Tage mit Turmalin. Ronja Potstawa
Seine Oberfläche ist grün, sein Inneres rosarot.“
Für einige Sekunden herrschte Stille. Dann fragte sie: „Warum ein Edelstein?“
„Weil Sie funkeln, Turmalin.“
Vielleicht trogen mich meine Augen in dem unklaren Halbdunkel, doch ich glaubte, Tränen in ihrem Blick erkennen zu können, als sie mich anlächelte. Und auf einmal überkam mich das ganz und gar unerwartete Gefühl, sie schon einmal in dieser Wohnung gesehen zu haben, als würde sie dazugehören, schon immer, und wir hatten es nur beide nicht gewusst.
Ich wandte mich gerade um, um zu gehen, als ich ihre Stimme so leise und doch kristallklar erneut vernahm.
„Möchten Sie nicht vielleicht hierbleiben?“ Ihre Worte klangen so zögerlich, so unsicher und zart.
„Was meinen Sie bitte?“
„Ob Sie nicht vielleicht hier schreiben möchten?“ Ihre Augen betrachteten mich noch immer aus dem Halbdunkel, als ich mich wieder zu ihr umdrehte. Sie wirkte so klein und schmal in dem schwachen Lichtschein, der vom Korridor her hineindrang und ihr helles Haar zum Leuchten brachte.
Ich räusperte mich leicht.
„Nun, aber das Licht, das ich dafür benötigen würde ... würde es Sie nicht stören?“
„Oh, nein, nein, das macht wirklich gar nichts, ehrlich.“
Meine Überzeugung, allein im Wohnzimmer zu schreiben, wankte mit jedem Augenblick, mit dem ich weiter in ihre glitzernden Augen sah.
„Wenn ich Sie auch wirklich nicht störe ...“
Ich beobachtete, wie sie sich mit ihrem blassen Handrücken leicht über die Wange strich, bevor sie so leise und kaum hörbar erwiderte: „Ich wäre jetzt nicht so gern allein.“
Jedes ihrer Worte schien tief in mich einzudringen und stach ebenso tief in die entlegensten Winkel meines Herzens und ich konnte nur atemlos flüsternd antworten: „Sorgen Sie sich nicht, ich hole nur noch Stift und Papier.“ Damit entschwand ich in mein Arbeitszimmer, verschaffte mir das Nötigste, löschte alle übrigen Lichter und kehrte zu ihr zurück.
Sie lag noch immer in exakt derselben Position in meinem Bett und sah mich leicht lächelnd an, als ich mich in vernünftiger Distanz zu ihr auf das Bett setze, die Lampe auf dem Nachttisch anknipste, mein Notizbuch auf meinen Knien ausbreitete und anschließend meinen Federhalter öffnete.
„Danke.“ Wieder nicht mehr als ein zartes Flüstern.
„Oh bitte, Turmalin.“
Das brachte sie erneut zum Lächeln und sie betrachtete mich, den Kopf auf eines meiner Kopfkissen gebettet. Ihr helles Haar verdeckte fast gänzlich das graue Textil und ihre Hand lag so nahe bei mir auf der Decke.
„Worüber schreiben Sie denn eigentlich?“ Ihre Worte waren nun von Müdigkeit durchtränkt.
Ich seufzte leise. „Um ehrlich zu sein, weiß ich es nie ganz genau. Mir fehlt die letzte, bedeutende Inspiration. Aber vielleicht wird es um eine Begegnung gehen ...“
Ich verlor mich in meinen Sätzen, und als ich wieder zu ihr sah, erblickte ich ein wunderschönes Gesicht in friedvollem Schlaf.
Ich zückte den Stift und die Worte flossen von allein und füllten Seite um Seite, als hätte eine bedeutendere Macht den Stift an meiner statt ergriffen.
*
Die Wölfe
Sie rennen über den moosig grünen Waldboden. Sie streunen herrenlos. Mit fast grotesker Leichtigkeit trotz ihrer massigen, muskulösen Körper stürmen sie durch das Laub, dort ist niemand, der sie führt, und niemand, der sie leitet.
Sie müssten schwer sein, doch sie sind es nicht. Sie leiten sich selbst. Zu einem Ort, der wie ein Relikt scheint aus einer vergangenen Zeit, längst bedeutungslos im Strom des großen Rahmens, der uns umschließt und uns eindringlich mit tiefer, sonorer Stimme das Heute in die gespitzten Ohren raunt.
Der Rahmen weitet sich wie der Wald zu einer Lichtung, mehr Licht wartet auf die Wölfe. Den Grund kennen sie nicht; die Bäume sind zu hoch. Doch sie haben es nicht im Sinn zu fragen; sie tun, wozu sie gekommen sind. Wozu sie geboren sind.
Nicht die scharfen Steine, nicht die glatte, feuchte Erde, nicht die beißenden Lichtstrahlen, nicht die Geräusche dessen, was sie nicht kennen, nicht kennen können – nichts hält sie auf. Nichts hält sie im Rahmen.
Sie brechen aus, immer wieder, sie entgleiten dem Rahmen, der sie nicht mehr hält und nicht mehr halten kann. Der Rahmen fällt auseinander, die Wölfe kontrollieren ihn. Sie halten seine Stangen mit dem Griff scharfer Zähne, blitzend wie gewetzte Messer. Sie zerteilen die Stangen, reißen sie entzwei.
Dann bedecken sie die Reste dessen, was sie einst gehalten hat, mit ihren großen, geschickten Pfoten, die Krallen umschließen flink das dünne Material. Sie schlagen ihre Zähne hinein, immer wieder, bis sie es gebrochen haben. Ihre gierigen Zungen fischen die Einzelteile aus ihrem Zahnfleisch.
Bis sie gänzlich gebrochen haben, was sie einst fest- und ferngehalten hat. Von dem, was sich dort draußen verbirgt. Außerhalb des Rahmens. Mit zufriedener Zunge lecken sie sich über die Zähne. Sie haben ihr Werk vorerst vollendet.
Sie strömen nun zu allen Seiten aus der Lichtung heraus, aus dem lichtbeschienenen Ort mit den Resten des Rahmens, verloren auf dem moosigen Grund verstreut. Sie strömen in die Tiefen des Waldes, die sie nie kannten, in leichtfüßigerem Lauf, fast schwebend, wie von einer Last befreit.
Und während sie rennen, fahren sie sich mit der Zunge über die scharfen Zähne und schlucken alle Reste des Rahmens.
Zurück auf der Lichtung bleiben die Schafe, im alten Rahmen. Sie lassen sich leiten und führen.
Doch sie wetzen ihre Zähne in der Dunkelheit der Wälder und kehren zu der Lichtung zurück ohne Gebiss. Der Rahmen, der sie hält, kennt die Wahrheit nicht:
Die bösesten Wölfe waren noch immer die Schafe.
*
Marie
Ich wollte das Bewusstsein schnellstmöglich verlieren, doch mein Kopf war so hellwach und ich schien so in diesem Moment gefangen zu sein, dass ich meinen festen Griff über die vorüberziehenden Sekunden nicht lösen konnte, als ich mich hinlegte und die weiche Bettdecke über meine erschöpften, geschwächten Glieder zog.
Meine unbedeckten Arme lagen auf der Decke und ich merkte, wie ich die Bettkante mit einem Zeigefinger gedankenlos entlangstrich, sie ohne Ziel betrachtete.
Es war ein schwacher Versuch, mich von der Hoffnung abzulenken, dem Wunsch, dem einen Verlangen, das mein Herz umklammert hielt.
Mein Zimmer war gedämpft beleuchtet in der Dunkelheit der Nacht – fast dem frühen Morgen – sanft getränkt in Mondlicht, das durch meine halbgeschlossenen Rollläden schien. Ich konnte es nicht ertragen, sie gänzlich zu schließen. Nie, falls ...
Das war der Augenblick, in dem ich ihn endlich sah.
Dort saß er, nur höchstens zwei Meter entfernt von mir in meinem Schreibtischstuhl, mich betrachtend.
Als mein Blick den seinen traf, zeigte sich ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. Ich konnte es trotz des Halbdunkels so klar sehen, als wären wir umgeben von hellem Tageslicht. Doch vielleicht war ich auch nur sehr sicher, dass er lächelte. Vielleicht war es nur meine bloße, pure, reine, egoistische Sicherheit, dass es ihn freute, mich zu sehen ...
Er musste bemerkt haben, dass ich kurz davor war, etwas zu sagen, denn er legte einen Finger an seine Lippen und hielt meine ungeschickten Worte auf. Natürlich hatte er sie bereits gewusst.
Es gelang mir, sie zurückzuhalten und mich für eine gefühlte Ewigkeit zusammenzunehmen, eine Ewigkeit, die kein