Berühmte Kriminalfälle   8. Band. Alexandre Dumas

Berühmte Kriminalfälle   8. Band - Alexandre Dumas


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die bisweilen bei Nacht heimkehrten, daselbst lange weiße Gestalten tanzen gesehen zu haben behaupteten, welche jedes mal, wenn man sich ihnen näherte, in der Luft zerstoben, oder im Nebel verschwammen. Eine von Johanna's Tanten gehörte ebenfalls zu jenen, die daselbst ähnliche Erscheinungen getroffen zu haben vorgaben; aber obgleich Johanna oft dort mit ihre n jungen Freundinnen tanzte, und vorzüglich sang, hatte sie für ihre Person nie etwas dergleichen gesehen. Dieser Baum stand einem Walde gegenüber, den man den Wald Chenu hieß, und neben einer Quelle, wohin arme fieberkranke Leute in großer Zahl kamen: dieser Baum, einer der schönsten,, die man sehen konnte, und der eine große Berühmtheit allen diesen Erzählungen verdankte, gehörte dem Herrn Peter von Bolemont, Seigneur von Domremy..

      Johanna blieb den ganzen Tag in der Umgebung dieses Baumes, den sie sehr liebte, Kronen flechtend zu Ehren der heiligen Katharina und der heiligen Margareth, denen sie eine große Andacht weihte, und Kronen an die Aeste dieses Baumes hängend; brach dann der Abend an, so führte sie ihre Heerde wieder nach Hause.

      Da Johanna mit zwölf Jahren groß zu werden begann, und zudem schlank und gut gewachsen war, beschlossen ihre Eltern, sie nicht mehr auf das Feld zu schicken, und dass ihr Bruder Peter, ein Jahr jünger als sie, fortan statt ihrer die Heerde hüten solle; man lehrte sie dann die verschiedenen Nadelarbeiten, die sich für eine Frauensperson schicken, und es gelang ihr bald, hierin eben so geschickt zu sein, als die geschickteste Hausfrau des Dorfes.

      Die Erinnerung an das Abenteuer im Garten, tauchte jedoch zehnmal des Tages wieder in ihrem Innern auf, und der Klang jener von ihr gehörten wunderbaren Stimme, schlug unablässig an ihr Ohr. An einem Sonntage, da sie nach Entfernung Aller in der Kirche geblieben war, in ihr Gebet versunken, vernahm sie plötzlich die nämliche Stimme, welche ihr bei ihrem Namen rief; sie schaute empor, und es dünkte ihr, das Gewölbe der Kirche habe sich aufgetan, um eine schöne goldene Wolke hereinschweben zu lassen, und mitten in dieser Wolke sah sie einen jungen Mann, den sie für denjenigen erkannte, der mit ihr auf der Wiese sprach; aber da er diesmal lange weiße Flügel an den Schultern trug, begriff sie, dass er ein Engel sei, fühlte sich ganz erfreut ob diesem Anblicke, und fragte ihn sanft:

      »Monseigneur, habt Ihr mir gerufen?«

      »Ja, Johanna,« antwortete der Engel, »ich

      »Was wollt Ihr von Eurer Magd?« fragte Johanna.

      »Johanna,« versetzte der schöne junge Mann, »ich bin der Erzengel Michael, und ich komme im Namen des Königs des Himmels, um Dir zu sagen, dass er Dich unter den Frauenspersonen auserwählt hat, um das Königreich Frankreich von der Gefahr zu befreien, die es bedroht.«

      »Und was kann ich hierzu tun, ich arme Schäferin auf den Feldern?« fragte Johanna.

      »Bleibe immer ein sittsames Kind, wie Du es bisher warst,« entgegnete der Engel, »und wenn die Zeit gekommen sein wird, werden wir es Dir sagen, die heilige Katharina, die heilige Margareth, und ich; denn Beide haben eine wunderbare Freundschaft zu Dir gefasst, zur Belohnung der großen Andacht, die Du ihnen weihst.«

      »Der Wille Gottes geschehe,« erwiderte das junge Mädchen, »und er verfüge über seine Magd, wann und wie es ihm belieben wird.«

      »Amen!« sagte der Engel, und die Wolke, über ihm sich wieder schließend, entschwebte durch das Ge» wölbe der Kirche, und verschwand.

      Von diesem Momente an hegte Johanna keinen Zweifel mehr: es war weder eine Erscheinung, noch ein Traum, sondern eine wunderbare Wirklichkeit, und da in diesem Augenblicke der Priester, der die Messe gelesen hatte, durch die Kirche schritt, um in das Pfarrhaus zu gehen, bat ihn Johanna, sie Beichte zu hören, und erzählte ihm, was sie so eben gesehen und gehört hatte. Der Priester, ein alter einfacher und guter Pfarrer, hatte eine große Freude über dieses Geständnis Johannas, die er wegen ihrer Bescheidenheit und Andacht immer geliebt hatte; dann anempfahl er ihr, von diesen Erscheinungen Niemanden etwas zu sagen, und pünktlich die Befehle zu vollziehen, die sie vom Himmel erhalten würde.

      Drei Jahre verflossen, ohne dass Johanna wieder etwas von dem sah, was sie gesehen hatte, aber sie fuhr fort, groß zu werden, frisch und bescheiden, wie eine Feldblume, und obgleich nichts von diesem himmlischen Schutze materiell den Augen dessen sich kund gab, was sie umgab, fühlte sie sich doch innerlich in der Gnade des Herrn; daher dünkte es ihr oft, wenn sie allein war, die Chöre der Engel zu vernehmen, und dann erhob sie sanft die Stimme, und sang Liedchen nach einer unbekannten Weise, die sie nicht wieder finden konnte, wenn diese himmlische Musik verklungen war. Oft auch, wenn der Winter gekommen war, wenn der Schnee die Erde bedeckte, ging sie aus, und sagte, dass sie einen Blumenstrauß für ihre Heiligen pflücken wolle: so nannte sie die heilige Katharina und die heilige Margareth, und Jeder machte sich lustig über sie, die ganz mit Schnee bedeckten Gefilde ihr zeigend, und sie lächelte sanft, verließ das Dorf auf dem Wege nach Neuschâteau, und kehrte mit einer schönen Krone von Veilchen, von Schlüsselblumen und Goldknöpfen3 heim, die sie gepflückt und unter dem Baume der Damen geflochten hatte.

      Welche Sicherheit verhießen; es gab keinen Anbau, und folglich keine Ernten mehr, mit Ausnahme eines Vo» genschujses im Umkreise der Mauern; eine Schildwache stand immer auf dem Kirchthurme, und läutete Sturm, sobald sie den Feind bemerkte. Bei diesem Dröhnen kehr» ten die Feldarbeit« eilig zurück, ohne sich um ihre Heer» den zu kümmern; denn auch die Heerden hatten diesen Schall erkennen gelernt, und rannten hastig heimwärts, sobald sie die Glocke ertönen hörten, brüllend und blökend mit kläglicher Stimme, und an den Thoren um den Vortritt sich drängend und kämpfend, um sich unter dem Schutze der Menschen in Sicherheit zu bringen.

      Dann schauten sie ihre jungen Gefährtinnen erstaunt an, und als sie ebenfalls hingingen, und nichts fanden, sagten sie, dass die Feen der Johanna diese Kronen schon geflochten geben. Noch seltsamer endlich war der Umstand, dass die scheuesten Thiere sie durchaus nicht fürchteten, und die kleinen Rehe und jungen Pfaue zu ihren Füßen spielten und hüpften, und oft irgend eine Grasmücke oder irgend ein Stieglitz kam und sich auf ihre Schulter setzte, und da sein melodisches Lied sang, wie wenn er auf dem höchsten Zweige eines Baumes gesessen wäre.

      Während dieser drei Jahre ging es mit den Angelegenheiten des Königs und Frankreichs immer schlimmer; das Königreich war bis an die Loire einer großen Wüste gleich geworden, die Felder lagen öde, die Dörfer in Ruinen, und die einzigen bewohnten Orte waren die Wälder und Städte; die Wälder, wegen ihrer Dicke, welche eine Zuflucht bot; die Städte, wegen ihrer Mauern, welche Sicherheit verhießen; es gab keinen Anbau, und folglich keine Ernten mehr, mit Ausnahme eines Bogenschusses im Umkreis der Mauern; eine Schildwache stand immer auf dem Kirchturm, und läutete Sturm, sobald sie den Feind bemerkte. Bei diesem Dröhnen kehrten die Feldarbeiter eilig zurück, ohne sich um ihre Heerden zu kümmern; denn auch die Heerden hatten diesen Schall erkennen gelernt, und rannten hastig heimwärts, sobald sie die Glocke ertönen hörten, brüllend und blökend mit kläglicher Stimme, und an den Toren um den Vortritt sich drängend und kämpfend, um sich unter dem Schutz der Menschen in Sicherheit zu bringen.

      Um diese Zeit, nämlich gegen den Anfang des Jahres 1428, wurde Monseigneur Thomas von Montaigu, Ritter, Graf von Salisbury, von den drei Ständen Englands beauftragt und entsendet, Frankreich zu bekriegen. Da nun die Kunde von diesem Feldzuge dem Herzog von Orleans zukam,der seit der Schlacht von Azincourt Gefangener in der Stadt London war, ohne dass die Engländer ihm gestatteten, sich loszukaufen, ging er zu dem Grafen von Salisbury, und bat ihn, als guter und loyaler Feind, nicht Güter und Domainen mit Krieg zu überziehen, die er, als abwesend, nicht mehr vertheidigen könne; der Graf versprach es ihm eidlich, landete, nach Ueberschiffung des Meeres, mit einer großen Macht zu Calais, und schlug sogleich den Weg nach jenem Theile Frankreichs ein, der noch nicht erobert war.

      Auf diese Art wurde die Gefahr dringender, als sie jemals gewesen war; daher erschienen Johanna's Visionen wieder. Das erste mal, da sie den heiligen Michael wieder sah, war er, wie er es dem jungen Mädchen versprochen hatte, von der heiligen Katharina und der heiligen Margareth begleitet; die beiden Heiligen nannten sich selbst der Johanna, und dankten ihr für ihre Andacht zu ihnen, und sagten ihr, dass, weil sie fromm, gut und sittsam geblieben, Gott sie noch immer für jene halte, welche Frankreich befreien sollte: sie befahlen ihr folglich, zu dem Könige Karl VII.


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