ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG. Gisbert Haefs
damit es klappte. Vielen Dank dafür!
All denen, die bestrebt gewesen sind, das intellektuelle Niveau unserer Kinder beständig zu senken und dabei die Kapazitäten ihrer Gehirne auf dem unheiligen Altar der sogenannten ›Inklusion‹ zu opfern bereit waren, haben wir, der andauernden Querelen und der dümmlichen Argumente, man dürfe Kinder nicht ›überfordern‹ und ›keinen zurücklassen‹, überdrüssig, ihnen sozusagen ›das Feld überlassen‹, auf dem sie sich seither darum bemühen dürfen, einen großen Teil der Kinder sich in einer angeblichen ›Wohlfühloase‹ der permanenten geistigen Unterforderung, nur ihren ›eigentlichen kindlichen Interessen‹ folgend, zu suhlen.«
Der Referent erntete zustimmendes Murmeln, Kopfnicken und vereinzelt war Klatschen zu hören.
»Ich danke Ihnen, meine verehrten Freunde! Damit kein falscher Eindruck entsteht, möchte ich betonen, dass wir natürlich nichts gegen die Inklusion körperlich Behinderter haben. Drei Prozent unserer derzeitigen Schüler sind physisch stark eingeschränkt.
Kein Problem bei uns! Wir alle werden uns noch an das großartige Genie Stephen Hawking erinnern, der den alten Lateinerspruch ›mens sana in corpore sano‹ aufs Augenfälligste ad absurdum geführt hat! Lassen Sie mich fortfahren, was die damals ›modernen, überaus humanen‹ Damen und Herren Pädagogen unter ›kindgerechtem Unterricht‹ verstanden haben und immer noch hochhalten:
Hausaufgaben? Eine Zumutung, viel zu stressig und absolut unnötig!
Sprecherziehung? Wozu denn? Es würde die jüngeren und älteren Schüler nur hemmen, sich ungeniert zu äußern, wenn sie sich nicht mehr in ihrem heimischen Dialekt oder ihrem gewohnten Kleinkindersprech ausdrücken dürften!
Außerdem würde man Migranten beleidigen, die noch nicht gut Deutsch können, wenn man sie ›oberlehrerhaft‹ verbessern würde. Was nebenbei gesagt dazu führte, dass die meisten Ausländer besser Deutsch konnten, als die Einheimischen. Aber ich will nicht abschweifen.
Rechtschreibung? Igitt! Wer braucht denn so was? Wir schreiben nach Gehör, frisch, fromm, fröhlich, frei, wie es uns gerade einfällt! Eine Zensur findet auf keinen Fall statt! Später (wann denn, bitte schön?) werden wir dann behutsam versuchen, den Kindern Rechtschreibung samt Groß- und Kleinschreibung (wobei die Großschreiberei eigentlich überflüssig ist!) und die noch lästigere Interpunktion näherzubringen. Also: Diktate: Fehlanzeige.
Aber so wichtig ist das nicht: Wer schreibt denn heute noch? Und wenn, dann ist bloß relevant, dass man noch irgendwie versteht, was gemeint ist!
Letzteres erfüllt meines Erachtens schon fast den Tatbestand eines Verbrechens, meine Damen und Herren! Nämlich an der Intelligenz unserer Nachkommen. Ich weiß, Sie sehen das genauso: Jeder vernunftbegabte Mensch weiß doch, dass Abläufe, die sich einmal verfestigt haben, also auch Fehler, nur sehr schwer, wenn überhaupt, zu revidieren sind. Aber, was soll’s?
Dann schreibt eben Hänschen Müller auch noch als Johann Müller: ›Das haus von mein fatter is gros.‹ Und von Margarete Meier, der Schwester meiner Zugehfrau, konnte ich in einem Beschwerdebrief ans Ordnungsamt lesen: ›Da hund fon meiner nachbarin laufte hinder meiner kaz Her und hat sie woln beisn‹, ganz so, wie sie es als Gretchen in der Schule auch zu Papier bringen durfte, ohne dass so ein besserwisserischer Pädagoge dagegen eingeschritten wäre.
Sei’s drum. Dafür haben die lieben Kinderchen eine schöne Kindheit, ohne Schulstress, ohne Noten: logisch! Und ohne demütigende Konkurrenz mit anderen Schülern. Schon blöd, wenn man merkt, dass andere schlauer sind als man selbst! Dafür: keine Demotivierung! Wovon eigentlich? Und ohne – und das ist am allerwichtigsten – lästige ›Verpflichtungen‹. Was für ein garstiges Wort! Und mit der Schulpflicht soll es auch nicht so genau genommen werden.
Was ist denn schon dabei, fragen die Damen und Herren von der human-fortschrittlichen Lehrerzunft, wenn Susanne mal keinen Bock auf Schule hat und stattdessen lieber mit ihren genauso dümmlich gestrickten Freundinnen irgendwo ›abhängt‹, um einfach mal während der Unterrichtszeit ungestört zu chillen, als sich von ihrer Lehrerin mit den Namen von den Hauptstädten unserer Bundesländer anöden zu lassen? Oder noch schlimmer: Womöglich so eine altmodische Geschichte von einem gewissen Bert Brecht – lebt der noch? Wer ist dieser uncoole Typ denn überhaupt? – lesen zu müssen, wo ›Lesen‹ nicht gerade zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört? Warum überhaupt auf Schüler irgendeinen Zwang ausüben?
Pfui, aber auch! ›Druck erzeugt bloß Gegendruck‹ und gute Pädagogen wissen das selbstverständlich!
›Kinder brauchen Liebe und Verständnis und keine Gebote und schon gar keine Verbote!‹, lautet das Credo aller beschränkten Gutmenschen mit Lehrbefugnis – und von der Sorte gibt's leider viel zu viele. Und sie merken gar nicht, wie sie von den lieben Kleinen an der Nase herumgeführt werden und sich selbst jeglicher Autorität berauben, die sie natürlich ohnehin nur als schlimmes Instrument der Unterdrückung verachten: ›Kinder müssen sich ohne jede Einschränkung entfalten dürfen. Alles andere ist Körperverletzung, wenn nicht gar Vergewaltigung!‹
Dass dann die Gleichung sehr leicht lauten könnte: ›Null Einschränkung ist gleich Beschränktheit‹, weisen sie natürlich weit von sich.
Dass das dann auch bedeutet, dass die Schüler in die Klasse kommen und gehen dürfen, wann sie Lust dazu haben und die meiste Zeit, die sie denn dann tatsächlich im Unterricht körperlich anwesend sind, mit ihrem Smartphone verbringen, ihre ›Likes‹ checken, ihre E-Mails abrufen und natürlich sofort beantworten – dazu reicht der rudimentäre Sprachschatz gerade noch – oder um ›Fake News‹ und Mobbing unters Volk bringen – wen kümmert’s?
Ganz klar: Schule und Unterricht und Lernen werden kolossal überschätzt!
Ich selbst war anlässlich einer Visitation einer ›normalen‹ vierten Grundschulklasse Zeuge, wie eine Schülerin im Hintergrund des Klassenraums auf einer Matratze, sorgfältig zugedeckt, gelegen hat und schlief. ›Die Kleine ist nur müde! Hat wohl vergangene Nacht zu wenig Schlaf bekommen!‹, hat mir die Lehrerin auf meine Sprachlosigkeit und meine ratlosen Blicke wie selbstverständlich erklärt.
Bloß kein Zwang! Das gibt sich alles von selbst. Irgendwann wird sich auch der größte Faulpelz oder Dummkopf zum interessierten Musterschüler entwickeln. Außerdem: Wir brauchen keine ›Eliten‹, die sich überlegen fühlen! Immer schön das Mittelmaß anpeilen!
Diesen Unsinn, meine Freunde, glauben die Pädagogen tatsächlich, die sich nicht Erziehung oder gar Unterrichtung und Belehrung, sondern ›Freiheit für alle, auch und gerade für unsere Schüler!‹ auf ihre Fahnen geheftet haben.
Wenn es nach uns geht, kann es ruhig so bleiben, meine verehrten Anwesenden!
Solange wir in Ruhe unsere geistigen Eliten ausbilden können – in der Tat verbunden mit einem gewissen ›Schulstress‹, mit gesundem Konkurrenzkampf, mit geistigem Kräftemessen, mit Disziplin und Lernwillen – und nicht zu vergessen, mit der Anerkennung ihrer intellektuellen Leistungen durch Lob, gute Zensuren und Empfehlungsschreiben für Eliteuniversitäten – dann, meine Damen und Herren, können wir zufrieden sein und der Entwicklung in unserem Land mit Erleichterung und Zuversicht entgegensehen.
Es wird uns dank engagierter Lehrkräfte und lernwilliger junger Leute weder flächendeckende Verblödung noch Absinken auf ›Underdogniveau‹ drohen. Ich muss das leider so hart formulieren!«
Erneute Zustimmung seiner Zuhörer veranlasste den Referenten, temperamentvoll fortzufahren.
»Alle anderen überlassen wir ruhig ihren geliebten Verdummungsmechanismen, die da lauten: Bloß keine Bücher lesen!
›Lesen gefährdet die Dummheit!‹ Das wusste man schon vor gut neunzig Jahren, als spaßeshalber auf der ›Frankfurter Buchmesse‹ Jutetaschen mit diesem zutreffenden Spruch verteilt wurden.
Rechenaufgaben einfachster Art übernimmt längst irgendeine Rechenapp und Landkartenverständnis oder Stadtplanlesen ist auch vollkommen »out«. Wozu gibt es auch hier die entsprechenden Apps