Leni Behrendt Classic 59 – Liebesroman. Leni Behrendt
während ich Visite machen will!«
Schwester Angelika war vor Schreck wie benommen. Sein harter Ton, der ganz bestimmt berechtigt war, trieb ihr wieder einmal die Tränen in die Augen.
Und dann sah sie die amüsierten Gesichter der Ärzte, was ihre Verwirrung begreiflicherweise noch vermehrte.
Unfähig, sich zu rühren, stand sie mit hängendem
Kopf und hängenden Armen da – absolut ein Bild des Jammers!
Und dieses mußte den unwilligen Professor Nordershoff dann ja auch wohl besänftigt haben, denn es klang fast begütigend, als er sagte.
»Nun sehen Sie sich in Zukunft endlich vor, Fräulein Tolpatsch, und beehren Sie mich nicht mehr mit Ihren sonderbaren Aufmerksamkeiten.«
Und dann wandte er sich zu den Ärzten, mit jener vornehmen Gelassenheit, die ihn auch in kritischeren Situationen als dieser auszeichneten:
»Gehen Sie nur immer voraus, meine Herren. Ich muß mich jetzt erst umziehen.«
Rasch eilte er den Weg zurück, während die Ärzte weiterschritten.
Und als nun der Gestrenge außer Hörweite war, brachen sie in das Lachen aus, das sie bisher mühsam unterdrückt hatten.
Die Bezeichnung »Fräulein Tolpatsch« ging von dieser Minute an von Mund zu Mund.
Und niemand nahm davon Kenntnis, daß genau eben dieses Fräulein Tolpatsch mit weiten Augen hinter dem Professor her sah, daß sich ihre junge Brust in heftigen Atemzügen hob – daß sie wie verzaubert schien.
Aber sehr realistisch wurde sie aus der Verzauberung, deren sie sich selbst kaum bewußt war, herausgerissen.
Die Oberschwester nämlich war zurückgeblieben, und die Worte, die nunmehr auf das Mädchen niederprasselten, konnte man schon mit Schmähungen bezeichnen, deren eine so würdige Dame eigentlich sich nicht hätte bedienen dürfen.
Es hatte so den Anschein, als könne sie sich gar nicht genug tun, dieses kleine Jammerbündel vor sich in krassester Weise abzukanzeln.
»Man muß sich ja schämen, daß man einen so unglaublichen Tolpatsch im Haus beschäftigt!« schalt sie mit gefährlich unterdrückter Stimme. Die Patienten durften nicht gestört werden, aber Nachdruck war nun einmal notwendig. »Zu nichts sind Sie nütze! Auf der Station haben Sie sich nach diesem skandalösen Vorfall unmöglich gemacht. In der Küche kann ich Sie auch nicht beschäftigen, da Sie mir das ganze Geschirr zerschlagen würden. Was wollen Sie denn eigentlich noch hier? Wollen Sie etwa das gnädige Fräulein spielen und uns immer weiter auf der Tasche liegen? Sie – Sie – Taugenichts – Sie!«
In ihrer übereifrigen Erregung merkte sie nicht, daß unweit der Professor stand und alles mit anhörte.
Auf dem Weg in sein Zimmer hatten ihm die schroffen Worte, mit denen er den kleinen Tolpatsch bedacht hatte, bereits leid getan.
Er machte kehrt, um der Kleinen etwas Freundliches zu sagen, und dann ertappte er die Oberschwester bei ihrer Strafpredigt, die auch beherztere Leute als dieses scheue Dingelchen hätte in Grund und Boden schmettern müssen.
Aufs höchste befremdet sah er auf die Dame, die er ganz gewiß noch nicht so kannte – so aller Würde bar.
Und dieses Befremden stand auch in seinem harten Antlitz und lag auch in seiner Stimme, als er auf die Oberschwester zutrat, die erschrocken zusammenzuckte.
»Na, so schlimm war das Vergehen der Kleinen nun auch wieder nicht, daß Sie sie hier so unerhört abkanzeln, Frau Oberin. Schließlich kann es jedem einmal passieren, daß er eine Schüssel fallenläßt.«
»Das finde ich auch«, ließ sich eine lachende Stimme vernehmen, und herumfahrend, erblickte Professor Nordershoff Frau von Steinbrecht, die langsam näher kam.
»Nanu, gnädige Frau, was machen Sie denn hier?« fragte er überrascht.
»Ich höre, sehe und staune«, antwortete sie gelassen.
»Waren Sie etwa Zeuge des kleinen Intermezzos vorhin?«
»Allerdings. Das – und noch mehr.«
»Soso. Aber soviel ich weiß, sollten Sie jetzt im Park liegen und ruhen.«
»Und vor Langeweile umkommen«, ergänzte sie trocken. »Um untätig den ganzen Tag herumzuliegen, dazu bin ich schon viel zu gesund.«
»Das darf ich natürlich nicht dulden. So mag Ihnen Schwester Maria Gesellschaft leisten. Wir wollen sie gleich mit dem Ehrenamt betreuen.«
»Bemühen Sie sich nur nicht, lieber Professor. Schwester Maria hat jetzt nämlich keine Zeit.«
»Jede Schwester hat für die Patienten Zeit, wenn ich es bestimme«, sagte er etwas ungehalten.
Frau von Steinbrecht lächelte nur.
»Leider irren Sie sich diesmal. Schwester Maria ist in der Tat stark beschäftigt. Sie sitzt in einem lauschigen Eckchen des Parkes, liest ein anscheinend sehr interessantes Buch und nascht Konfekt. Die kleine Genießerin versteht es vorzüglich, sich ihre Freizeit so behaglich wie nur irgend möglich zu gestalten.«
»Freizeit? Am Vormittag? Da müssen Sie sich geirrt haben, gnädige Frau.«
»O nein, Herr Professor. Das Madonnengesicht ist hier so einmalig, daß man sich gar nicht irren kann. Aber lassen Sie doch der guten Schwester Maria ihr Vergnügen. Geben Sie mir als Ersatz die Kleine hier mit, dann bin ich mehr als zufrieden.«
Der durchdringende Blick des Professors, der im ganzen Haus so gefürchtet war, weil er den Menschen bis auf den Grund der Seele zu dringen schien, ruhte auf dem vornehmen Antlitz der Dame, die ihm mit liebenswürdigstem Lächeln standhielt.
Forschend sah er die Oberschwester an, die ein Gesicht machte, als stände sie nur zufällig hier.
Zuletzt wandte er sich Angelika zu, und es wurde ihm nur ganz vage bewußt, daß ihm plötzlich ganz warm ums Herz wurde.
Schwester Angelika – dieses kleine Fräulein Tolpatsch –, war sie nicht ein ganz liebenswertes Mädchen?
Und während er dieses mit großer Sympathie dachte, fand seine aus spontaner Verärgerung dahingeworfene Äußerung bereits nahrhaften Boden.
Wie ein Lauffeuer eilte es durch die Anstalt, in der es fortan inoffiziell keine Schwester Angelika mehr geben würde, sondern nur noch das, was der Professor gesagt hatte:
»Ein Fräulein Tolpatsch!«
Erbarmungswürdig sah das Mädchen aus, als es immer noch mit hängenden Gliedern verharrte, wie eine Büßerin, die eine Todsünde begangen hatte.
»Nun seien Sie wieder vergnügt, Schwester Angelika«, sagte Professor Nordershoff zu ihr, die den Blick jetzt langsam zu ihm erhob.
So viel Jammer und Not, so viel stumm getragenes Leid sprach aus groß aufgeschlagenen Augen, daß der Arzt betroffen schwieg.
»Stehen Sie hier nicht herum wie das Leiden Christi, sondern sehen Sie zu, daß der Fußboden wieder in Ordnung kommt«, sprach die strenge Stimme der Oberschwester in die Stille hinein. »Was wollten Sie überhaupt mit der Schüssel? Soviel ich weiß, sollten Sie den Lernschwestern die gebrauchte Wäsche zum Waschen herausgeben.«
»Das habe ich bereits getan, Frau Oberin«, kam die Antwort fast demütig.
»Und was wollten Sie dann mit der Schüssel, deren Inhalt Sie ausgerechnet dem Herrn Professor auf die Füße gießen mußten?«
Schwester Angelika schwieg in tödlicher Verlegenheit und erweckte so den Anschein des bösen Gewissens.
Und die Oberschwester, froh, sie eines solchen überführen zu können und somit ihre krasse Strafpredigt von vorhin vor dem Professor rechtfertigen zu können, ließ sich diese Chance nicht nehmen.
»Es ist schon ein Elend mit diesem Mädchen«, sagte sie kummervoll. »Sie ist unwahrhaftig und