Die Hexe Rixt van het Oerd. Mathias Meyer-Langenhoff

Die Hexe Rixt van het Oerd - Mathias Meyer-Langenhoff


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erzähle ich dir später“, antwortete ich und sah sie dabei durchdringend an, damit sie mich jetzt nicht mit Fragen löcherte.

      Mama und Papa sollten von unserer Beobachtung nämlich nichts mitbekommen. Zu meinem Erstaunen verstand sie mich und schwieg. Vorne öffnete sich die Bugklappe der Fähre, die Autos wurden gestartet, jeden Augenblick konnte es losgehen. Endlich kamen wir an die Reihe.

      Wie immer fuhren wir nach Hollum, dem größten Ort auf Ameland im Westen der Insel. Schon die Fahrt auf der kleinen Inselstraße war unser erstes Urlaubserlebnis. Wir freuten uns auf unseren Huckel kurz vor Ballum, eine kleine Erhöhung auf der Straße. Meist saß Papa dieses letzte Stück am Steuer.

      „Achtung, jetzt!“ Er beschleunigte, damit wir das Gefühl hatten, mit dem Auto etwas zu fliegen.

      „Hüüüüüüüüpp!“, riefen wir im Chor, hoben ab und hatten die Erhöhung einen Augenblick später hinter uns. Dann folgte seine Standardfrage: „Seht ihr eigentlich schon den Leuchtturm?“

      „Da vorne, auf der linken Seite!“, rief Meike. Sie hatte wie immer den Leuchtturmsuchwettbewerb gewonnen und damit das erste Eis der Sommerferien.

      Schließlich erreichten wir die Ortseinfahrt von Hollum und kamen an dem Backfischgeschäft vorbei. Sofort stieg mir der würzige Geruch in die Nase. Das Rettungsbootmuseum auf der anderen Seite lag still im Sonnenlicht. Wir fuhren um den Ortskern herum zu unserem Ferienhaus. An der alten Kirche stellten wir unser Auto ab und gingen zum Haus unserer Vermieter.

      *

      *

      Einzug im Ferienhaus

      Wim und Henny de Jong, ein freundliches, älteres Ehepaar, wohnten seit ihrer Geburt auf Ameland und verließen die Insel nur ganz selten.

      Sie kamen uns schon entgegen. „Goeden Dag, da seid ihr ja endlich!“, begrüßte uns Wim. „Ich hatte schon Angst, ihr wollt dieses Jahr nichts mit uns zu tun haben.“ Er drückte meine Hand, als wollte er sie zerquetschen, und zog mich an seinen großen dicken Bauch, den er unter seinem weiten Strickpullover kaum verstecken konnte.

      Henny umarmte Mama und Papa und strich Meike mit ihrer Hand über den Kopf. „Dann kommt mal rein!“, lud sie uns ein und wir betraten das Häuschen, dessen Eingangstür so niedrig war, dass Papa aufpassen musste, sich nicht den Kopf zu stoßen.

      „Es ist schön, wieder bei euch zu sein“, sagte Mama. Sie saß auf dem kleinen, braunen Sofa und streckte sich behaglich aus. Der Duft von holländischem Kaffee lag in der Luft. Wegen der kleinen Fenster kam nicht viel Licht in die Küche. Wahrscheinlich wirkte es hier deshalb auch nicht ganz so sauber wie bei uns, aber Meike und ich fanden es voll gemütlich.

      Henny servierte den Kaffee in kleinen Tassen mit blauen Windmühlen. „Was wollt ihr Kinderen denn trinken?“, fragte Wim.

      „Am liebsten Cassis“, meinte Meike, „bei euch schmeckt er am besten.“ Wir liebten diese Limonade mit Johannisbeergeschmack.

      „Wie war eure Reise?“, erkundigte er sich, während er eingoss. Papa und Mama begannen zu erzählen und sofort vertieften sich die Erwachsenen in ein Gespräch.

      „Komm, wir gehen nach hinten und gucken uns unser Zimmer an. Außerdem will ich unbedingt wissen, wie es Gelbes P. geht!“, sagte Meike.

      Wim hatte den ehemaligen Kuhstall zu einer Ferienwohnung umgebaut, die er im Sommer vermietete. Wir wohnten direkt unter dem Dach. Über eine steile Treppe kletterten wir nach oben. Alles sah aus wie immer. Im Gegensatz zur Küche blitzte hier alles strahlend sauber. Henny hatte alles „schoon gemaakt“, sauber gemacht, wie sie immer sagte. Wir ließen uns auf die Betten fallen, die bei jeder Bewegung quietschten. Es roch frisch nach Lavendel und durch die Dachfenster schien die Sonne. Wir wippten auf unseren Betten wie auf einem Trampolin, sprangen mit einem Satz wieder hinaus und liefen nach unten zur Schafswiese. Wenn man am Zaun stand, konnte man bis zum Deich sehen, der die Insel zur Wattseite vor dem Meer schützte.

      „Gelbes P., komm her, ich hab’ was Leckeres für dich. Komm, mein kleines, dummes Schaf!“ Meike lockte unser Lieblingsschaf mit einem großen, roten Apfel an. Wir hatten es im letzten Jahr so getauft, weil es am Hals eine gelbe Plakette mit einem P. trug.

      Inzwischen hatte Mama das Auto auf den Hof gefahren und wir mussten auspacken helfen.

      „So, jetzt fahren wir zuerst mal an den Strand, außerdem habe ich Hunger auf etwas Herzhaftes und das muss nach Lage der Dinge Pommes mit Mayo und eine Frikandel spezial mit besonders viel Mayonnaise, Ketchup und Zwiebeln sein“, meinte Papa nach getaner Arbeit und leckte sich erwartungsvoll die Lippen. Wir hatten nichts dagegen, auch wenn Mama die Nase rümpfte, weil sie diese Art der Ernährung unmöglich fand.

      „Aber du hast auch versprochen, mit uns schwimmen zu gehen, Papa. Heute ist es ziemlich windig, wir haben bestimmt super Wellen am Strand. Also nimm deine Badesachen mit!“ Ich wollte ihn zumindest an sein Versprechen erinnern.

      „Selbstverständlich, meine Große, was man versprochen hat, sollte man ja möglichst halten“, antwortete er.

      Aber an dem Wort möglichst und seinem Gesicht merkte ich, dass er schon wieder nach Ausreden suchte.

      Wir fuhren mit unseren Fahrrädern zum Strand. „Ob Franzens auch schon da sind?“, wollte Meike wissen.

      „Keine Ahnung“, antwortete ich, „aber mit Katja habe ich ausgemacht, dass wir uns so schnell wie möglich treffen. Wir müssen besprechen, was wir mit den beiden komischen Typen von der Fähre machen.“ Ich hatte ihr beim Füttern des Schafes von den Männern erzählt.

      „Vielleicht können wir sie verfolgen, schließlich sind wir acht Kinder“, meinte Meike.

      „Abwarten, wir wissen ja gar nicht, ob wir die beiden noch mal treffen“, antwortete ich.

      Wir kamen am Leuchtturm vorbei, von dort konnten wir schon den Aufgang zum Strand sehen und den tiefer liegenden Parkplatz. Mit Schwung rasten wir hinunter und versuchten, auf der anderen Seite, ohne abzusteigen, wieder hochzufahren. Ich schaffte den halben Weg hinauf, Meike und Mama mussten noch eher abspringen und ihr Rad schieben. Aber Papa sauste an uns vorbei, gelangte wie immer als Einziger fahrend bis oben und rief uns entgegen: „Achtung, Achtung, ich melde pflichtgemäß, die Nordsee ist immer noch da, wo sie hingehört!“

      Die Wellen waren zwar nicht so hoch, wie wir gehofft hatten, aber dafür sahen wir die Sonne langsam am Horizont versinken. Sie stand schon ziemlich tief und tauchte die ganze Meeresoberfläche in ein orangegelbes Licht. „Es ist immer wieder beeindruckend“, meinte Mama und hakte sich bei Papa unter.

      Meike und ich hatten keine Zeit für romantische Betrachtungen. Wir rannten zum Wasser. Ich wollte unbedingt feststellen, ob es immer noch salzig schmeckte. Ich tauchte meinen Finger ins Meer, leckte ihn ab und spürte sofort den typischen Salzgeschmack auf meiner Zunge.

      Dann kam Meike. „Na?“, meinte sie außer Atem. „Alles klar?“

       Zur Antwort holte ich mit dem Fuß aus und spritzte sie nass. Das war der Auftakt zu einer kleinen Wasserschlacht.

      „Hey, jetzt wird’s aber Zeit für die Badeanzüge!“ Mama und Papa standen hinter uns und sahen lachend zu. Nur Papa machte keine Anstalten, sich umzuziehen. „Was ist los, Martin? Du freust dich doch so sehr auf deine Nordsee!“ Mama hatte so ein Na siehst’e-Gesicht, ein bisschen Triumph in ihrer Stimme war unüberhörbar.

      „Los, Papa, das stimmt, du hast es versprochen!“, riefen Meike und ich wie aus einem Mund.

      Vorsichtig näherte er sich dem Wasser. Es sah wieder nicht danach aus, als wollte er sein Versprechen einlösen. „Also, ehrlich gesagt, es ist jetzt doch schon ein bisschen spät zum Schwimmen. Außerdem scheint mir das Wasser kälter zu sein als im letzten


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