Der Verlorene von Hans-Ulrich Treichel: Reclam Lektüreschlüssel XL. Jan Standke
schwierig ist, da auf dem Foto des gesuchten Arnold die Ohren verdeckt sind (S. 68 f.), was von den Eltern mit Bestürzung, vom Ich-Erzähler hingegen mit Schadenfreude zur Kenntnis genommen wird. Die Ausführungen, die sich u. a. auf einen Vergleich von Stirn, Lidspalte und anderen physiognomischen Merkmalen beziehen, schließen mit dem Ergebnis, dass eine Familienähnlichkeit »in hohem Maße unwahrscheinlich« (S. 73) sei.
Der Ich-Erzähler, für den Arnold nun »ein weiteres Mal gestorben« (S. 73) ist, ist beruhigt, dass er sein Zimmer doch nicht mit dem Bruder teilen muss. Die Eltern hingegen sind angesichts des Gutachtens Verzweiflung der Eltern verzweifelt, und vor allem die Mutter bricht immer wieder in Tränen aus. Oftmals presst sie ihren jüngeren Sohn nun an sich, dem dies jedoch unangenehm ist. Mit dem Vater, der sich verstärkt um das Geschäft und die »Umsatzsteigerung« (S. 75) kümmert, gerät die Mutter nun häufig in Streit.
Um der Konkurrenz weiterhin voraus sein zu können, beschließt der Vater, ein Kühlhaus Kühlhaus zu errichten. Dafür werden die Nebengebäude des Hauses, die den Vater an seine »bäuerliche Vergangenheit in Rakowiec erinnerten« (S. 76), abgerissen. Die Mutter und der Ich-Erzähler müssen bei den Bauarbeiten helfen. Der vom Vater erwünschte Erfolg tritt rasch ein, und er baut sein Geschäft weiter aus, wobei die Mutter ihn unterstützt.
Eines Abends erleidet die Mutter einen Schwächeanfall der Mutter Schwächeanfall und zieht sich beim Sturz eine Schädelfraktur zu (S. 80). Die Heilung dauert lange, und die Mutter verfällt im Krankenhaus ihren Gedanken an das »Schreckliche« (S. 80), das ihr auf der Flucht zugestoßen ist. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankhaus ist die Mutter trauriger als zuvor.
Der Vater möchte sie mit dem Kauf eines neuen Opel »Admiral« (S. 80) aufheitern. Das Bargeldverbrennung Bargeld, mit dem der Vater das Auto bezahlen möchte, wirft die Mutter kurzerhand in den brennenden Küchenherd: »Sie wolle keinen Admiral, sagte die Mutter. Sie wolle ihr Kind« (S. 82). Der Vater kann einen Teil des Geldes retten, die Asche der verbrannten Scheine bewahrt er in einem Einmachglas auf. Nach diesen Ereignissen streiten die Eltern nicht mehr. Das Auto kauft der Vater dennoch, beantragt beim Jugendamt und beim Suchdienst aber auch »ein anthropologisch-erbbiologisches Abstammungsgutachten« (S. 82 f.) und kommt so dem Wunsch der Mutter nach.
Reise nach Heidelberg
Als das Jugendamt Einwände gegen den Antrag der Eltern erhebt, erstreitet der Vater das Abstammungsgutachten Gutachten vor Gericht und die Familie erhält einen Termin bei Professor »Dr. phil. et med. Freiherr von Liebstedt« (S. 83) an der Universität Heidelberg. Seit der Untersuchungstermin bekannt ist, bessert sich der Zustand der Mutter. Beim Ich-Erzähler kehrt auch im neuen Opel die bekannte Reiseübelkeit zurück, wofür der Vater kein Verständnis hat. Er hält den Sohn für undankbar. Auch die Gesichtskrämpfe des Ich-Erzählers treten wieder auf und versetzen den Vater zusätzlich in Rage (S. 85 f.).
In Institut in Heidelberg Heidelberg ist der Vater aus Ehrfurcht vor dem Professor »nervös wie ein Prüfling« (S. 86). Im Institut nimmt eine Laborantin erste Untersuchungen vor und erstellt auch Gipsabdrücke der Füße aller Familienmitglieder. Dabei bemerkt der Ich-Erzähler die unterschiedlichen Füße des Vaters. Der linke Fuß erscheint ihm »krallenartig[ ]« (S. 89). Anschließend werden weitere »Körperbaumerkmale« (S. 93) ermittelt, wofür der Ich-Erzähler seinen Oberkörper entkleiden muss. Während der Untersuchung bricht er vor Scham in Schweißausbruch Schweiß aus.
Da der Professor die Familie erst am Nachmittag empfängt, besuchen sie zwischenzeitlich die Kantine des Instituts und setzen sich an einen Tisch, an dem bereits ein redseliger Leichenwagenfahrer Fahrer eines Leichenwagens seine Mahlzeit einnimmt (S. 97). Mit seinen Ausführungen zur Güte verschiedener Speisekantinen sowie der Hygienequalität und Effizienz moderner Krematorien ermüdet der Fahrer die Eltern. Der Ich-Erzähler beobachtet ihn jedoch aufmerksam und sucht an ihm nach Zeichen des Todes (S. 104 f.)
Am Nachmittag findet der Termin mit dem Professor Freiherr von Liebstedt Professor statt. Die Anspannung löst sich, als der Professor feststellt, dass sein Großvater mütterlicherseits aus der Herkunftsregion des Vaters des Ich-Erzählers stammt. Beide tauschen sich über die Unordnung der »Polen« und »Russen« (S. 110) aus und bestätigen sich in ihren rassistischen Vorurteilen.
Während der Ich-Erzähler die schmerzhafte Vermessung des Kopfes Vermessung seines Kopfes zur Ermittlung der »relative[n] Kieferwinkelbreite« (S. 116) und andere Untersuchungen über sich ergehen lässt, fallen ihm Einschusslöcher im Büro des Professors auf. Nach den Untersuchungen unternimmt die Familie einen Spaziergang durch Heidelberg und der Ich-Erzähler bemerkt ungewohnte Gesten der Zeichen der Zuneigung Zuneigung zwischen Mutter und Vater (S. 118 f.).
Vor der Abreise am folgenden Tag informiert der Professor die Familie über die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchung, die noch keinen abschließenden Befund zulassen. Eine Verwandtschaft mit dem Findelkind sei keinesfalls auszuschließen, könne aber auch nicht aus einigen Gemeinsamkeiten eindeutig abgeleitet werden. » Fraglichkeit der Verwandtschaft Unentschieden sozusagen« (S. 126), kommentiert der Professor die Situation flapsig. Die ausstehenden Ergebnisse sollen den Eltern später zugesandt werden.
Auf der Rückreise Tobsuchtsanfall des Vaters empört sich der Vater so sehr über das unbefriedigende Untersuchungsergebnis, dass ihn Schmerzen in der Brust befallen und die Mutter weiterfahren muss (S. 126). Zu Hause wird die Familie vom Revierpolizisten Rudolph empfangen, der mitteilt, dass Diebe ins Kühlhaus Einbruch ins Kühlhaus eingebrochen sind, einen Großteil der Waren gestohlen und auch noch die Kühlung abgestellt haben. Die meisten verbliebenen Wurst- und Fleischbestände sind deshalb verdorben.
Reagiert die Mutter mit dem Hinweis auf die Versicherung gefasst, sackt der Vater zusammen. Der hinzugerufene Notarzt diagnostiziert eine Kreislaufschwäche und verordnet Bettruhe (S. 127 f.). Wenig später erscheint der Vater in der Küche und gesteht der Mutter, dass er aus Sparsamkeit die Prämie der Versicherung nicht gezahlt hat und der Versicherungsschutz noch gar nicht in Kraft getreten ist. Der Vater bricht erneut zusammen und wird vom Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht, wohin ihn die Mutter begleitet. Herr Rudolph bleibt beim Ich-Erzähler, der sich in der Gegenwart des Revierpolizisten wohlfühlt (S. 129).
Der Tod des Vaters
Am nächsten Morgen erfährt der Ich-Erzähler, dass der Vater zwei Herzinfarkte erlitten hat und auf der Intensivstation liegt. Am Abend verschlechtert sich der Zustand des Vaters, in der Nacht Tod des Vaters verstirbt er (S. 131 f.). Herr Rudolph gibt dem Ich-Erzähler, der allein zu Hause bleibt, eine Bibel, in der dieser nach Textstellen über den Tod sucht. Am nächsten Morgen trifft der Sohn die Mutter, die in Tränen aufgelöst und ganz in Schwarz gekleidet ist; ihre Umarmung ruft bei ihm ebenso Verlegenheit hervor wie ihre schwarze Kleidung (S. 133). Es kommen zahlreiche Nachbarn, um ihr Beileid zu bekunden und der Mutter zu helfen. Die schwarze Trauerbinde, die der Ich-Erzähler tragen muss, empfindet er als Makel und schämt sich für sie vor seinen Schulkameraden.
In der In der Kapelle Kapelle sehen sich Mutter und Sohn den toten Vater noch einmal an. Während die Mutter den Toten herzt und küsst, scheint es dem Ich-Erzähler, als würde der Vater unter dem Leichentuch noch atmen. Zur Beerdigung am nächsten Tag fahren sie mit dem »frisch polierten Admiral, der nun ein böse grinsender Totenwagen war« (S. 137).
Nach der Beerdigung führt die Mutter übernimmt die Geschäfte Mutter die Geschäfte weiter und ist dabei so streng wie der Vater. Abseits der Arbeit verfällt sie jedoch in tiefe Traurigkeit. Der Ich-Erzähler empfindet zunehmend Wut auf die Mutter, die ihren Sohn zwar gerührt anblickt, in ihm aber nur ihren Mann oder den verlorenen Arnold zu sehen scheint: »Ich genügte ihr nicht. Ich war nur das, was sie nicht hatte« (S. 140).
In der folgenden Zeit entwickelt sich der Ich-Erzähler zu einem »schwierigen Jungen« (S. 140): Er verhält sich undankbar und setzt der Mutter zu. Herr Herrn Rudolphs Unterstützung Rudolph, der sich um Mutter und Sohn kümmert, bemüht sich um Vermittlung zwischen beiden. Der Mutter hilft er bei Behördengängen und schenkt ihr Operettenplatten (S. 141). Obwohl Herr Rudolph nun häufiger zu Gast ist, beobachtet der Ich-Erzähler keine Intimitäten