Derolia. Axel Kruse
fragte ich erstaunt.
Carla nickte leicht mit dem Kopf, so als ob sie mir einen Fauxpas verzieh.
»Die Inthronisation wird in zwei Monaten erfolgen, wenn der Thronrat wieder tagt. Ab diesem Tag ist der Titel offiziell. Ich werde dann als Mater Majestrix treuhänderisch die Regierungsgeschäfte übernehmen, bis Carla volljährig ist.«
Ich musste mich setzen, diese Informationen überforderten mich ein wenig.
»Das ist keine Ehrerbietung«, stellte das Kind fest.
»Sam ist nicht unser Untertan, du musst bei Leuten, die nicht deine Untertanen sind, andere Maßstäbe anlegen«, sagte Lysange.
»Darf er deshalb unhöflich sein?«
»Er ist nicht unhöflich, er ist einfach nur Sam!«, sagte Lys, so als ob damit alles gesagt war.
»Wenn es so gut für dich läuft, warum hast du mich dann hergerufen? Ich meine, eine bessere Position kannst du dir doch gar nicht erhoffen, oder? Was ist denn aus der Königin geworden?«
»Carlas Großmutter ist verstorben«, führte Lysange aus. »Sie wurde vergiftet. Ich selbst entging einem ähnlichen Schicksal nur knapp. Die Rädelsführer sind nicht gefasst, wir tappen im Dunkeln. Die Attentäter haben Selbstmord begangen, Spuren zu Hintermännern haben wir nicht gefunden. Es ist zum Verzweifeln!«
»Ich soll für dich Polizist spielen?«
Lysange lachte los. »Nein, Sam. Es gibt Dinge, die ich selbst dir nicht zutraue. Nein, dieses Problem gedenke ich selber in den Griff zu bekommen. Dazu benötige ich aber eine Machtbasis, eine gesicherte Position und die ist ins Wanken geraten.«
Nadarja bediente sich am Tee. Einfach nur, um etwas zu tun zu haben. Innerlich kochte sie noch immer, das konnte ich ihr ansehen. Sie beteiligte sich bewusst nicht an unserem Gespräch.
Lysange ließ sich nun auch in einem der Sessel nieder, Carla tat es ihr nach. Auch Nadarja setzte sich nun, eine Tasse dampfenden Tee in ihrer Hand.
»Die Monarchie hier auf Derolia ist grundsätzlich erblich, aber an bestimmte Formalismen gebunden«, begann Lysange zu erläutern. »Das hängt mit der Eroberung und Besiedlung Derolias vor Jahrhunderten zusammen. Damals wurde die Monarchie begründet. Aber schon damals war der Herrscher nur dann der Herrscher, wenn er sich auch als solcher ausweisen konnte. Dazu gehörte einerseits die Blutlinie, andererseits aber auch die Krone, der Reichsapfel und das Szepter.« Sie machte eine bedeutungsschwere Kunstpause.
Wir blickten sie erwartungsvoll an.
»Das Szepter, das fast von Beginn an die Herrschaft über Derolia und seine Kolonien besiegelt, ist verschwunden, Sam!«
Ich zuckte mit den Achseln. Fast war ich versucht zu antworten: »Dann lass dir doch ein neues schmieden.« – Aber so einfach konnte es nicht sein. »Du brauchst das Original?«, fragte ich.
»Ich, wir«, verbesserte sie sich, »brauchen das von Grigaux dem Dritten geschmiedete Szepter. Es stammt aus dem vierten Jahrhundert der Besiedlung Derolias und wurde seitdem bei jeder Inthronisation verwendet. Wenn wir das nicht vorzeigen können, wird uns der Thronrat die Gefolgschaft verweigern und die Königswürde an einen anderen Zweig des Hauses vergeben. Der wird als Erstes die Aufgabe haben, das Szepter wiederzubeschaffen. Gelingt das nicht, wird die Königswürde freigegeben. Das bedeutet, dass derjenige, der das Kleinod in Besitz hat, sich als neuer Herrscher legitimieren kann, wenn er denn über eine ausreichende Hausmacht verfügt und sich Krone und Reichsapfel aneignen kann.«
»Du sprichst von Bürgerkrieg?«
Lysange nickte langsam. »Es kann dazu kommen, Sam.«
»Wo ist das Szepter abgeblieben?«, fragte Nadarja.
»Mamas Liebhaber hat es«, fiel Carla uns ins Wort.
»Dein … Liebhaber?«, fragte ich konsterniert.
»Meinst du etwa, ich würde hier abstinent leben?«, fauchte sie mich an.
Beschwichtigend hob ich die Hände. Es handelte sich hier schließlich um Lysange, was hatte ich erwartet?
»Der Kerl, mit dem mich die Königin verheiratet hat, ist fast scheintot. Außerdem stinkt er. Seit zwei Jahren liegt er nur noch im Bett. Gestern ist er selbst aus dem rausgefallen. Das ist doch kein Zustand!«
»Er hat das Szepter einfach mitgenommen. Ich wollte ihn aufhalten, aber er hat mich betäubt!«, fuhr Carla dazwischen.
»Aber wenn ihr wisst, wer er ist …«
»Er ist ein Außenweltler. Ein Diplomat von Ashnara. Er hat zuerst mich und dann Carla betäubt. Danach hat er sich mitsamt Szepter aus dem Staub gemacht. Da das Diplomatengepäck am Raumhafen nicht durchsucht wurde, konnte er damit verschwinden, bevor wir wieder bei Besinnung waren. – Sam, ich kann kein Geschwader nach Ashnara senden, um das Szepter zurückzuholen. Das hätte einen Krieg zur Folge, der den gesamten Sektor erschüttern würde. Und das, nachdem wir gerade erst beginnen, uns von dem Krieg mit Terra zu erholen. Außerdem wäre es sehr ungewiss, ob ich das gewünschte Ziel so erreichen würde. Zudem müsste ich hier auf Derolia zugeben, dass ich das Szepter nicht mehr habe. Der Thronrat würde mir die Gefolgschaft verwehren und es würde ein wahrer Run auf das Szepter einsetzen. Bürgerkriegsähnliche Zustände würden das Derolianische Reich zerreißen. – Das muss ich verhindern, Sam.«
Und das alles nur, weil du so triebgesteuert bist, dachte ich, hütete mich aber, es auszusprechen.
»Wie stellst du dir vor, dass ich das regeln kann?«, fragte ich stattdessen.
»Du bist Frachtführer, du kannst dort unverfänglich landen, du wirst einen Weg finden.« Für sie war schon immer alles einfach gewesen, zumindest wenn sie jemanden hatte, der es ausführen sollte.
»Was hat er davon?«, fragte Nadarja in die Stille hinein, die sich nach Lysanges letzten Worten ausgebreitet hatte. »Ich meine, was hat dieser Diplomat davon, wenn er das Szepter hat mitgehen lassen? Er wird doch kein Antiquitätensammler sein. Was bezweckt er?«
Richtig, das war die Frage, mit der wir ansetzen mussten.
»Das habe ich mich auch schon so oft gefragt. Singa meinte, er will Derolia in einen Bürgerkrieg stürzen. Ich weiß nicht, ob es so einfach ist.«
»Singa?«, fasste ich nach.
»Leutnant Rogorna, sie ist meine Vertraute.«
Die Soldatin nickte kurz, dann wandte sie wieder ihre Aufmerksamkeit den Fenstern zu.
»Singa meinte, sie selbst sei die bessere Wahl für die Rückbeschaffung des Szepters … ich sehe das anders.«
»Ich gehöre nicht ohne Grund zu den Neunern«, sagte Rogorna leise.
»Neuner?«, fasste ich nach.
»Es existieren offiziell acht Kompanien, sehr spezielle Kompanien, innerhalb der derolianischen Abwehr. In ihnen sammeln wir die Soldaten, auf die besonders Verlass ist. Sie erhalten eine sehr besondere Schulung und zusätzliche Ausbildung«, erklärte Lysange.
»Und dann gibt es eine neunte, ziemlich inoffizielle?«, führte ich weiter aus.
Rogorna nickte. »Die Neunte existiert offiziell nicht. Aber wir sind die letzte Einheit, nach uns kommt niemand mehr. Wir können nicht mehr nach Polizei, Militär oder sonstigen Ordnungshütern rufen. Wir werden eingesetzt, wenn alle anderen bereits versagt haben.« Ich konnte den Stolz, der in ihrer Stimme mitschwang, geradezu hören.
… und wenn ich ehrlich zu mir selber war, dann hatten mich solche Aussagen schon mein ganzes Leben lang angewidert.
»Warum gibst du deinen Spezialisten dann nicht den Auftrag, das Szepter zurückzuholen? Warum traust du mir mehr zu als denen?«
»Sam, mach es mir nicht so schwer. Du weißt doch selbst, dass es oft besser ist, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Eine rein militärische Lösung würde wahrscheinlich gewaltig ins Auge gehen. – Aber eine konzertierte Aktion … du, dein Schiff