Götterglaube. Kristina Licht
was in den letzten Tagen passiert ist und was dein blonder Freund damit zu tun hat«, antwortete er.
Er meinte offensichtlich Falk. Ein Thema, über das zu plaudern ich nicht gerade erpicht war. Woher wusste er überhaupt von ihm?
»Frag doch deinen Kumpel Ewan, was er in seinem Landhaus mit mir vorhatte. Und Falk ist nicht mein Freund. Er ist ein Kommilitone und ich hatte keine Ahnung, dass er bereits das Zeitliche gesegnet hat. War’s das? Ich hätte gern etwas Privatsphäre. Danke für deine Gastfreundschaft, aber ich kenne dich nicht und habe dich nicht darum gebeten, hier zu sein.« Ich lächelte übertrieben freundlich und hoffte, er würde mich jetzt allein lassen.
Aber nein. Er setzte sich stattdessen neben mich auf das Bett. Ich stöhnte und verdrehte die Augen. Was war nur los mit den Leuten? Ich brauchte dringend etwas Zeit für mich, um all meine Möglichkeiten abzuwägen und wieder zur Ruhe zu kommen. Ich fühlte mich wie ein gejagtes Kaninchen, das in die Ecke gedrängt wurde.
»Was wollte dieser Falk von euch?« Milan überging meinen Wunsch einfach.
»Wie oft soll ich das noch sagen? Ich weiß es nicht.« Und ich wollte es nicht einmal wissen. Ich wollte weder wissen, warum er gelogen, noch warum er mich gezeichnet hatte. Was ich wollte, war, ihn aus meinem Gedächtnis zu streichen. Ich wünschte, ich hätte ihn niemals kennengelernt.
»Er ist euch nicht ohne Grund gefolgt, Kiara.«
Ich presste die Lippen zusammen. Dachte Milan, ich wüsste das nicht? Natürlich hatte Falk einen hinterhältigen Plan verfolgt, wenn er mir vorgespielt hatte, ein ganz normaler Mensch zu sein. Er hatte vermutlich von vornherein gewusst, was Ewan war – noch bevor ich es erfahren hatte! Er hatte sogar gewusst, dass ich mit ihm verbunden war. Er hatte alles gewusst.
»Warum musste Ewan bloß mein Blut trinken?«, fauchte ich, mehr zu mir selbst, als dass ich eine Antwort von Milan erwartete. Die Antwort kannte ich bereits und niemand konnte mehr etwas daran ändern. Damit hatte alles angefangen und jetzt steckte ich in dem Schlamassel.
»Immer noch sicher, dass ich ihm nicht sagen soll, dass du hier bist?«, fragte Milan in sanfterem Tonfall.
Ich schüttelte den Kopf. Mir war klar, dass ich es nicht ewig vor mir herschieben konnte, doch ich war noch nicht bereit, ihn wiederzusehen. Seit jener Nacht, in der Ewan mir die Wirklichkeit gezeigt hatte, in der ich ihn mit Elaia gesehen und in der Falk sein wahres Gesicht offenbart hatte, war mir alles zu viel.
»Manchmal kommt es nicht darauf an, ob du Angst hast«, sagte Milan, als habe er meine Gedanken gelesen. »Es ist egal, wie sehr du dich fürchtest oder wie gern du dem Schrecken aus dem Weg gehen möchtest. Denn die Gewissheit, dass er dich irgendwann einholt, fordert von dir, dich der Angst zu stellen. Es ist egal, wie weit oder schnell du zu rennen vermagst, irgendwann wird die Flucht ihr Ende finden.«
Irgendwann wird sie das, ja. Ich schluckte eine sarkastische Antwort hinunter. Denn auch wenn sich sein Rat wie ein Spruch aus einem Glückkeks anhörte, war in ihm mehr Wahrheit enthalten, als ich im Moment ertragen konnte.
»Ich habe keine Angst vor Ewan«, war alles, was ich dazu sagen konnte.
»Okay.« Milan nickte, auch wenn er nicht überzeugt schien. Er wartete, ob ich noch etwas zu dem Thema loswerden wollte, vielleicht wartete er auch auf einen Schwall Fragen, doch ich schwieg und starrte stattdessen auf den Laminatboden.
»Weißt du denn, wo dieser Falk ist?«, wollte Milan schließlich wissen. »Ich würde gern mit ihm reden.«
Wieder schüttelte ich den Kopf, dann räusperte ich mich. Ein bisschen Kooperation hatte Milan wohl verdient. »Ich kann dir seine Adresse geben. Vielleicht ist er ja nach Hause zurückgekehrt, obwohl ich das nicht glaube.«
»Okay. Das wäre zumindest ein Anfang.« Milan erhob sich und zog ein Smartphone aus seiner Hosentasche. »Tipp sie ein.«
Als Milan aus dem Zimmer ging, starrte ich ihm noch eine gefühlte Ewigkeit lang nach. Vielleicht hätte ich doch mehr sagen sollen. Vielleicht hätte ich ihn mehr fragen müssen. Meine Hand fuhr automatisch zu meinem rechten Unterarm. Mittlerweile war der November angebrochen, blieben nur noch etwa fünf Wochen bis zum 12.12.
Hätte ich ihm die Zahlen zeigen sollen? Ihm von meinem Traum erzählen sollen, in dem er mir das Tattoo gestochen hatte? Ihm sagen sollen, dass Falk von einer Apokalypse gesprochen hatte? Vor den Gesandten und Verdammten mochte man ja fliehen können – doch vor dem Weltuntergang konnte man nicht davonlaufen.
***
»Schlecht geschlafen?«, fragte Milan am Frühstückstisch.
Mittlerweile war die dritte Nacht in diesem Haus vergangen. Und der gefühlt hundertste Traum von Falk. Ich wollte nichts weiter als ihn zu vergessen, aber mein Unterbewusstsein hatte offenbar andere Pläne.
»Diese Träume bringen mich noch um den Verstand«, murmelte ich und bestrich mein Croissant mit Erdbeerkonfitüre.
»Welche Träume?«, schaltete sich Paige neugierig ein. Wir hatten uns zwar nicht vertragen, aber ich hatte aufgehört, sie zu ignorieren und zu beleidigen. Streit war kräftezehrend und ich brauchte meine Kräfte für anderes.
Ich seufzte und biss in das frische Croissant. Eigentlich wollte ich nicht über meine Träume reden, aber vielleicht steckte irgendetwas Übernatürliches dahinter und die beiden konnten mich aufklären. Es ist hundertprozentig etwas Übernatürliches. Mein Traum von dem Tattoo und der Traum von meinem Autounfall sind schließlich auch mehr als bloße Träume gewesen, erinnerte ich mich selbst. Ich musste mich wohl damit abfinden, dass ich keine normalen Träume hatte wie normale Menschen.
Ich stöhnte frustriert auf und beschloss, die Karten auf den Tisch zu legen. »Ich träume von Falk. Jede einzelne Nacht. Außer, als er neben mir geschlafen hat in der Hütte … obwohl …« Ich brach mitten im Satz ab. In der Nacht in der Hütte hatte ich auch etwas geträumt, etwas Heißes, aber ich wusste nicht, wer der männliche Part gewesen war … es hätte also genauso gut auch Falk sein können. Das hieße dann, dass ich seit geraumer Zeit jede verdammte Nacht von ihm träumte. Shit.
»Seit wann geht das so?«, fragte Milan, die Stirn grübelnd in Falten gelegt. Zumindest zog er mich nicht damit auf, das war schon einmal ein Pluspunkt für ihn. Ewan hätte bestimmt dumme Witze darüber gerissen, dass ich ständig von Falk träumte.
»Ich weiß nicht. Seit zwei, drei Wochen vielleicht«, gab ich zu und legte das angebissene Croissant ab. Ich hatte keinen Appetit mehr. Jeder Gedanke an diesen Typen verursachte noch immer Übelkeit in mir. Ich hatte ihn um Hilfe gebeten, ich hatte nachts schutzlos neben ihm gelegen, wir hatten uns geküsst – und dabei wusste ich gar nicht, wer oder was er war.
»Hey, du solltest ein wenig essen«, meinte Paige fürsorglich, doch ich schüttelte den Kopf.
»Ich habe eine Theorie«, sagte Milan. Über den Tisch hinweg beobachtete ich, wie er einen vorsichtigen Schluck von seinem heißen Kaffee nahm. »Bezüglich deiner Träume.«
»Und die wäre?« Für jede logische Erklärung wäre ich dankbar, denn wenn ich erst die Ursache kannte, konnte ich auch nach einer Lösung suchen.
»Wir wissen, dass Ewan dich von deinem rechten Weg geführt hat, er hat deinen Kreislauf verändert. Was wäre, wenn du in deinem ursprünglichen Kreislauf mit diesem Falk zusammen gewesen bist? Hundertmal, tausendmal. Dann wäre es nur logisch, dass deine Seele sich nach ihm sehnt und ihn quasi zurückfordert.«
Dass meine Seele sich nach ihm sehnt.
Könnte das sein? In welchem Leben bitteschön sollte ein Mädchen wie ich mit einem Kerl wie Falk zusammen sein? Er war doch gar nicht mein Typ. Wieso sollte ich in all meinen früheren Leben mit ihm zusammen gewesen sein? Ihn geheiratet haben. Ich glaubte, mein Frühstück käme mir jeden Moment wieder hoch.
»Ich gehe in mein Zimmer, wir sehen uns später«, presste ich heraus und stand auf.
»Hey!«, rief Paige mir nach, doch ich blieb nicht stehen. Ich flüchtete aus der Küche, als würde jedes weitere Wort zu dem Thema die Sache nur realer