Derolia. Axel Kruse

Derolia - Axel Kruse


Скачать книгу
im Frachtraum des derolianischen Kreuzers zu wissen statt hier am Boden, erschien mir sicherer. Die Soldaten an Bord des Kriegsschiffes hatten keine Ambitionen gezeigt, sich des Inneren meines Schiffes anzunehmen; wie das hier am Boden aussehen würde, vermochte ich nicht zu sagen. Die Gefahr war hier aber ungleich größer, dass sich irgendein übereifriger Beamter um meine Fracht und deren Einfuhrpapiere kümmern würde. Und wer konnte schon sagen, was die Entdeckung der Ladung aus keimfähigen Nüssen zur Folge haben würde? Wir waren ja nicht mehr dazu gekommen, diese irgendwie zu löschen …

      Erinnerungen an unsere damalige Landung auf Sylvej kamen wieder hoch, als unser Shuttle in den Hangar geschwebt war und wir von einer Ehrenwache in Empfang genommen worden waren.

      Sie hatten hundert Soldaten aufgeboten, die mir zu Ehren mehrfach Salutschüsse abgaben. Du meine Güte, was war das damals für Jorge für ein erbärmlicher Empfang auf Sylvej gewesen? Er hatte als Prinz Majister doch sicherlich sehr viel mehr Ehrerbietung zu erwarten gehabt als ich hier und jetzt. Wer war ich denn schon in der derolianischen Hierarchie? Ein überführter Schmuggler, der rein zufällig mal ihrem Prinzen Majister das Leben gerettet hatte – und selbst über diese Sicht der Dinge konnte man vortrefflich streiten. In meinen Augen hatte ich zu seiner Rettung nicht wirklich einen entscheidenden Beitrag geleistet.

      Wir wurden durch den Raumhafen eskortiert. Die Hundertschaft Soldaten sicherte nach allen Seiten, Drohnen flogen über unseren Köpfen, Absperrungen waren für das gemeine Volk errichtet worden. All das wies für mich darauf hin, dass es mit der Liebe des Volkes zu seinen Herrschern nicht allzu weit bestellt sein konnte.

      Ein Konvoi von Schwebern brachte uns in den königlichen Palast, der sich in einer Entfernung von mehr als dreihundert Kilometern vom Raumhafen der Hauptstadt befand. Er lag inmitten einer Flugverbotszone und verfügte nicht über einen eigenen Raumhafen. Umständlich für das Königshaus, wenn es an das Verreisen dachte, praktisch für denjenigen, der Anschläge fürchten musste.

      Der königliche Palast stellte sich als kleine Stadt dar. Er umfasste eine Fläche von rund zweihundert Quadratkilometern. In ihm lebten und arbeiteten rund dreihunderttausend Menschen. Der Palast auf Sylvej war dagegen ein Abklatsch gewesen.

      Leutnant Rogorna stellte mit einer Abteilung ihrer Truppe unsere unmittelbare Leibgarde. Die junge Frau nahm ihre Aufgabe erstaunlich ernst. Selbst hier im Inneren des Palastes war ihre Wachsamkeit nicht eingeschränkt. War das notwendig? Drohte uns hier, quasi im Allerheiligsten des Reiches, eine reale Gefahr?

      Wir waren lange durch Gänge gegangen, hatten wiederholt Gartenanlagen durchquert und befanden uns nunmehr in einem luxuriös ausgestatteten Zimmer, in dem man sich verlaufen konnte. Es als Halle zu bezeichnen, hätte es besser getroffen. Ich konnte mir regelrecht vorstellen, wie hier rauschende Feste gefeiert wurden.

      Wir ließen uns in zwei bequem aussehenden Sesseln nieder, die sich mit zwei weiteren um einen kleinen Tisch gruppierten, während sich die Leibgardisten an den Wänden und vor allem den Fenstern des Saals verteilten. Nadarja und ich starrten uns an. Leutnant Rogorna selbst stand neben der einzigen Tür, die in diesen Raum führte.

      Auf dem Tisch, der zwischen unseren Sesseln stand, befand sich eine Kanne Tee nebst vier Tassen. Nichts weiter.

      Nadarja rümpfte ob des Getränks die Nase. Sie liebte mittlerweile Kaffee, mit Tee konnte sie nichts anfangen. Ich machte mich darüber her.

      Darjeeling, first Flush, wenn auch mit einer derolianischen Note. – Ich genoss die erste Tasse.

      Ein Gongschlag ertönte, dann öffnete sich die Tür. Leutnant Rogorna sah kurz hinaus, dann senkte sie ihr rechtes Knie und beugte ihren Kopf zu Boden. Wirklich zu Boden, die Stirn berührte die Dielenbretter.

      Sämtliche anwesenden Soldaten taten es ihr gleich.

      Zuerst traten zehn Soldaten ein, in dieselbe Uniform gekleidet wie auch Rogornas Einheit. Dann hörte ich dieses charakteristische Klappern. Ich stand auf, Nadarja folgte meinem Beispiel.

      Sie rauschte um eine Ecke, begleitet von weiteren vier Soldaten, je einer vorn, hinten und an jeder Seite.

      Und begleitet von einem kleinen Kind, einem Mädchen mit langen Zöpfen.

      Lysange, wie sie leibte und lebte. Ihre Haare waren noch immer pechschwarz. Sie trug ein bodenlanges weißes Kleid, fast schon eine Robe. Zuerst dachte ich, es wäre eine Art Pelz, und fühlte mich erneut an Sylvej erinnert, dann sah ich, dass das nicht der Fall war. Eine solche Geschmacklosigkeit hätte ich ihr auch nicht zugetraut.

      »Sam«, sagte sie. Nichts weiter.

      Eine kleine Handbewegung ihrerseits forderte die Soldaten auf, sich wieder zu erheben.

      »Bitte sorgen Sie dafür, dass alle Ihre Leute den Raum verlassen«, wies sie Leutnant Rogorna an.

      »Mater …« Rogornas Stimme deutete Widerspruch an, formulierte diesen jedoch nicht.

      »Meine Mutter hat gesagt, ihr sollt verschwinden«, ließ sich nun das Kind vernehmen.

      Man hätte eine Stecknadel in der Stille fallen hören können, die sich an diese Worte anschloss.

      Rogorna senkte den Kopf und winkte ihre Leute von den Wänden und Fenstern weg. »Mater …«, sagte sie noch einmal.

      »Sie bleiben«, wies Lysange an.

      Nachdem alle Soldaten den Raum verlassen hatten, schloss Rogorna die Tür und postierte sich davor, den Rücken zur Tür.

      Draußen vor den Fenstern nahm ich nun Bewegungen wahr; die Soldaten, die eben noch im Raum gewesen waren, bezogen nun im Garten ihre Stellung.

      »Sam, Nadarja, ich freue mich, euch zu sehen«, sagte Lysange und eilte auf uns zu. Ihre Tochter folgte ihr.

      Wir schüttelten uns die Hände, einer Umarmung durch Lys entging ich geschickt, indem ich mich hinter den Tisch mit dem Tee gestellt hatte.

      »Das ist Carla?«, fragte Nadarja.

      »Das ist meine Tochter!«, stimmte Lys zu.

      »Du bist Onkel Sam?«, fragte das Mädchen und betrachtete mich von oben bis unten. »Warum trägst du keine Uniform?«

      »Sam ist keiner unserer Untertanen«, erläuterte ihre Mutter. »Er ist …«

      »Ich bin freier Frachtführer, keiner Obrigkeit verpflichtet«, antwortete ich für mich selbst. Mir ging diese ganze Zeremonie, die wir hier durchlebt hatten, mittlerweile gehörig auf die Nerven.

      Carla starrte mich mit einem durchdringenden Blick an. »Auf diesem Planeten ist mir jeder verpflichtet«, sagte sie leise, aber sehr bestimmt.

      Ich war irritiert. Vor mir stand ein Kind, nicht einmal sechs Jahre alt. Was brachte dieses Mädchen dazu, so mit mir zu reden?

      »Wir gehören nicht zu deinen Untertanen«, erwiderte Nadarja.

      Carla sah kurz zu ihr hinüber. »Du schon«, sagte sie, mehr nicht, aber das reichte, um Wut in Nadarja hochkochen zu lassen.

      »Nein!«, entgegnete Nadarja bestimmt. »Nicht mehr!«

      »Das derolianische Recht sieht keinen Dispens vor«, sagte Lysange. »Zumindest keinen selbstbestimmten. Lediglich die Königin kann einen Bann aussprechen, aber Derolianer ist man von Geburt an bis zum Tod.«

      »Das sehe ich anders!«

      Ich pflichtete Nadarja bei. »Hast du uns gerufen, um hier Grundsatzdiskussionen zu führen?«

      Lysange ging nicht auf mich ein. Sie wandte sich ihrer Tochter zu. »Ich denke, wir können hier eine Ausnahme machen«, sagte sie. »Ohne diese beiden wären wir nicht hier. Ohne sie wären wir vermutlich nicht mehr am Leben. Ich denke, wir können ihnen einen freien Status zuerkennen.«

      Carla nickte. »Mutter hat mir viel von euch erzählt. Ich hatte bereits vorher erwogen, euch zu belohnen. Mir kommt allerdings eine solche Forderung seltsam als Belohnung vor.«

      »Freiheit ist das höchste Gut, Prinzess Majister«, entgegnete ich.

      Von


Скачать книгу