Götterglaube. Kristina Licht

Götterglaube - Kristina Licht


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wirken, das würden die Höchsten mitkriegen. Also gibt es jemand anderen, der die Spuren des Sünders verwischt.« Darian nickte zu seinen Worten, als müsste er sie selbst bestätigen. »Dieser Verfluchte hier weiß mehr, als er uns glauben lassen will. Ich weiß zwar nicht, woher er sein Wissen hat. Aber er hat eindeutig zu viel davon.«

      Falk presste die Lippen zusammen. Dass er zu viel wusste, wollte er nicht einmal abstreiten. Aber er konnte den Gesandten nicht die Antwort geben, nach der sie verlangten. Er wusste ebenfalls nicht, wer der Verräter aus dem Himmel war.

      »Darf ich meine Befragung dann fortführen?«, fragte Gabriel höhnisch.

      Bittend sah Falk zu Darian hoch. Binde mich los und lass uns gemeinsam arbeiten. Faustschläge helfen euch auch nicht weiter.

      Darian sagte nichts und als Falk ein metallisches Klacken hörte, sackte ihm das Herz in den Magen. Er schloss resigniert die Augen.

      Eine Sekunde später fuhr ein atemraubender Schmerz durch seinen linken Oberschenkel, als Gabriel die Klinge seines Taschenmessers darin versenkte.

      »Jetzt rede!«, befahl der schwarzhaarige Engel.

      »Gabriel, wir sollten –«

      »Dein Gewissen ist fehl am Platz, Michael!«, zischte er. »Ich habe genug davon, die ganze Zeit hier festzusitzen und darauf zu warten, dass er redet! Er ist kein Mensch. Er ist eine verstoßene Seele. Er hat sich gegen Vater gewandt, gegen das System, gegen alles, was wir Leben nennen!«

      Angestrengt öffnete Falk die Augen und sah hinunter auf das Messer in seinem Bein. Blut tränkte seine Jeans und vor seinem Blick verschwamm alles für ein paar Herzschläge. Dunkel. Hell. Er blinzelte.

      »Du meinst, ich hab’ mich gegen den Gefängniswärter gestellt«, erwiderte Falk, konnte es nicht unkommentiert lassen, obwohl seine Stimme nur noch ein Röcheln war, weil er keinen Muskel im Gesicht mehr spürte und sein Mundraum voller Blut war.

      »Siehst du? Kreaturen wie er wissen das Leben nicht einmal zu schätzen! Es ist doch immer das Gleiche mit diesen Verdammten!«

      »Nein«, erwiderte Falk schwach. Obwohl er in seinem Zustand nicht mehr sprechen sollte, war sein Wille, sich gegen diese Gesandten zu behaupten, ungebrochen. Er würde nicht kleinbeigeben. Er war hier, um die Welt zu retten. Er war hier, um sie zu retten. »Da liegst du falsch, Engel. Gefängnis hin oder her. Eine ewige Zeitschleife hin oder her – ich bin hier, weil ich für das Leben kämpfe. Für das eines jeden Menschen. Wir stehen auf derselben Seite.«

      Gabriel hockte sich vor Falk, sodass sie sich auf Augenhöhe trafen. Falks Blickfeld war getrübt, doch die stahlgrauen Augen des tätowierten Bikers musterten ihn so intensiv, dass es ihn daran hinderte, sein Bewusstsein zu verlieren.

      »Was glaubst du denn, ist der Auslöser für die Apokalypse, hm?«, fragte sein Folterer.

      »Gabriel, nicht –«

      »Nein, ich will seine Antwort hören. Verdammte wissen doch nichts von unserer Mission hier. Sie sind egoistisch und kurzsichtig, egal wie viele Jahrhunderte sie schon gelebt haben.«

      »Ich habe noch kein einziges gelebt«, murmelte Falk.

      Gabriel lachte. »Siehst du. Ein Frischling weiß erst recht nichts von dem, was sich hinter den Säulen des Systems abspielt.«

      »Ich weiß, dass –« Falk stöhnte und schloss kurz die Augen. »Dass zu viele Verfluchte das System einstürzen lassen. Diese Welt wird auseinanderbröckeln, wenn zu viele von ihnen auf einem Fleck existieren.«

      Der Gesandte kniff skeptisch die Augen zusammen. »Und wieso bist du dann ausgerechnet hinter Ewan und seiner Blutsverbundenen her? Gibt es keine anderen Verdammten, an deren Fersen du dich heften kannst?«

      Falk spuckte das Blut aus, das sich in seinem Mund gesammelt hatte. Mit letzter Kraft hob er den Kopf und blickte Darian in die Augen. Er war derjenige, den er überzeugen musste. Bei Gabriel redete er ohnehin nur gegen eine Wand.

      »Weil ich ganz genau weiß, wie und wann es zum Weltuntergang kommen wird. Und wer der Auslöser sein wird.«

      9. plan no. 1

      Manchmal kann das Verlangen nach einer anderen Seele einen verzehren.

      Als wenn man allein nicht vollständig wäre.

      - aus dem Tagebuch eines Reisenden -

      Warum ist er mich holen gekommen?

      Ja, ich wusste, dass die Gesandten irgendwo da draußen waren und dass Ewan Angst um seine Unsterblichkeit hatte. Aber dachte er wirklich, dass ich sofort draufginge, wenn er mich ein paar Wochen allein ließ?

      Ich war quicklebendig und weit davon entfernt, auf übernatürliche Weise ermordet zu werden. Ob es sich wohl lohnte, noch einmal mit ihm darüber zu diskutieren?

      Ich bemerkte, dass ich ihn die ganze Zeit unverhohlen anstarrte. Schnell sah ich nach rechts aus dem Seitenfenster, bevor es Ewan ebenfalls auffallen konnte. Ich hatte wirklich gehofft, dass meine alberne Schwärmerei in den zwei Wochen ohne ihn abgeklungen wäre. Aber hier saß ich wieder in seinem schicken teuren Sportwagen und fühlte mich genauso wie am ersten Tag unserer Bekanntschaft.

      Sein Gesicht war so schön, seine Wangenknochen so markant, seine leicht gebräunte Haut so ebenmäßig, dass ich den Kopf am liebsten wieder zu ihm drehen wollte. Stattdessen schloss ich die Augen und tat so, als würde ich schlafen. Da Ewan die letzten zwanzig Minuten keinen Ton gesagt hatte, ging ich davon aus, dass er nach wie vor nicht das Bedürfnis verspürte, mit mir zu reden oder mir sein Innerstes zu offenbaren. Sein Schweigen war mir mittlerweile vertraut. Genauso wie das Autofahren mit ihm. Irgendwie hatte dieser Moment etwas von einer Heimreise – obwohl ich dank Ewan mein Heim verloren hatte. Falls ich überhaupt je eins besessen hatte.

      Die Richtung, die meine Gedanken nahmen, zeichnete tiefe Falten in meine Stirn. Ich sollte wahrlich besorgt darüber sein, dass dieser Mann, der eine Mischung aus Entführer, Stalker und Mobber war, ein Gefühl von Geborgenheit in mir auslöste.

      Ich atmete tief durch, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Vielleicht wirkte noch der Restalkohol? Doch stattdessen stiegen mir all die vertrauten Gerüche in die Nase: das Leder der Sitze, der Pfefferminzduft seines Wagenerfrischers, gemischt mit Ewans Parfum und dem Hauch von Zigarettenqualm.

      Ewan hatte mich zurück zu sich geholt. Und ich war nicht einmal wütend darüber.

      Falk.

      Elaia.

      Die Engel.

      All diese Personen waren so weit weg. Ich öffnete die Augen und schielte unauffällig nach links. Er war nicht weit weg. Egal wie oft und wie weit ich floh – er holte mich immer zurück. Das war verrückt. Und noch verrückter war es, dass ich deswegen lächeln musste.

      Erst am Nachmittag hielten wir das erste Mal an. Da ich so weit wie möglich hatte fliehen wollen, war nun die Rückreise umso länger. Obwohl ich die ganze Nacht wach gewesen war, hatte ich im Auto nicht schlafen können. Zu viele Gedanken kreisten in meinem Kopf.

      Dankbar für die Rast schnallte ich mich ab und öffnete die Wagentür. Meine Blase drückte schon seit Stunden.

      »Können wir dort auch was essen?«, fragte ich mit einem Blick auf das Lokal neben der Tankstelle.

      Ewan antwortete nicht, sondern steckte wortlos den Tankschlauch in seinen Wagen.

      »Ich geh schon mal rein«, setzte ich ihn in Kenntnis. Erstens war es arschkalt und zweitens musste ich wirklich dringend.

      Als ich die Toiletten verließ, schweifte mein Blick durch das Lokal. Ich entdeckte meinen wortkargen Begleiter, Schrägstrich Entführer in einer Ecke auf einem mit rotem Leder überzogenen Hocker. Auf dem dunklen Tisch vor ihm standen zwei Gläser mit Cola.

      Als ich mich gegenüber von ihm hinsetzen wollte, heftete er den Blick auf mein Gesicht. Länger als üblich starrte er mich an.

      »Hättest


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