ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG. Gisbert Haefs

ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG - Gisbert Haefs


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er seinen Papagei an.

      Eine Reihe von digitalen Sprengköpfen würde in Kürze detonieren, aber das war mehr als Fangschuss gedacht. Neun von dreizehn Zielen waren erledigt, drei weitere schwer beschädigt. Silver ließ die Knöchel knacken und schüttelte die Aufschläge seiner Piratenjacke zurecht.

      Als es an der Tür klingelte, fand sich in seinen Datoren keine Spur mehr von dem Angriff. Was gerade noch die Brücke seiner digitalen Angriffsfregatte gewesen war, war nun der pseudoreligiöse Tanz aus Kurven verschiedener Börsenkurse. Währungslisten hatten die Zieladressen ersetzt. Und da war jetzt der Überrest eines trojanischen Pferdes, der seine Rechner als Teil der Zigtausend heimlich gekaperten Angriffsbasen auswies: Opfer war er also, nicht Täter.

      »Na dann«, sagte er zu seinem Plüschpapagei. Den Sitz seines Dreispitzes prüfte er vor dem Öffnen, so viel Zeit musste sein. Als er in den Spiegel an der Tür sah, war ihm, als sehe er auf dem Hauptbildschirm immer noch das grüne Leuchten der Nummer dreizehn. Nummer dreizehn beschäftigte ihn viel mehr als alle Sondereinsatzkommandos und Staatsschützer.

      Silver hatte die Polizei mühelos davon überzeugen können, dass er nur zu den Abertausenden Opfern gehörte, deren Datoren durch ein unsichtbares Schadprogramm versklavt worden waren. Sein Äußeres machte die Polizisten nicht argwöhnisch, im Gegenteil: Es wies ihn als Anhänger des verbreiteten Modekults der Zweitausender aus. Leute, die sich wie damals in dem Jahrzehnt kleideten, das vor vierundachtzig Jahren mit dem neuen Millennium begonnen hatte – entweder wurde dabei der »Straßenlook«, wie es damals geheißen hatte, imitiert, oder aber die Garderobe der großen Filmhelden. Und da war Silvers Look unverkennbar, denn der dazugehörige Film erlebte gerade wieder eine Renaissance. Ein Film, der ganz ohne 3-D-VR auskam, ja den man ganz altmodisch auf eine Leinwand projiziert sehen musste, um ihn richtig würdigen zu können. Oder zumindest auf einem dieser LED-Bildschirmdinosaurier.

      Zudem war seine Wohnung mit allerlei altmodischem Krempel ausgestattet, von richtigen Flachbildschirmen bis hin zu den umständlichen, sprachaktivierten Lautsprecherdosen, über die man Pizza bestellen oder das Licht dimmen konnte. Seine Datoren, die er wie in den Zweitausendern liebevoll »Computer« nannte, waren ebenfalls in den jener Zeit nachempfundenen klobigen Kästen untergebracht. Der Begriff »Internet« hatte sich hingegen behaupten können.

      Die Ermittler hatten nur die Nase gerümpft und ihm einen Vortrag über die Sicherung von Heimdatoren und die Vorzüge der Einbettung in das Schwarmnetz gehalten, der Auslagerung von Rechenoperationen und sämtlichen persönlichen Daten ins Internet.

      Für mehrere Wochen beherrschte der Angriff die Medienflüsse mit Nachrichtenbilletts und Explikationen über die Milliarden an Schäden oder Hacker aus China, dann verebbte die Aufmerksamkeit. Das Thema Internet aber blieb aktuell. Wechselweise wurden die Argumente Terrorismus, Urheberrecht oder Kinderpornografie als Grund genutzt, um im Schatten des Fußball-Elitecups ein Gesetz durchzuwinken, das alle Internetanbieter zur Aktivierung von noch aggressiverer selbstlernender Sperrsoftware verpflichtete.

      Die Politik war ebenso zufrieden wie die Industrie, nur das Internet wurde immer eintöniger – was die Entscheider wenig kümmerte, da sie das Netz ohnehin überwiegend nur durch ihre Politurabteilungen und als einfaches Kauf-mit-einem-Blinzeln-Bestellmedium kannten.

      Silver machte sich Vorwürfe, dass sein Angriff im Grunde nach hinten losgegangen war: Seine virtuellen Kanonenkugeln dienten nun seinen Gegnern als willkommene Munition für ihr Vorgehen. Also begann er, aufrüttelnde Vorträge zum Thema Internet und Kontrolle zu halten. Nicht nur via Projektion, sondern auch ganz real und persönlich vor Ort, weil die Authentizität physischer Anwesenheit in einer sonst weitgehend digitalen Welt allgemein sehr geschätzt wurde. Sein Piratenkostüm erwies sich hierbei als echter Medienmagnet. Ein echter Freibeuter, auferstanden aus den Zweitausendern, so wurde er genannt, und: ein Piratenkapitän für die Freiheit.

      Frustrierend war allerdings, dass er doch nur die erreichte, die schon seiner Meinung waren. Absurderweise war auch das ein Problem, das zu Beginn des Jahrhunderts bereits bestanden hatte und mit dem etwas kindischen Begriff der »Filterblase« belegt worden war. Wie heute wurde auch damals die Kritik genau von den Feinden der Freiheit für ihre eigenen Ziele verwendet. Sie behaupteten einfach, ihre Gegner hätten keine Ahnung von der Wirklichkeit, da sie sich ja eh nur in ihren Filterblasen tummeln würden. Die Kritiker seien noch jung und dumm und mögen die Beurteilung doch besser Leuten überlassen, die sich damit auskannten, worunter sie natürlich sich selbst und ihre mit zweifelhaften akademischen Graden geschmückten Hofschranzen meinten. Silver fühlte sich wie im Hamsterrad.

      »Ich brauche wieder Zeit für meine Fregatte«, sagte er zu seinem Papagei. »So werde ich zur Landratte.«

      Eine Woche nach dem Inkrafttreten des Sperrgesetzes traf eine Mail bei Silver ein.

      »Eine echte E-Mail! Von einem Unbekannten!«, staunte Silver und ließ seinen Papagei sich ungläubig vorlehnen. »Kein Mensch versendet heutzutage noch Mails! Außer denen, die nicht beobachtet werden wollen …«

      Er sah sich den Kopfsatz der Mail an. Zum zweiten Mal am heutigen Tage staunte er. Der Absender lautete [email protected].

      »Dreizehn! Jetzt sag mir einer, dass das ein Zufall sein soll!«

      Atemlos öffnete Silver die Mail. Es war ein wirres Geschreibsel, als habe jemand Chinesisch mit einem besonders billigen Onlineübersetzer ins Finnische übertragen und dann ins Deutsche.

      »Meine Finger werden taub« lautete die naheliegendste, aber sinnlos wirkende Deutung. Unterzeichnet war die Mail mit »Anonymous 13«. Eine lange Liste mit Internetadressen folgte.

      Silver fand Krankenhäuser, Banken, Babybreihersteller, aber auch Satellitenkraftwerke und militärische Einrichtungen: Anmeldedaten samt Verifikationen von Datenbanken und Servern, für die Hacker ihren rechten Arm gegeben hätten.

      Silver war beeindruckt. Und er wunderte sich. Warum sollte jemand, der so eine Liste zusammenstellen konnte, seine Dienste benötigen?

      »Weil du ihn mit deinem Angriff beeindruckt hast, du toller Hecht«, ließ Silver seinen Papagei krächzen.

      »Und woher kennt er mich als Urheber?«

      »Du bist halt nicht perfekt, Käpten.«

      »Ach was. Und die Dreizehn? Woher bitte weiß er von der Dreizehn?«

      »Ich glaube, du brauchst frische Luft. Am besten … nicht ganz so frische Luft, aber dafür geschwängert mit elektromagnetischen Emissionen, Lötkolbendunst und Lösungsmitteln.«

      »Was?«

      »Du brauchst Rat. Hol ihn dir.«

      »He, du!«

      Silver drehte sich um. Mitten im Kellergang des Retroclubs Abgestürzte Raumstation stand, unvorteilhaft ausgeleuchtet vom Flackerlicht der Dioden und schwachschimmernden Leuchtkabel, ein rundlicher Kerl mit schütterem Spitzbart. Über seinen massigen Leib spannte sich ein Shirt, das nach einer Waschmaschine geradezu schrie. Er war so was von Nerd-aus-zweitausend, dass er gut und gern mit dem Inventar hätte verwechselt werden können. Aus den verborgenen Lautsprechern der Anlage gluckerte die Klangkulisse eines Science-Fiction-Horrorklassikers.

      »Wer bist du eigentlich?«, fuhr er Silver an. »Du kommst hier rein, als gehöre dir der Laden! Das ist nur für Members hier!«

      Silver sah den Papagei auf seiner Schulter an. »Er fragt, wo wir hinwollen.«

      »Hat er gefragt, ja«, ließ er sein Plüschtier erwidern.

      Von oben herab sagte er zu dem erregten Kerl: »Ich will zu iFrank.«

      Der Tonfall seines Gegenübers wurde noch aggressiver. »Das ist mir egal, hier dürfen keine Aliens rein! Aber du, du spazierst einfach so hier herunter, erst in die Werkstatt drüben, dann zum Chillcenter!«

      Silver benannte die Erscheinung für sich erst einmal als Rumpelstilzchen.

      »Erklären


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