Fürstenkinder 8 – Adelsroman. Regine König

Fürstenkinder 8 – Adelsroman - Regine König


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die sich in ihre kleinen, nicht minder kalten Hände bohrten.

      »Wenn du bei uns bleiben könntest…«, sagte der Junge plötzlich mit zaghafter Stimme.

      Da aber stand schon der Wachtmeister Küster aus dem Dorf vor der kleinen, bisher kaum beachteten Gruppe.

      »Ihr seid doch… wie kommt es überhaupt, daß ihr unverletzt seid?«

      »Die Tür ging auf, und wir sind herausgeflogen!« sagte der Junge.

      »Aber da hinten«, er wies auf seine etwas magere Sitzfläche – »da spür ich’s.«

      »Und ich…« Nun begann das kleine Mädchen zu weinen.

      »Die Kinder werde ich mitnehmen!« erklang in diesem Augenblick eine kräftige, wenn auch ein wenig harte Männerstimme. Und das Antlitz, zu dem sich Angelas blaue Augen unwillkürlich hoben, war scharf geschnitten, ja, beinahe kühn, wie es oft Abenteurer und Seefahrer haben.

      »Herr Graf!« sagte Wachtmeister Küster und nahm beinahe eine militärisch stramme Haltung an. »Das ist ja auch das nächstliegende. Nur eine Notiz für meinen Bericht…«

      »Wohin schon sonst sollten wir die Kinder Ihrer verunglückten gräflichen Schwester und ihres… Gatten bringen?« vollendete Wachtmeister Küster. Er wußte vor Aufregung überhaupt nicht mehr, wie man die Gutsherrschaft und ihre Verwandten ansprechen sollte. Hätte er doch nur heute dienstfrei gehabt!

      Aber so ging es ihm immer! Stets wenn er Nachtdienst hatte, geschah etwas. Und wenn er auch nur die alte, immer betrunkene Lina aus dem brüchigen und längst abbaureifen Armenhaus von der Straße auflesen mußte. Dabei hatte man im Dorf nicht einmal eine Ausnüchterungszelle. Alles blieb am diensthabenden Wachtmeister hängen.

      Nur gut, daß Graf Justus von Hallermünde, Gutsherr auf Schloß Hallermünde, das am Ende der blühenden Kastanienallee lag, sofort zur Stelle gewesen war. Noch vor der Polizei!

      Viele Jahre war Graf Justus im Ausland herumgereist, war erst zurückgekommen, als der älteste verheiratete Bruder tödlich mit dem Pferd stürzte und er das Gut übernehmen mußte, das über und über verschuldet war.

      Aber gleichviel: die Kleinen konnte er gewiß für diese Nacht aufnehmen.

      »Die Kinder nehme ich mit!« erklärte in diesem Augenblick die junge Angela sehr energisch. Sie warf den Kopf dabei ein wenig zurück. Das nachtblaue Chiffontüchlein um den Schopf flog bei jedem Wort hin und her, und zwar sehr energisch.

      »Die Kinder brauchen jetzt Liebe!« erklärte sie.

      »Und Sie glauben, das hätten sie bei mir nicht?«

      Der große, breitschultrige, sportlich gestählte Mann mit dem sehr dunkel gebräunten Gesicht lachte ein wenig spöttisch.

      »Liebe!« betonte Angela und fühlte sich etwas verwirrt.

      Wie stattlich sah dieser Mann aus, von dem sie wußte, daß er der kürzlich zurückgekehrte Graf Justus war. »Liebe, die…« Sie begann zu stammeln.

      »Glauben Sie nicht, daß ich jemanden liebhaben könnte?« erkundigte sich der Mann. »Sprechen Sie mir etwa die Voraussetzung für die Liebe ab?«

      Angela versuchte, sich zusammenzureißen, wollte eine kecke, schnippische Antwort finden.

      Wie kam dieser Mann dazu, sie solche Dinge zu fragen?

      Aber irgendwie ging etwas Zwingendes von ihm aus, dem sie einfach nicht entfliehen konnte.

      Röte stieg ihr ins Gesicht.

      Liebe!

      Sie fühlte auf eine nie gekannte Weise das Blut durch ihre Adern jagen.

      Ich habe sicher auch einen Schock bekommen. Weshalb kann ich nichts sagen?

      Graf Justus schaute trotz der schrecklichen Situation beinahe belustigt auf Angela, die beinahe noch wie ein Kind wirkte.

      Er hatte alle Weltteile bereist, und er hatte viele Frauen nicht nur gekannt, sondern auch besessen. Er war sich seiner Macht über Frauen durchaus bewußt.

      Na, dies kleine Doktorsmädchen machte wohl keine Ausnahme. Nur seltsam –, daß auch er irgendwie angerührt wurde.

      Aber das kommt wohl daher, weil es für mich auch ein Schock war, sinnierte der Graf, daß sie beide gerade vor der Kastanienallee verunglückten, meine schöne Schwester Isabella und ihr Mann.

      Natürlich standen wir nicht zueinander wie gute Verwandte. Man sah sich ja kaum. Aber der Schwager Alexander war Forschungsreisender gewesen. Und die beherzte Isabella hatte ihn immer begleitet. Man hatte Forschungsergebnisse ausgetauscht. Das verband ein wenig. In den nächsten Tagen hatte man Reiseerinnerungen austauschen wollen. Graf Justus arbeitete genau wie sein verunglückter Schwager Alexander an einem Werk über Nordafrika. Man hätte sich ergänzen können.

      Nun waren sie tot, Isabella und Alexander.

      Sterben müssen wir wohl alle einmal! dachte der Mann grimmig. Und da kam diese kleine Person, deren Haarschopf im leichten Nachtwind wehte, und schlang die Arme um die Kinder seiner Schwester, als wolle sie sie vor ihm beschützen.

      Und sprach ihm die Fähigkeit ab, lieben zu können.

      Mir, ausgerechnet mir!

      Sie weiß ja noch gar nicht, was Liebe bedeutet! revoltierte der Mann mit dem kühlen Gesicht, den das Schicksal dazu verurteilt hatte, Landwirt zu werden. Und das auf einem völlig verwirtschafteten Besitz.

      Nichts, gar nichts weiß sie von Liebe, diese närrische kleine Person.

      Im gleichen Augenblick aber versicherten der Junge und die kleine Micky, daß sie sehr wohl an Angelas Liebe glaubten.

      »Die hat uns wirklich lieb!« erklärte Chris. Er stampfte dabei herrisch mit dem Fuß auf. »Und Micky und ich gehen auch mit ihr und nicht mit dir. Wer bist du überhaupt?«

      »Zufällig euer Onkel!« antwortete Justus von Hallermünde trocken. »Eine Ehre und Freude ist’s aber nicht.«

      Dabei wandte er sich ab und besprach mit den Polizeibeamten noch Einzelheiten.

      Dann erklärte er sich auch bereit mitzukommen. Denn da gab es noch vieles zu ordnen.

      Angela sah nicht, wie der Mann noch einmal zu ihr herüberschaute. Sie hatte mit Chris und Micky zu tun, die jetzt mit den Zähnen zu klappern begannen.

      »Setzt euch auf den Rücksitz meines Autos. Und dann dauert es gar nicht mehr lange, bis ich euch ins Bett gepackt habe.«

      »Wieso?« fragte der grauhaarige Dr. Kilian, als er die beiden schmalen Gestalten im Fond des Wagens zusammengekauert sah.

      »Die nehmen wir mit, Papa!« Angela sagte es, als sei es ganz selbstverständlich, daß sie mitten in der Nacht zwei wildfremde Kinder auf der Landstraße auflas. »Oder – Paps, hast du schon einmal einen einfach so sitzenlassen, der nicht weiß, wohin er soll?«

      Da senkte der Mann den Kopf.

      Nein, niemals hatte er das gekonnt. Die Menschen waren für einen Arzt stets die Hauptsache.

      Während er noch nachdachte, fühlte er eine Hand an seinem Jackenärmel zupfen.

      »Du, Paps, wenn… wenn… ich meine…«

      Dr. Wilhelm Kilian schaute in das junge und jetzt sehr blasse Gesichtchen der Tochter.

      »Setz dich auf den Rücksitz zu den Kindern. Die brauchen jetzt so etwas wie eine Mutter, kleine Doktorin. Und das Fahren werde ich übernehmen.«

      Angela seufzte erleichtert auf.

      Komisch, daß ihr jetzt die Hände zitterten, jetzt, wo gar nichts mehr passierte. Eigentlich war doch nun alles in Ordnung.

      Sie hockte sich zwischen die beiden Kinder, legte wieder die Arme um sie, daß die Kinderköpfe gegen ihre schmalen Schultern sanken.

      *

      »Na!«


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