Die Gedichte. Auswahl. Else Lasker-Schüler
dieser Todverlassenheit,
Mir ist: ich lieg von mir weltenweit
Zwischen grauer Nacht der Urangst.
Ich wollte, ein Schmerzen rege sich
Und stürze mich grausam nieder 10
Und riss mich jäh an mich;
Und es lege eine Schöpferlust
Mich wieder in meine Heimat
Unter der Mutterbrust.
Meine Mutterheimat ist seeleleer, 15
Es blühen dort keine Rosen
Im warmen Odem mehr. –
.... Möchte einen Herzallerliebsten haben!
Und mich in seinem Fleisch vergraben.
Nervus erotisNervus erotis [7.]
Dass uns nach all der heißen TagesglutDass uns nach all der heißen Tagesglut
Nicht eine Nacht gehört …
Die Tuberosen färben sich mit meinem Blut.
Aus ihren Kelchen loderts brandrot!
[11]Sag mir, ob auch in Nächten deine Seele schreit, 5
Wenn sie aus bangem Schlummer auffährt,
Wie wilde Vögel schreien durch die Nachtzeit.
Die ganze Welt scheint rot,
Als ob des Lebens weite Seele blutet.
Mein Herz stöhnt wie das Leid der Hungersnot, 10
Aus roten Geisteraugen stiert der Tod.
Sag mir, ob auch in Nächten deine Seele klagt
Vom starken Tuberosenduft umflutet,
Und an dem Nerv des bunten Traumes nagt.
Das Lied des GesalbtenDas Lied des Gesalbten [8.]
Zebaoth spricht aus dem AbendZebaoth spricht aus dem Abend:
Verschwenden sollst Du mit Liebe!
Denn ich will Dir Perlen meiner Krone schenken,
In goldträufelnden Honig Dein Blut verwandeln
Und Deine Lippen mit den Düften süßer Mandeln tränken. 5
Verschwenden sollst Du mit Liebe!
Und mit schmelzendem Jubel meine Feste umgolden
Und die Schwermut, die über Jerusalem trübt,
Mit singenden Blütendolden umkeimen.
Ein prangender Garten wird Dein Herz sein, 10
Darin die Dichter träumen.
O, ein hängender Garten wird Dein Herz sein,
Aller Sonnen Aufgangheimat sein,
Und die Sterne kommen, ihren Flüsterschein
Deinen Nächten sagen. 15
[12]Verschwenden sollst Du mit Liebe!
Tausend greifende Äste werden Deine Arme tragen
Und meinem Paradiesheimweh wiegende Troste sein.
SulamithSulamith [9.]
O, ich lernte an Deinem süßen MundeO, ich lernte an Deinem süßen Munde
Zu viel der Seligkeiten kennen!
Schon fühl’ ich die Lippen Gabriels
Auf meinem Herzen brennen,
Und die Nachtwolke trinkt 5
Meinen tiefen Cederntraum.
O, wie Dein Leben mir winkt,
Und ich vergehe
Mit blühendem Herzeleid!
Und verwehe im Weltraum, 10
In Zeit,
In Ewigkeit,
Und meine Seele verglüht in den Abendfarben
Jerusalems.
ChronicaChronica [10.]
(Meinen Schwestern zu eigen)
Mutter und Vater sind im HimmelMutter und Vater sind im Himmel
Und sprühen ihre Kraft
An singenden Fernen vorbei,
An spielenden Sternen vorbei
Auf mich nieder. 5
[13]Himmel bebender Leidenschaft
Prangen auf,
O, meine ganze Sehnsucht reißt sich auf
Durch goldenes Sonnenblut zu gleiten!
Fühle Mutter und Vater wiederkeimen 10
Auf meinen ahnungsbangen Mutterweiten.
Drei Seelen breiten
Aus stillen Morgenträumen
Zum Gottland ihre Wehmut aus.
Denn drei sind wir Schwestern, 15
Und die vor mir träumten schon in Sphinxgestalten
Zu Pharaozeiten.
Mich formte noch im tiefsten Weltenschoß
Die schwerste Künstlerhand.
Und wisset, wer meine Brüder sind! 20
Sie waren die drei Könige, die gen Osten zogen
Dem weißen Sterne nach durch brennenden Wüstenwind.
Aber acht Schicksale wucherten aus unserem Blut
Und lauern hinter unseren Himmeln:
Vier plagen uns im Abendrot, 25
Vier verdunkeln uns die Morgenglut,
Sie brachten über uns Hungersnot
Und Herzensnot und Tod!
Und es steht:
Über unserem letzten Grab ihr Fortleben noch, 30
Den Fluch über alle Welten zu weben,
Sich ihres Bösen zu freuen.
Aber die Winde werden einst ihren Staub scheuen.
Satanas miserere eorum!!
[14]MutterMutter [11.]
Ein weißer Stern singt ein TotenliedEin weißer Stern singt ein Totenlied
In der Julinacht,
Wie Sterbegeläut in der Julinacht.
Und auf dem Dach die Wolkenhand,
Die streifende, feuchte Schattenhand 5
Sucht nach meiner Mutter.
Ich fühle mein nacktes Leben,
Es stößt sich ab vom Mutterland,
So nackt war nie mein Leben,
So in die Zeit gegeben, 10
Als ob ich abgeblüht
Hinter des Tages Ende,
Versunken
Zwischen