Vom Beten. Ole Hallesby
abhängig sind. Das Beispiel des unglücklichen Vaters in Mark. 9 zeigt uns das deutlich. Seine Gefühle waren bestimmt unter Null vor, während und nach dem Gebet. Die Lage schien aussichtslos. Die Jünger hatten zu heilen versucht, aber es war ihnen nicht gelungen. Dann kam Jesus. Und er sagte das strenge Wort vom Glauben. Ob der arme Mann, als er in seiner Not die Worte ausrief: »Ich glaube, Herr; hilf meinem Unglauben!«, nicht alles für verloren angesehen hat? Seine Gedanken waren bestimmt nicht erhebender als seine Gefühle. Von diesen Gedanken hören wir etwas in den Worten »Wenn du etwas kannst«. Er war also durchaus nicht sicher, ob Jesus mehr erreichen würde als seine Jünger. Und als er durch Jesu Worte verstand, dass es auch auf ihn selbst ankam, auf seinen Glauben, wurde er noch verzweifelter. Er wusste genau, dass er innerlich zwischen Glauben und Unglauben hin und her schwankte.
Ja, das ist etwas für uns; wir machen genau die gleichen Erfahrungen, wenn wir beten. Wir schwanken auch zwischen Zweifel und Glauben hin und her. Wir sind durchaus nicht sicher, ob wir richtig beten, ob wir um etwas nach Gottes Willen bitten. Und selbst wenn wir überzeugt sind, dass wir um etwas nach Gottes Willen bitten, sind oft so wenig Ernst und Bereitschaft in unserem Gebet, dass wir aus diesem Grunde an der Erhörung zweifeln, ja wir empfinden es beinahe als einen Spott gegen Gott, mit solcher Gesinnung überhaupt zu beten.
In solcher Zeit ist es gut zu wissen, dass unser Glaube ausreicht, wenn wir mit unserer Not zu Jesus gehen, um sie ihm darzubringen. Und wenn in unserem Herzen viel Zweifel und wenig Glaube sind, können wir es genauso machen wie der Vater, der zu Jesus kam: Wir können damit anfangen, ihm von unserem Zweifel und unserem schwachen Glauben zu erzählen.
Dann wird es uns schon leichter und wir beten zuversichtlicher. Ich brauche mich nicht anzupassen, indem ich etwa versuche, meinen Glauben zu forcieren oder den Zweifel aus dem Herzen auszutreiben; beides wäre aussichtslos. Ich habe vielmehr erkannt, dass ich mit jeder Sache zu Jesus kommen kann, wie schwierig sie auch sei – ich brauche mich nicht von meinen Zweifeln und Glaubensschwächen abhalten zu lassen; ich sage ihm nur, wie schwach mein Glaube ist. Damit habe ich Jesus mein Herz geöffnet, und nun beginnt er, mein Gebet zu erhören.
Die Schwierigkeiten des Betens
Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet.
Beten heißt, unsere Herzen für Jesus öffnen. Und Jesus ist alles, was wir Sünder in Zeit und Ewigkeit brauchen. »Er ist uns von Gott gemacht zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung« (1. Kor. 1,30). Hier haben wir die biblische Ansicht über den Zweck, den Platz und die Bedeutung des Gebets in dem göttlichen Erlösungsplan. Jesus sagte einmal: »Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh. 15,5). Er wusste, wie buchstäblich wahr dieses Wort ist, wie völlig hilflos wir ohne ihn sind. Aber gleichzeitig sagte er: »Bittet, so wird euch gegeben« – alles, was ihr braucht, und mehr. Und er wurde nicht müde, uns zum Gebet einzuladen, anzuregen, aufzumuntern, zu ermahnen, ja, es uns zu befehlen. Die vielen und verschiedenen Aufforderungen der Bibel zum Beten werfen in ihrer Gesamtheit ein besonderes Licht auf das Gebet. Sie zeigen uns, dass das Beten der Pulsschlag im Leben des erlösten Menschen ist.
Hier möchte ich gern einige Gebetsaufforderungen anführen, die Gott selbst an uns richtet: »Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wer ist unter euch Menschen, der seinem Sohn, wenn er ihn bittet um Brot, einen Stein biete? Oder wenn er ihn bittet um einen Fisch, eine Schlange biete? Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, dennoch euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten!« (Matth. 7,7-11).
»Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren« (Joh. 15,7).
»Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden« (Phil. 4,6).
Allein diese drei Schriftworte erscheinen mir ausreichend, um klarzumachen, wie Jesus das Gebet sieht. Wenn ich es mit meinen Worten ausdrücken soll, würde ich ungefähr so sagen: Jesus geht hin zu dem Sünder, weckt ihn aus seinem Sündenschlaf, bekehrt ihn, vergibt ihm alle Sünden und macht ihn zu seinem Kind. Er nimmt ihn an seine starke, durchbohrte Hand und sagt: »Nun will ich den ganzen Weg mit dir gehen und will dich sicher in den Himmel bringen. Wenn immer du in Schwierigkeiten und Angst kommst, sage es mir sofort. Ich will dir, ohne dir etwas vorzuwerfen, alles geben, was du brauchst und mehr, jeden Tag und jede Nacht, solange du lebst.«
Mein Freund, glaubst du nicht auch, das war es, was Jesus eigentlich meinte, als er uns das Gebet gab? So sollen wir es gebrauchen. Und so will er auf unser Bitten antworten, mit gnädiger, überfließender Erhörung. Beten sollte das Mittel sein, wodurch ich unablässig alles, was ich bedarf, erhalte, es sollte meine tägliche Zuflucht, mein täglicher Trost, meine tägliche Freude, meines Lebens reiche und unerschöpfliche Glücksquelle sein.
Darum ist es einleuchtend, dass ein Kind Gottes Jesus keine größere Sorge machen kann, als das Beten zu versäumen. Denn dadurch schaltet es die Verbindung mit dem Erlöser aus, und sein inneres Leben muss konsequenterweise verwelken und verkrüppeln, so wie es bei den meisten von uns der Fall ist. Viele versäumen das Beten in solchem Maße, dass ihr geistliches Leben langsam erstirbt. Ich verstehe darum die bittere Sorge, die aus Gottes Herzen kommt, wenn er zu uns sagen muss: »Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet« (Jak. 4,2). Er hat alles, was wir bedürfen, und nichts möchte er lieber, als seine Gaben an uns weitergeben. Wir aber bitten nicht. Wir haben keine Zeit, sagen wir. Oder wir vergessen es. Die Folge ist, dass wir in unserem Heim und in der Gemeinde wie Krüppel umhergehen, geistig verhungert und entkräftet, so dass wir kaum Kraft haben, auf eigenen Füßen zu stehen, geschweige denn gegen die Sünde anzukämpfen und dem Herrn zu dienen.
Ich habe viel gesündigt gegen meinen himmlischen Vater, nachdem ich bekehrt war, und habe ihm viel Sorgen gemacht in all den 25 Jahren, die ich mit ihm lebe. Aber ich erkenne nun, dass die größte Sünde nach meiner Bekehrung, das, womit ich Gott am tiefsten betrübt habe, die Vernachlässigung meines Gebets war. Denn diese Vernachlässigung ist die Ursache meiner übrigen Versündigungen und Unterlassungen. Die zahllosen Gelegenheiten des Gebets, die ich ungenutzt vorübergehen ließ, die vielen Erhörungen, die mir zugedacht waren, wenn ich nur gebetet hätte, je mehr ich in die heilige Welt des Gebets hineinsehen darf.
Warum gelingt den meisten von uns das Beten so schlecht? Diese Frage bewegt mich, seit ich durch Gottes Gnade zu beten anfing. Und ich denke, wir werden uns ohne weiteres zugestehen, dass Beten eine schwierige Sache für uns ist. Und zwar liegt die Schwierigkeit in der Ausführung des Gebets. Wir empfinden es als Anstrengung.
Dass der natürliche Mensch das Beten als eine Anstrengung empfindet, ist nicht so sonderbar, denn »der natürliche Mensch vernimmt nichs vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit« (1. Kor. 2,14). »Fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott« (Röm. 8,7).
Der natürliche Mensch kann wohl einen Drang zum Beten fühlen, beispielsweise wenn er in Not ist oder gerade in einer religiösen Stimmung. Aber in ein regelmäßiges und tägliches Gebet kann er nicht einwilligen. Er findet es vielmehr unverständlich, dass Gott so viel Gewicht auf das Beten zu legen scheint. Er führt viele Gründe an, warum er nicht so oft betet, wie die meisten Priester oder Prediger verlangen. Er sagt zu sich selbst: Der Herr erwartet gewiss nicht von einem gesunden, arbeitsfreudigen Menschen, dass er so viel von seiner kostbaren Zeit mit Beten verbringen soll. Besonders in unserer modernen Zeit, wo jedermann so beschäftigt ist. Ob der Herr nicht arbeitende Hände höher bewertet?
Der natürliche Mensch betrachtet das Beten als eine lastvolle Aufgabe. Eine Bürde, welche darum die meisten natürlichen Menschen ganz liegen lassen. Andere nehmen sie auf sich und beten jeden Tag ein bisschen. Aber sie empfinden es als eine harte Forderung und tun es nur, weil der Herr so genau damit ist und es durchaus haben will. Dass so die Gesinnung des natürlichen Menschen ist, wundert uns nicht. Hingegen wundert es