irgendwie sentimental zu werden.

      »Was, wenn ich dich nie wiedersehe?«

      Das gehört zum Plan. Stattdessen sagte ich: »Ich werde nicht sterben, Paige. Ich gehe, damit ich endlich leben kann.«

      Sie nickte, dann griff sie nach hinten und zog ihre Handtasche vom Rücksitz. Als sie nach ihrem Portmonee kramte, schüttelte ich den Kopf.

      »Das ist nicht nötig«, sagte ich schnell, doch Paige streckte mir trotzdem eine Handvoll Geldscheine entgegen.

      »Das ist alles, was ich an Bargeld habe.«

      Ich wollte wieder ablehnen, doch sie drückte mir das Geld in die Hand.

      »Geh und pass auf dich auf.«

      7. katz und maus

      Es ist gleich, wie schnell wir zu rennen vermögen, wie gut wir zu kämpfen glauben, wie gründlich wir unsere Spuren verwischen. Sie werden uns stets finden, auslöschen wie Ungeziefer, als haben sie beschlossen, dass die Ewigkeit uns die Menschlichkeit nahm. Als wenn das fremde Blut unser Herz verunreinte, die Wahrheit uns als unwürdig kennzeichnete. Wie Eva, die die Frucht der Erkenntnis aß und Gottes Gunst verlor. Als sei Erkenntnis die einzige Sünde, für die man keine Vergebung bekommt.

      - aus dem Schwarzen Buch der Verfluchten -

      Sich ein neues Leben aufzubauen, war hart, aber machbar. Frühmorgens starrte ich an die modrige Decke eines billigen Hostels und traute mich nicht, die Augen zu schließen, aus Angst, dass mich im Schlaf jemand fände. Nachts arbeitete ich unter falschem Namen in einem Club und bekam das Geld direkt auf die Hand. Tagsüber versuchte ich, den versäumten Schlaf nachzuholen oder mich durchs Lernen für mein Studium von meinen Zweifeln abzulenken. Zum Glück gab es die meisten Vorlesungen und Skripte online, sodass ich sie auf mein Handy ziehen konnte.

      Eine Woche nach meiner Flucht lebte ich tatsächlich die Illusion, dass ich nicht mehr gefunden werden würde. Dass mein Abenteuer mit Ewan, Falk und den Gesandten vorbei war. Ich war entkommen. Ich hatte ein neues Kapitel aufgeschlagen. Doch zu welchem Preis?

      »Kommst du für fünfzig Mäuse mit auf die Toilette?«, brüllte der Mann gegen die Musik an. Ich gab mir Mühe, bei dem Angebot nicht die geschminkten Lippen zu verziehen. So geschmacklos seine Wortwahl auch war – es war definitiv nicht der schlimmste Vorschlag heute Nacht.

      Das hier war nicht das Leben, das ich wollte. Doch es war eine Übergangslösung, bis ich genug Geld zusammen hatte, um mir eine Wohnung und einen langweiligen Job bei Tageslicht zu leisten.

      Ich stellte mich auf Zehenspitzen, um seinem Ohr näher zu kommen. »Ich verkaufe Drinks, Gras und Pillen. Nicht meinen Körper.«

      Als ich zurück auf die Fußballen sank, glitt sein Blick über mein knappes Outfit. Er wirkte nachdenklich – und er war nicht einmal hässlich. Trotzdem verspürte ich nicht den geringsten Hauch an Interesse.

      »Schade, ich hätte auch mehr als fünfzig für dich geboten.«

      Früher hätte das unmoralische Angebot mein Herz höherschlagen lassen, heute blieb es taub in meiner Brust. Es hatte seine Gründe gehabt, weshalb ich meine Vergangenheit hinter mir lassen wollte, weshalb ich keinem Kick mehr hinterherjagen wollte – und nach all der Mühe, die ich mir bei der Flucht davor gegeben hatte, stand ich doch wieder hier. Ich hatte versagt. Meine Vergangenheit hatte mich eingeholt.

      Ruckartig drehte ich mich um, stellte das Tablett mit den Pinnchen auf einem runden Stehtisch ab, nahm beide Gläser in die Hand und reichte dem Fremden eines davon. Ich wollte meinem Versagen zumindest nicht nüchtern gegenüberstehen.

      »Zehn!«, rief ich dem Fremden entgegen und hob das Pinnchen in die Luft. Zehn Mäuse. Es war schon praktisch, fürs Trinken bezahlt zu werden. Der junge Mann nickte und wir stürzten den Alkohol gleichzeitig hinunter. Meine Kehle brannte und ich kniff kurz die Augen zusammen.

      »Dreißig dafür?«, fragte er und zog mich plötzlich an sich heran.

      »Ich hab’ gesagt, nicht meinen Kör…« Seine warmen Hände streiften meine nackte Taille und ich verstummte. Stattdessen nickte ich benommen und der Mann senkte seinen Kopf zu mir herunter. Das Wummern der Bässe drang durch jede Pore meines Körpers, doch die Aufregung blieb aus. Ich fühlte mich leer und wusste nicht warum. Als ich mich von dem fremden Mann küssen ließ, drehte sich alles in meinem Kopf.

      »Kommst du nun für zweihundert mit?«, raunte er in mein Ohr.

      Seine Hartnäckigkeit irritierte mich. Ich hatte dem Clubbesitzer klargemacht, dass ich mich nicht prostituieren würde. Ich wurde für den Spaß der Gäste bezahlt, der von euphorisierenden Substanzen bis hin zu kleinen Spielereien ging: es gab Männer, die mich fürs Tanzen bezahlten, gestern hatte mir eine Frau Geld


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