Tage mit Turmalin. Ronja Potstawa

Tage mit Turmalin - Ronja Potstawa


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      Tage mit Turmalin

      Erzählungen

      Ronja Potstawa

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      zufällig und nicht beabsichtigt.

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      © 2014 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

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      Telefon: 08382/9090344

      Titelbild: Sven Roth

      Lektorat: Raphael Milker

      Alle Rechte vorbehalten.

      Erstauflage 2014

      Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de

      ISBN: 978-3-86196-430-8 - Taschenbuch

      ISBN: 978-3-96074-185-5 - E-Book

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Inhalt

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      Prolog

      Ich bildete es mir nicht ein, ich sah es, sah, wie ein Loch in meine Zimmerdecke brach und Wasser in den Raum einströmte, und ich wurde zu der Öffnung hochgerissen und schwamm hinaus. Ich hatte langes Wellenhaar und die Flosse einer Meerjungfrau und so saß ich auf einem Felsen inmitten des dunklen, aufbrausenden, tosenden Meeres und um mich herum tobte der Sturm.

      *

      Turmalin - 1. Teil

      Der Stuhl wurde hart. Die Zeit zu lang, der Tag dehnte sich vor mir aus, unendlich verzerrt.

      Ich lehnte mit dem Hinterkopf an der harten, kalten Wand im Hauptgebäude von Pucci Prints & Publishing. Meine Augen waren offen, das Halbdunkel noch viel zu hell für sie. Es war vollkommen still. Nein. Irgendwo eine Uhr. Metallisches, monotones Ticken.

      Ich atmete aus.

      Die Tür mir gegenüber wurde geöffnet, sie sprang mir förmlich entgegen, in mein Gesicht, in meine schmerzenden Augen. Eine Frau stand vor mir, eine Sekretärin vermutlich, Kostüm, Hornbrille, Hochsteckfrisur, der obligatorische Blick auf die Uhr, die den nahenden Feierabend nicht früh genug ankündigen konnte – all dies nahm ich wie im Zeitraffer wahr, in harter, greller Abfolge.

      „Herr Ziemer?“

      Ich nickte – das Gesicht der Sekretärin war seltsam verschoben, verzerrt, verschwommen. Aus der Perspektive geraten. Ihr Tonfall wurde ungeduldiger, schärfer, sie wartete auf meine Aufmerksamkeit.

      „Sie können dann gehen. Man hat heute keine Zeit mehr für Sie. Melden Sie sich doch morgen noch einmal telefonisch im Hauptbüro, dann wird Ihnen ein neuer Termin zugeteilt.“

      Sie drehte sich auf den Absätzen ihrer glänzenden schwarzen Lackschuhe um und verließ mich schwungvoll, jeder Schritt schmerzte in meinen Ohren, bis sie das Ende des langen Korridors erreicht hatte, der sich gen Himmel zu winden schien und dort oben verschwand.

      Ich nahm mein Manuskript in der Mappe mit zitternden Händen – waren es meine? Sie fühlten sich so taub und nutzlos an, nicht zugehörig zu meinem Körper in dem zu großen, schlecht sitzenden Anzug mit der ungeschickt gebundenen Krawatte – und erhob mich. Schwankend, mit der Hand an der Wand entlangstreifend. Eile war nicht nötig, es war ohnehin schon viel zu spät, ich hatte so viel verpasst ...

      Das Orchester verbeugte sich gerade mit großer Geste, als ich in den Konzertsaal trat und die ersten Zuhörer drängten sich bereits an mir vorbei auf dem Weg zum Ausgang des Konzerthauses.

      Ein leichter Schwindel überkam mich und mein Kopf schmerzte noch schlimmer. Die schlimmste Ohnmacht – ohne Macht zu sein – sie nahte, ich fühlte es. Schwankend ließ ich mich vom Strom der Menschen um mich herum mitziehen, zurück nach draußen, in die Kühle der Nacht. Laut war es, grell, zu viele Menschen, Wagen, Lärm, Gelächter verzerrt in meinen Ohren. Ich wankte durch ein Labyrinth mit schwimmenden Konturen, gesichtslosen Schemen und Licht und die Menschen umschlossen mich und wurden zu Monstern. Ich vergrub die zitternden Hände in meinen Manteltaschen, umklammerte mit den Fingern die schwarze Baumwolle und sehnte mich unwillkürlich in mein dunkles, stilles Appartement zurück. Meine Füße in den schwarzen Lederschuhen verloren sich in feuchtem Herbstgras. Gras? Gerade war es doch noch Asphalt ... Und endlich kam die Nacht und alles wurde dunkel um mich.

      Was mich zurückbrachte, konnte ich nicht genauer definieren. Meine Augenlider flogen auf wie verlorene Vögel und tauchten ein in tiefes Grün, klar, pur, rein. Und doch verloren. Mein Unterbewusstsein ließ mich wissen, dass es sich um eine menschliche Iris handelte. Zwei Augen, die über mir schwebten. Dann eine Stimme.

      „Ebenholz.“ Es war die einer Frau, jung vermutlich, so nah bei mir.

      „Schneewittchen.“ Ich antwortete aus Reflex.

      Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“

      Ich wollte protestieren. Natürlich, ganz selbstverständlich waren Schneewittchens Haare Ebenholz nachempfunden. Doch alles in mir schien betäubt.

      „Ihre Augen“, erklärte die Unbekannte, „es sind Ihre Augen, die mich an Ebenholz erinnern.“ Endlich konnte ich ihr Gesicht klar vor mir sehen, ihre feinen Züge und das Einzige, worüber ich mir augenblicklich im Klaren war, war, dass sie ebenso wenig an diesen Ort gehörte wie ich selbst.

      „Wie ist Ihr Name?“, fragte sie mich dann.

      „Vegard Ziemer.“

      „Wirklich?“ Ein zartes Lachen am Rande ihrer hellen Stimme.

      Ich nickte heftig.

      „Es passt aber zu Ihnen. Irgendwie.“

      Erst jetzt wurde mir klar, dass ich auf einer Parkbank lag und sie neben mir saß, eine ihrer zierlichen Hände auf meiner Schulter ruhend. Sie konnte nicht älter als Anfang zwanzig sein.

      „Und wie lautet Ihr Name, wenn ich fragen darf?“

      Sie lächelte nur wortlos und zog mich an der Hand von der Bank hoch. „Geht es Ihnen besser?“

      „Was ist denn mit mir passiert?“ Mein Gedächtnis wies deutliche Lücken auf.

      „Ich war gerade aus dem Konzert gekommen, als ich Sie fallen sah. Sie stolperten über den Rasen und wurden ohnmächtig. Als niemand kam, um Ihnen zu helfen, brachte ich Sie hierher.“

      „War es denn wenigstens schön?“

      „Was denn?“ Sie betrachtete mich irritiert.

      „Na, das Konzert. Ich wollte es mir eigentlich anhören, doch ich wurde anderweitig aufgehalten und kam zu spät.“

      „Ach das, ja, es war wirklich schön, ein wenig zäh vielleicht, aber Brahms und Liszt sind nicht jedermanns Sache.“

      Ich schwieg und erst jetzt fiel mir auf, wie kalt die Nacht war und was sie trug. Ihre ganze Gestalt schien zu strahlen; ihr glattes, blondes Haar hatte sich teilweise aus der Klammer gelöst, die es in ihrem Nacken zusammengehalten hatte, und fiel ihr spielerisch in das blasse Gesicht mit den feinen Zügen. Sie war mindestens einen Kopf kleiner als ich und trug ein Kleid, das


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