Berühmte Kriminalfälle 8. Band. Alexandre Dumas
und Burgunder zu marschieren.
Johanna blieb stumm bei diesem Befehle: denn sie war schwach und furchtsam wie ein junges Mädchen, konnte nicht leiden sehen, ohne gerührt zu werden, kein Blut stießen sehen, ohne zu weinen; wie kam es also, dass man ihr, einem Herzen voll Mitleiden, befahl, das harte Werk eines Kriegsmeisters zu vollbringen? Daher bebte sie, das arme Kind von sechzehn Jahren, vor der schrecklichen Zukunft zurück, die ihr beschieden war, Gott bittend, sie in ihrer Niedrigkeit zu lassen, und irgend einer Andern, Würdigeren, als sie, das Gewicht dieser blutigen Erwählung aufzuladen.
Aber Johanna war gewählt; weder stumme Herzensaufschwünge, noch Bitten mit lauter Stimme, sollten den Beschluss der Vorsehung ändern. Eines Tages, da sie bei einer kleinen, der Jungfrau Maria geweihten, und an einem Kreuzwege des Waldes Chenu erbauten Kapelle kniete, schwebte die Wolke wieder zwischen ihren Augen und dem Himmel herab, aber diesmal noch leuchtender, als gewöhnlich; sie öffnete sich dann, und enthüllte die drei Abgesandten des Herrn; nur waren diesmal die beiden Heiligen, die bei ihrer ersten Erscheinung nur eine Armlänge hatten, in natürlicher Größe. Nun schlug Johanna die Augen nieder, denn menschliche Blicke konnten diesen göttlichen Glanz nicht ertragen, und sie hörte, ohne zu wissen, welche von den drei himmlischen Personen mit ihr sprach, eine Stimme, die ihr den Vorwurf machte:
»Warum zögerst Du so, Johanna? Auf was wartest Du, da der Befehl gegeben ist, und warum beeilst Du Dich nicht, ihn zu vollziehen? In Deiner Abwesenheit wird Frankreich zerfleischt, die Städte sind zertrümmert, rechtschaffene Leute gehen zu Grunde, die Edlen werden niedergemetzelt, und ein kostbares Blut fließt zu Boden, wie wenn es das unnütze und schlammige Wasser der Ströme wäre. Ziehe also von dannen, Johanna, ziehe also hurtigen Schrittes von dannen, da der König des Himmels Dich gesendet hat!«
Johanna ging nun zu ihrem Beichtvater, und erzählte ihm, was sie so eben gesehen und gehört hatte. Der alte Priester erteilte ihr den Rat, zu gehorchen.
»Aber,« versetzte Johanna, »wenn ich auch von dannen ziehen möchte, wie könnt' ich es tun?« Ich kenne die Wege nicht, ich kenne weder das Volk noch den König; sie werden mir nicht glauben; Jedermann wird über mich lachen, und mit Recht, denn was gibt es Unsinnigeres, als zu den Großen zu sagen: »»Ein Kind wird Frankreich befreien, durch seine Fähigkeit die militärischen Unternehmungen leiten, den Sieg durch seinen Mut zurückführen;-« und was ist übrigens seltsamer und unschicklicher, mein Pater, als ein junges Mädchen in Mannskleidern?«
Auf diese so vernünftige Rede wusste der alte gute Priester nur zu antworten, dass Gott sehr mächtig sei, und dass man gehorchen müsse; als dann Johanna zu weinen begann, an das ihr auferlegte peinliche Werk denkend, tröstete und stärkte er sie, so gut er es vermochte, indem er zu ihr sagte, sie solle noch warten, und das erste mal, da sie den heiligen Michael und die beiden Heiligen wieder sähe, sie fragen, wie sie es anstellen, welchen Weg sie nehmen, und an welchen Ort sie gehen müsse.
Einige Monate lang, entweder weil die Stimmen, wie sie sie nannte, ob ihrer Unschlüssigkeit zürnten, oder weil die Zeit, zu handeln, noch nicht gekommen war, sah Johanna jedoch nichts. Dann wurde sie besorgt; das arme Kind wähnte, bei dem Herrn in Ungnade gefallen zu sein, und da sie von ihren himmlischen Beschützerinnen sich verlassen sah, setzte sie ein Gebet zusammen, um sie zu bitten, wieder zu ihr zu kommen, dann kniete sie sich vor den Altar der heiligen Katharina hin, und sagte es aus der tiefsten Tiefe ihres Herzens her. Das Gebet lautete, wie folgt:
»Ich bitte Unsern Erlöser und Unsere Liebe Frau, mir Rat und Beistand hinsichtlich dessen zu senden, was ich nach ihrem Willen tun soll, und zwar durch die Vermittlung des seligen heiligen Michael, und der seligen heiligen Katharina und der heiligen Margareth.«
Kaum hatte Johanna diese Worte ausgesprochen, als die leuchtende Wolke herabschwebte, und sich wie gewöhnlich öffnete, und die himmlischen Abgesandten erschienen. Nur war es diesmal der Engel Gabriel, der die beiden Heiligen begleitete. Nun senkte Johanna den Kopf, und die gewöhnliche Stimme ließ sich vernehmen:
»Woher kommt es, dass Du zweifelst und zauderst, Johanna?« sagte die Stimme. »Woher kommt es, dass Du fragst, auf welche Weise die Dinge, welche Du vollbringen sollst, geschehen werden? Du weißt den Weg nicht, der zum Könige führt, sagst Du; auch die Israeliten wussten den Weg nicht, der sie in das gelobte Land führen konnte, und dennoch brachen sie auf, und die Flammensäule führte sie.«
»Aber,« erwiderte Johanna, durch die Sanftheit dieser Stimme ermutigt, von der sie glaubte, sie würde zürnen, »wo ist der Feind, den ich bekämpfen, und wie lautet der Auftrag, den ich vollziehen soll?«
»Der Feind, den Du bekämpfen sollst,« antwortete die Stimme, »ist in der Gegend von Orleans, und damit Du keinen Zweifel mehr hegst, dass wir Dir die Wahrheit sagen, wisse, dass heute sein Kriegsanführer, der Graf von Salisbury, getötet wurde; der Auftrag, den Du vollziehen sollst, besteht darin, die Belagerung der guten Stadt des Herzogs von Orleans aufzuheben, der Gefangener in England ist, und Karl VII. zur Salbung nach Rheims zu führen; denn so lange er nicht gesalbt sein wird, wird er nur Dauphin sein, und nicht König.«
»Aber ich kann nicht so allein gehen,« versetzte Johanna. An wen muss ich mich wenden, auf dass er mir Hilfe und Beistand leiste?«
»Du hast Recht,« antwortete die Stimme; »geh also in den benachbarten Ort, Namens Vaucouleurs, der allein in der Champagne seine Treue dem Könige bewahrte, und dort verlange mit dem guten Ritter Robert von Beaudricourt zu sprechen; sag ihm beherzt, in wessen Namen Du kommst, und er wird Dir glauben. Und damit man Dich nicht zu täuschen suche, oder etwa an einen Andern weise, blick auf, und Du wirst das wahre Ebenbild dieses Ritters sehen.«
Johanna hob den Kopf empor, und sah wirklich einen Ritter ohne Helm, ohne Schwert und ohne Sporen; sie schaute ihn einige Secunden lang an, um seine Züge ihrem Gedächtnisse wohl einzuprägen; dann verschwand nach und nach diese neue Erscheinung. Johanna kehrte sich zu dem Heiligen und den heiligen Jungfrauen um, allein sie waren wieder zum Himmel empor geschwebt.
Von nun an zauderte Johanna nicht mehr, und bereitete sich in ihrem Herzen zum Aufbruch vor; aber den Entschluss zu ergreifen, so Eltern und Heimat zu verlassen, dies war für ein junges Mädchen so schrecklich, dass die Tage sich folgten, und Johanna kraftlos, ihre Zeit mit Weinen zubrachte. Eines Tages, da sie ganz in Tränen zerstoß, überraschte sie ihr junger Bruder Peter: sie liebte ihn sehr, und auch er liebte sie sehr. Er fragte sie, was ihr fehle. Johanna erzählte ihm Alles. Der Knabe erbot sich, mit ihr fortzugehen; dies war Alles, war er ihr bieten konnte.
Einige Tage verflossen noch; die Nachricht von der Belagerung von Orleans, und von der großen Gefahr, in welcher die Stadt schwebte, verbreitete sich von allen Seiten, und verdoppelte die Bestürzung derjenigen, die dem Könige treu geblieben waren. Unter diesen Verhältnissen geschah's, dass der heilige Dreikönigstag kam, und zu Domremy die Ereignisse stattfanden, die wir in unserem ersten Kapitel erzählten.
Diese Ereignisse verkündeten der Johanna, dass die Stunde ihres Ausbruchs gekommen sei; denn sie hatte den Herrn von Beaudricourt so ähnlich dem Bildnisse gesehen, dass sie nur einen Blick auf ihn zu werfen brauchte, um ihn wieder zu erkennen; sie hatte also den Entschluss gefasst, die Einsamkeit zu suchen, um einmal noch ihre Stimmen um Rat zu fragen, und wenn ihre Stimmen ihr aufzubrechen gebieten sollten, wär's auch auf der Stelle, so war sie diesmal entschlossen, ihnen zu gehorchen.
Drittes Kapitel. Der Capitain von Beaudricourt
Kaum hatte Johanna einige Schritte auf dem Wege gemacht, als die Vögel der Felder und Wälder, die durch den gefallenen Schnee seit dem vorigen Tage der Nahrung beraubt waren, um sie herum flatterten, als ob sie es gewusst hätten, dass Johanna ihnen Körnchen bringe. Das junge Mädchen erinnerte sich nun, dass dies ihre erste Absicht war, und sie säte, während sie ihres Weges ging, Getreide und Hanfsamen um sich her, wovon sie, wie Peter sagte, zu Hause Vorrat geholt hatte. So gelangte sie unter den Baum der Feen, der zu dieser Zeit seines schönen Laubwerkes beraubt war, immer noch von ihrer geflügelten Bedeckung begleitet, welche die Zweige des schönen Maibaumes bedeckte, und das Lob Gottes in einer Sprache zu singen begann, die, wenn auch den Menschen unverständlich, deshalb von, Gott nicht weniger verstanden wird.
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