Tage mit Turmalin. Ronja Potstawa

Tage mit Turmalin - Ronja Potstawa


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dachte, es wäre wärmer heute Abend.“ Eine zögerliche Antwort.

      „Bei mir ist es immer kalt.“

      Sie sah mich an, Fragen schienen in dem dunklen Grün zu liegen, doch sie stellte sie nicht. Sie räusperte sich leicht. „Wohnen Sie weit von hier?“, wollte sie dann wissen. Ich sah mich um. Einige Meter entfernt vor dem Konzerthaus stand mein Wagen. Verlassen und vereinsamt.

      „Nein, eine kleine Autofahrt.“ Ich müsste einmal durch die ganze Stadt fahren, aber ich wollte sie nicht noch weiter aufhalten.

      Sie berührte meinen Arm, ganz leicht, sodass ich ihre Finger kaum spürte, doch ich sah die feinen Härchen an ihren Armen; ihr musste sehr kalt sein.

      „Wie geht es Ihnen jetzt?“

      „Besser, danke.“ Ich war im Begriff, meinen Mantel abzustreifen und ihn ihr zu geben, doch sie winkte heftig ab.

      „Nein, nein, kein Problem, lassen Sie mal, ich muss sowieso gehen, es ist schon viel zu spät. Freut mich sehr, dass es Ihnen wieder besser geht.“

      Sie drehte sich um und war im Begriff zu gehen, doch ich näherte mich ihr und umfasste sanft ihren Arm. Sie schrak leicht zusammen, sodass ich ihn sofort losließ und einen Schritt zurücktrat.

      „Warten Sie doch bitte, ich muss Ihnen doch sehr für meine Rettung danken und ich weiß nicht, ob wir uns noch einmal wiedersehen!“

      „Sie schulden mir keinen Dank. Und hoffen ... wünschen Sie für uns beide, dass wir es nicht tun.“ Sie lächelte, doch ihr Lächeln schwankte und dann verließ sie mich so leicht, so flink wie eine Tänzerin und verschwand wie eine Vision, als hätte nur ich sie je gesehen und da ich ihren Namen nicht kannte, nannte ich sie Turmalin.

      Ich fuhr durch strömenden Regen nach Hause, schloss die Tür auf, huschte ins Haus und – war allein. Ein stilles, dunkles Treppenhaus empfing mich. Ich suchte in meinem Sakko nach dem Schlüssel; das Flurlicht schien defekt zu sein. Über all dem Geklirr hätte ich fast etwas überhört, das plötzlich an mein Ohr drang. Ein Laut in der Dunkelheit. Ich spürte Panik in mir aufsteigen.

      „Ist jemand hier? Wer sind Sie?“ Meine Worte klangen ebenso schwach und zittrig, wie meine Beine sich anfühlten. Ich tat einen vorsichtigen Schritt näher zu meiner Tür – und erstarrte.

      „T...Turmalin!“

      Dort stand sie tatsächlich, direkt vor meiner Tür, an das alte Holz gelehnt, ihr Haar schimmernd, ihre Augen glitzernd.

      „Vegard, bitte, es tut mir so leid, ich wollte Sie nicht erschrecken, aber ich ...“ Und auf einmal weinte sie und ich stand vor ihr mit meinen zitternden Knien und meine Gedanken überschlugen sich.

      „Aber nicht doch, was ...“, ich stockte, „was haben Sie denn?“ Sie weinte nur leise und sah mich an. Ich trat die wenigen Schritte auf sie zu, die uns voneinander getrennt hatten, und berührte ihre Schulter. Vorsichtig, zart. Sie trug noch immer ihr Kleid und meine Fingerkuppen strichen über unbedeckte, kühle Haut.

      „Kann ich bei Ihnen bleiben?“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und sie wirkte so schmal und zart, dass etwas in mir zerbrach. Ich hörte förmlich das Zerbersten einer Eisfläche, deren Existenz mir nie bewusst gewesen war.

      „Können Sie nicht nach Hause gehen?“

      Sie schüttelte heftig den Kopf, schluchzte und schlug beide Hände vor ihr schönes Gesicht. Ich berührte ihre Hände leicht, um sie wegzunehmen, damit ich ihr in die Augen sehen konnte.

      „Was ist passiert?“, fragte ich dann leise und fing ihren tränenverhangenen Blick ein. Es lag so viel Schmerz in ihm, dass ich meine Augen schon fast abgewandt hätte, so unerträglich war es, sie anzusehen.

      „Ich kann es nicht ... nicht sagen, wirklich nicht, ich ...“ Sie brach ab und sah mich nur an und langsam kehrte das Rauschen des Regens vor den Fenstern zurück und wir in das kühle Treppenhaus mitten in der Nacht und alles wurde klar.

      „Kommen Sie“, sagte ich, schloss meine Wohnungstür auf und ging hinein. Sie folgte mir langsam und schweigend bis in mein Wohnzimmer, in dem wir einander gegenüberstanden und nur der rauschende Regen die Stille füllte.

      „Schön haben Sie es hier“, sagte sie dann leise, „wirklich schön.“

      Sie stand vor mir, wischte sich mit den Fingern in einer leichten Geste die Tränen von ihrem liebreizenden Gesicht und ich betrachtete sie. Sie musste es bemerkt haben, denn sie traf meinen Blick und Verlegenheit mischte sich in das tiefe Grün ihrer Augen.

      „Es tut mir leid, vielleicht sollte ich doch lieber gehen“, sagte sie dann und sah mich an. Ich räusperte mich, um aus meiner seltsamen Starre zu treten, die mich befallen hatte und mich wie ein Schraubstock umgriffen hielt, seitdem ich sie in meinem dunklen Korridor angetroffen hatte.

      „Nein, nein, wenn Sie sagen, Sie können nicht in Ihr Zuhause, dann brauchen Sie ein anderes ... einen anderen Aufenthaltsort, meine ich.“ Meine Stimme wurde leiser und rauer, als ich sprach, und meine Unsicherheit schien sich durch den gesamten Raum zu winden wie eine zischende Schlange, die ihre giftige Zunge nach der meinen ausstreckte.

      Sie lächelte mich durch ihre Tränen an und wartete. Als ich schwieg und sie nur ansah, sprach sie für mich.

      „Wo ... darf ich ... kann ich ... denn schlafen?“ Ihre Frage war leise und ihr Blick wanderte durch mein karg möbliertes und doch vollgestelltes Wohnzimmer, auf mein Sofa mit dem dunkelgrauen Bezug, die hölzernen Bücherregale, gefüllt bis an die Zimmerdecke, den alten Fernseher, die Lampen; eine lange Reise vollzog dieser Blick, bis er wieder bei mir angelangt war.

      „Nun, Sie können gern mein Bett verwenden, es wäre komfortabler als das Sofa und bequemer als mein Küchenstuhl“, erwiderte ich und wies mit der Hand in Richtung Schlafzimmer. „Es ist gleich nebenan.“

      Sie folgte meiner ausgestreckten Hand und warf einen Blick in mein ebenso spärlich möbliertes Schlafzimmer: mein sorgfältig gemachtes Bett, Kleiderschrank, Beistelltisch mit Stehlampe. Und alles aus dunklem Holz.

      „Das ist doch nicht nötig, ich kann ruhig das Sofa nehmen, ich meine, wenn ich doch sowieso schon hier eindringe, so unangemeldet und spät ...“ Sie fuhr sich durch das helle Haar, während sie sprach, und sah mich verlegen an, was meine Unsicherheit mit einem Schlag verfliegen ließ.

      „Nein, das ist völlig in Ordnung“, antwortete ich.

      „Und wo schlafen Sie? Auf dem Sofa?“

      „Ich schlafe heute Nacht nicht. Ich ... werde schreiben, denke ich.“

      „Oh, sind Sie Autor?“

      „Nun, ja. Zumindest versuche ich, einer zu sein.“

      Sie betrachtete mich. Unausgesprochene Fragen lagen unverkennbar in ihrem tiefen Blick, Fragen, die ich jetzt nicht beantworten würde. Sie wusste das und stellte sie deshalb nicht, sondern nickte nur.

      „Ich danke Ihnen.“

      „Nicht dafür, Turmalin.“

      Sie zog ihre Schuhe aus und stellte sie vor meine Eingangstür, dann ging sie barfuß über den langen Korridor in mein Schlafzimmer, nein, sie tänzelte lautlos über das dunkle Parkett, denn sie lief auf den Ballen blasser kleiner Füße wie eine Tänzerin. Sie zog die Bettdecke bis unter ihr blasses Kinn und betrachtete mich, als ich im Eingang des Zimmers stand, die Klinke in der Hand.

      „Entschuldigen Sie?“

      „Ja?“

      „Was ist Turmalin?“

      „Was meinen Sie?“

      „Na, den Namen, mit dem Sie mich vorhin angesprochen haben. Was ist das?“

      Ich zögerte und sah in ihr schönes Gesicht, das mir aus dem Halbdunkel neugierig entgegenblickte.

      „Ein Edelstein“, antwortete


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