Leni Behrendt Classic 59 – Liebesroman. Leni Behrendt

Leni Behrendt Classic 59 – Liebesroman - Leni Behrendt


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waren, gehörte Schwester Angelika, die, wie der Oberarzt ganz richtig bemerkt hatte, das Aschenputtel unter den Schwestern war.

      Gar zu gern bürdeten ihre Kolleginnen ihr so manche Arbeit auf, die sie selbst verrichten sollten, zu denen sie aber keine Lust verspürten. Und die Jüngste unter ihnen nahm sie stets freundlich und willig auf sich.

      Was hätte sie auch anders tun sollen? Sich etwa bei der Oberschwester beschweren?

      Da wäre sie schön angekommen!

      Daß diese der Schwester Angelika nicht freundlich gegenüberstand, das war den meisten im Hause nicht unbekannt.

      Nur warum es so war, das allerdings wußte man nicht. Am wenigsten Schwester Angelika.

      Diese wußte nur, daß sie hier nur Pflichten hatte und keinerlei Rechte. Sie war ein sogenanntes »Um-Gottes-willen-Kind« und mußte daher dem Hause dankbar sein, in dem sie ernährt, gekleidet und erzogen worden war.

      Man hatte ihr sogar den Besuch einer guten Schule ermöglicht, und nun mußte sie die empfangenen Wohltaten abarbeiten – ein Leben lang.

      Ihr diese Wohltaten immer wieder vor Augen zu führen, hielt die Oberschwester für angebracht, und es fanden sich auch noch andere genug, die sich das gleiche Recht anmaßten.

      Das geschah nicht immer aus Bosheit, sondern oft aus Gedankenlosigkeit heraus. Man folgte eben dem Beispiel der Oberschwester, weil man es sich ja ungestraft leisten konnte.

      Nicht einen Gedanken verschwendete man daran, wieviel Arbeit das junge Menschenkind zu leisten hatte, um allein schon seinen eigenen Pflichten nachzukommen, und daß es eine Überbürdung ohnegleichen war, wenn es auch noch die Arbeiten anderer miterledigte, ohne sich zu beklagen.

      Na was, Schwester Angelika war eben ein so unbedeutendes kleines Nichts, das froh sein konnte, wenn man es einigermaßen gelten ließ. Und daß die Kleine sich stets freundlich und hilfsbereit zeigte, das war nun wahrhaftig selbstverständlich!

      Hauptsächlich Schwester Maria, der Liebling der Oberschwester und Günstling des Professors, machte sich kein Gewissen daraus, ihrer Kollegin Angelika ihre Arbeiten zuzuschieben, die ihr selbst zuwider waren.

      Natürlich tat sie das ganz heimlich; denn ihren Ruf, die intelligenteste und tüchtigste unter den Schwestern zu sein, mußte unter allen Umständen gewahrt bleiben.

      Schwester Maria erhielt auch stets die Pflege der besten und zahlungsfähigsten Patienten, und darum war sie auch Frau von Steinbrecht zugeteilt worden, die ja sogar noch mit dem Professor befreundet war.

      Mit der an ihr so berühmten Duldsamkeit und Sanftmut betreute sie die Kranke, die sonderbarerweise für die Schwester mit dem Madonnengesicht und den sanften Augen nicht die Vorliebe aufbringen konnte, die sie allgemein genoß.

      Frau von Steinbrecht machte so ihre Beobachtungen. Also auch die, daß die vielgelobte Schwester Maria die stets im Schatten stehende Schwester Angelika mit dem frommsten Augenaufschlag ganz unfromm schikanierte.

      Nun, die menschenkundige Frau dachte sich ihren Teil. Sie verstand es so einzurichten, daß sie Schwester Angelika immer mehr zu ihrer Pflege heranzog, ohne daß es besonders aufgefallen wäre.

      Hauptsächlich vor Schwester Maria nahm sie sich in acht, denn sie traute es dieser Effekthascherin schon zu, daß sie sich an Angelika rächen würde.

      Nun sollte Schwester Maria wieder einmal an eine Arbeit gehen, die ihr aber auch gar nicht paßte. Auf der chirurgischen Station lag ein Patient, der aus ärmlichen Verhältnissen kam und um den sich kein Angehöriger kümmerte. Er wurde mit Nachthemden aus dem Krankenhaus versorgt, und es kam schon einmal vor, daß ein notwendiger Wechsel versäumt wurde. Besonders Schwester Maria war diejenige, die nicht darüber nachdachte, wie traurig es um diesen armen alten Mann bestellt war, sondern viel lieber drückte sie sich davor, ihn zu versorgen.

      Das Madonnengesicht, von dem so viele Patienten schwärmten, hatte er noch nie gesehen, sondern meistens nur ein mürrisches Gesicht.

      An diesem Tag also ging sie mit einem besonders miß­mutigen Gesicht, das sie sich ja leisten konnte, weil niemand es sah, den langen Korridor entlang, eine Schüssel mit heißem Wasser vorsichtig vor sich her tragend, als ihr Schwester Angelika in den Weg lief.

      »Ach, liebe Schwester Angelika, wie gut, daß ich Sie treffe«, wurde diese gnädig begrüßt, die in bescheidener Haltung vor Schwester Maria stand. »Ich muß nämlich sofort zum Chef, und Sie könnten mich daher vertreten. Der Patient auf Zimmer fünfzehn muß noch gewaschen werden. Die Nachtschwester kam nicht dazu.«

      »Wie leid mir das für ihn tut«, sagte Schwester Angelika mitfühlend. Meine Güte, es ging auf Mittag zu, und der arme alte Mann war nicht einmal erfrischt?

      »So wichtig war es ja wohl nicht«, tat Schwester Maria die Bemerkung gefühllos ab. Dann hielt sie es jedoch für angebracht, zu sondieren, ob Schwester Angelika gerade einen anderen Auftrag hatte, da sie ja wußte, daß keine Schwester von einer dringenden Arbeit abgehalten werden durfte. Dadurch konnte nämlich nie wiedergutzumachendes Unheil heraufbeschworen werden, weil es in diesem Hause ja Tag für Tag um Menschenleben ging.

      Also fragte sie noch: »Oder haben Sie etwa etwas Unaufschiebbares vor?«

      »Ich wollte jetzt nur mein Frühstück einnehmen, weil ich bisher noch nicht dazu gekommen bin«, wagte Schwester Angelika zu antworten.

      Das jedoch erschütterte Schwester Maria, die ihr Frühstück natürlich schon längst hinter sich hatte, überhaupt nicht.

      Sanft lächelnd wurde der Kleinen die Schüssel in die Hände gedrückt.

      »Dann essen Sie eben etwas später«, wurde ihr mit einer Stimme bedeutet, die gar nicht sanft klang. »Die Arbeit geht vor, das müßten Sie doch endlich begriffen haben. Ich jedenfalls muß zum Professor, und eine andere Schwester ist momentan nicht frei.«

      Mit einer Sicherheit, die der kleinen Schwester imponierte, erhielt sie die nötigen Anweisungen, wurde ermahnt, ja alles gewissenhaft zu erledigen – und dann durfte sie sich trollen, während sich die schlaue Schwester Maria ins Fäustchen lachte.

      Es war ihr wieder einmal geglückt, sich eine Freizeit zu verschaffen, die sie so recht nach eigenem Willen auskosten wollte.

      Daß dieses Gespräch mit Schwester Angelika einen Zeugen hatte, nämlich Frau von Steinbrecht, das ahnten beide nicht.

      Schwester Angelika machte sich niedergeschlagen, mit knurrendem Magen, auf den Weg zu dem Patienten. Die gefüllte Schüssel mit heißem Wasser trug sie behutsam wie eine Kostbarkeit vor sich her.

      Und siehe da, schon waren wieder einmal tausend Teufelchen am Werk, um der geplagten kleinen Schwester einen argen Streich zu spielen.

      Denn just in diesem Moment kamen ihr der Professor mit seinem Ärztestab und der Oberschwester entgegen, alle weiß gekleidet von Kopf bis Fuß.

      Diesmal war es aber der Gestrenge selbst, der das Unheil heraufbeschwor.

      Mit abgewandtem Kopf zu den Herren sprechend, sah er die Schwe­ster nicht, die verzweifelte Anstrengungen machte, ihm auszuweichen, was bei der gefüllten Schüssel nicht ganz einfach war.

      Im Zickzack hin und her balancierend, ging es hin und her – und der Professor, als hätte sie magnetische Kräfte in sich, immer getreulich mit ihr.

      Und ehe noch jemand ihn warnen konnte, war es schon geschehen.

      Schon lag ihm die Schüssel vor den Füßen, und er fühlte das Wasser durch Hosenbeine und Schuhe gar lieblich warm an seinem Körper herniederrinnen.

      Nun, ein Mann ist ja in den meisten Fällen kein Lamm, und der Professor einer so großen Anstalt darf es schon gar nicht sein.

      Daher war es kein Wunder, daß ihm der Geduldsfaden riß und er die Übeltäterin mit einem Blick ansah, der in ihr das brennende Verlangen nach dem bewußten Mauseloch hervorrief.

      »Ja, zum Kuckuck, Sie, Fräulein Tolpatsch, sind Sie denn ganz und gar von Gott verlassen?«


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