Götterglaube. Kristina Licht
konnte ich mich, weil seine Nähe mich lähmte. Und weil ich ihn aus irgendeinem Grund nicht ansehen wollte. Ich beschloss, dass ich ihm lieber zuhörte, während er hinter mir stand. Während all die Leute um uns herum tanzten und niemand Notiz von uns beiden nahm.
»Du wirst jetzt mitkommen, in meinen Wagen steigen und zurück zu Milan fahren.«
Mit diesem Vorschlag hatte ich bereits gerechnet. Ich stieß langsam die Luft aus. Sollte ich erneut versuchen zu fliehen? Ich wusste, dass ich schon zu lange davonlief. Vor Ewan, vor den Gesandten und vor Falk. Und jedes Mal wurde ich gefunden. Jetzt erneut davonzurennen, würde mir in meiner Situation nicht helfen. Ich musste mich ihr endlich stellen. Mit allen Konsequenzen und mit allen dazugehörigen Parametern. Wie zum Beispiel Falk. Er war Teil des Problems, welches ich in Angriff nehmen sollte, anstatt es zu meiden.
»Wo ist Falk?«, fragte ich deshalb mit erhobener Stimme, damit Ewan mich über die Lautstärke hinweg verstand.
Ich spürte ihn an meinen Haaren ausatmen. »Der ist nicht bei mir. Auch nicht bei Milan.«
Irritiert runzelte ich die Stirn. Wo war er dann? Ich drehte mich endlich zu Ewan um, und da er auf tanzendes Pärchen machte, schlang ich die Arme um seinen Hals. Ausdruckslos starrte er auf mich herunter, meinem Gesicht so nah, dass unsere Nasenspitzen sich beinahe berührten.
Ich wusste, dass ihm diese Nähe missfiel, umso schadenfroher stimmte sie mich. Ein wenig nervös machte sie mich aber auch.
»Du bleibst also dabei, dass es uns nur im Doppelpack gibt?«, fragte ich.
Er schnaubte. »Wenn du mal aufhören würdest, dauernd durch das halbe Land vor mir zu fliehen.«
»Nächstes Mal fliehe ich in ein anderes Land. Was hältst du davon?« Bei dem Gedanken musste ich tatsächlich grinsen. Als ich so vor ihm stand, wurde mir bewusst, dass ich gar keine Angst vor ihm hatte. Höchstens vor den Gefühlen, die er in mir auslöste. War meine ganze Panik in der vergangenen Woche einzig auf Falk zurückzuführen? Der Gedanke gefiel mir noch weniger. Dieser blonde verlogene Milchbubi durfte keine solche Macht über mich haben.
Ewan nahm seine Hände von mir und trat einen Schritt zurück. Vermutlich hatte dieser verschlossene Mann jetzt seinen ganzen Jahresvorrat an Nähe aufgebraucht. Bevor ich noch etwas erwidern konnte, griff er mein Handgelenk und zog mich durch die Menge in Richtung Ausgang.
»Hey, ich muss noch meine Jacke und meine Tasche holen!«, rief ich und versuchte, ihm meine Hand zu entreißen. Vergebliche Lebensmüh. In seinem Griff war mein Arm gefangen wie in einem Schraubstock.
»Wo sind deine Sachen?«, fragte er und blieb stehen.
»Mitarbeiterraum«, antwortete ich. »Du kannst draußen warten, ich komme dann gleich nach.«
»Ja, ist klar.«
Ich verdrehte die Augen. Da Ewan sich nicht abwimmeln ließ, folgte er mir in den kleinen kargen Raum, in dem es nach Zigarettenrauch stank. Sein Vertrauen hatte ich wohl verloren – falls dieser Mann überhaupt jemals jemandem sein Vertrauen schenkte. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Auch ich verzichtete darauf, mich auf andere Menschen zu verlassen.
Draußen zog ich den Reißverschluss meiner Jacke zu und verfluchte mich dafür, keinen Schal mitgenommen zu haben. Die Temperaturen waren in den letzten Tagen rasch dem Nullpunkt entgegengesunken, obwohl wir erst Mitte November hatten. Zum Glück parkte Ewan direkt hinter dem Club – auf einem reservierten VIP-Parkplatz. Der Mann scheute wahrlich keinen Gesetzesbruch. Falschparken war vermutlich sein geringstes Vergehen.
Er ließ mich los und umrundete den schwarzen Sportwagen. Ich hechtete ohne zu zögern ins Innere, in der Hoffnung auf Schutz vor der Kälte. Währenddessen schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich aus Fehlern nicht lernte. Dass ich immer wieder und wieder zu ihm stieg. Was sagte das über mich aus?
Ewan startete den Motor und fuhr los. Mein Blick haftete auf der Gangschaltung, wo seine rechte Hand ruhte – nur Millimeter von meinem Knie entfernt.
Was sagt das über mich aus?
Langsam wurden mein Rücken und mein Hintern warm. Er hatte wohl die Sitzheizung angeschaltet.
»Können wir Musik hören?«, fragte ich, als das Schweigen mir zu drückend wurde. Obwohl ich diesem Mann wieder folgte, schien ihn noch immer etwas zu ärgern. Dass er wütend auf mich war, war ein Dauerzustand, aber diesmal war etwas anders.
»Du hättest gefunden und getötet werden können«, zischte er, anstatt auf meine Frage zu antworten.
Ich verdrehte die Augen. »Jaja, und dann wärst du wieder sterblich. Ich weiß.« Ich hatte seine Rede aus dem Landhaus seines Dads noch gut genug in Erinnerung.
Er runzelte die Stirn und etwas an der Art, wie er von der Straße wegsah und mich anblickte, sagte mir, dass ich den Nagel diesmal nicht auf den Kopf getroffen hatte. Aber wozu sonst hätte er Grund gehabt, sich so aufzuregen?
Kurz war ich davor, ihm zu erklären, dass ich diesmal wegen Falk weggerannt war, dass ich seinen Verrat nicht ertragen hatte, dass ich wirklich geglaubt hätte, wir wären so etwas wie Freunde gewesen, doch in letzter Sekunde presste ich die Lippen zusammen. Meine Beweggründe würden Ewan ohnehin nicht interessieren.
»Also zurück zu Milan, und dann?«, fragte ich, bemüht um einen geschäftlichen Tonfall.
»Dann denken wir uns etwas aus, um die Gesandten zur Hölle zu schicken.«
8. wer nicht reden will, muss fühlen
Bis du an mir zerbrichst, bis ich an dir zerbreche.
Und wir aneinander tiefe Schnitte lassen.
- aus den Briefen eines Gejagten -
»Ich wollte mich an ihre Fersen heften und dafür brauchte ich ihr Vertrauen, okay?«, krächzte Falk, als er ein und dieselbe Frage schon zum vierzehnten Mal beantworten musste.
Der Schwarzhaarige, Gabriel, hatte schon vor einigen Tagen ein Seil um seine Hand- und Fußgelenke geschlungen. Es schnitt in seine Haut, brannte an seinen aufgeschürften Handgelenken. Trotz besseren Wissens konnte Falk nicht aufhören, daran zu zerren und zu versuchen, das Seil zu lockern, um an den Dolch zu kommen, den er unter seinem Pullover am Steißbein trug.
Ein erneuter Faustschlag landete in seinem Gesicht und riss seinen Kopf herum.
»Gabriel, er sagt die Wahrheit«, ertönte Michaels Stimme. Der Engel stand wieder an die Küchentheke gelehnt da und beobachtete das Ganze, ohne selbst einen Finger zu rühren.
Das Spiel spielten sie schon wie lange? Drei Tage? Vier? Falks Gehirn fühlte sich wie ein Haufen Matsch an, dabei prügelten sie nur sein Gesicht zu Brei.
»Warum sollte ein Verdammter ausgerechnet die beiden Seelen verfolgen, die wir jagen?«, fragte Gabriel aufgebracht. Seine Nerven hatten sich seit ihrer ersten Begegnung nicht beruhigt – im Gegenteil, der Engel schien mit jedem neuen Tag einen kürzeren Geduldsfaden zu besitzen. Vielleicht lag es auch daran, dass die anderen beiden Gesandten noch nicht zurück waren.
»Weil ich …« Falk rang nach Luft. »… nach einer Möglichkeit suche, die Apokalypse zu verhindern.«
»Blödsinn!«
Der Fausthieb kam unerwartet. Falks Nase knackte und ein Schwall Blut ergoss sich über den Küchenboden.
»Gabriel!« Darian war einen Schritt vorgetreten, seine Miene besorgt.
Gabriel hielt mahnend die Hand hoch. Er war noch nicht fertig. »Wie gut kennst du Ewan?«
»Gut genug«, keuchte Falk, seine Lippen mit Blut benetzt, das ihm aus der Nase lief.
»Weißt du auch, warum er von uns nicht gefunden werden kann?«
»Gabriel, woher soll er …« Doch Darian verstummte. Als Falk aus geschwollenen Augen zu ihm hochblickte, sah er diesen nachdenklichen Ausdruck in Darians Gesicht. Als würde es tatsächlich Sinn ergeben, wenn Falk eine