DIE SEELE IM JENSEITS. Whitley Strieber

DIE SEELE IM JENSEITS - Whitley  Strieber


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fuhr fort, ihre Existenz zu beweisen, indem sie gezielt andere Menschen kontaktierte. Ich hatte nicht nur niemandem von unserem Plan erzählt, sondern auch selbst jahrelang nicht mehr an ihn gedacht. Jetzt aber wurde mir klar, was sie tat.

      Am Morgen nach Annes Tod wachte um 6 Uhr Alex Rotaru plötzlich auf, ein mit uns befreundeter Filmemacher. So früh wach zu werden war für ihn ungewöhnlich.

      Sofort spürte er Annes Anwesenheit. Sie sagte: »Ich habe eine Menge Ideen.« Im nächsten Moment offenbarte sich ihm die Schlusssequenz eines Films, an dessen Fertigstellung er seit zwei Jahren arbeitete. In ihrem bisherigen Leben hatte Anne Anteil daran genommen, dass er mit seinem Projekt feststeckte. Sie hätte ihm gerne geholfen. Jetzt, in ihrem nächsten Leben, übermittelte sie ihm, was er brauchte.

      Annes nächste Kontaktaufnahme war es dann, die mich endgültig davon überzeugte, dass sie unseren Plan ausführte …

      Es war an der Zeit gewesen, dass ich das Haus verließ und wieder etwas unternahm. Daher schlugen meine Kinder eine gemeinsame Fahrt nach Palm Springs vor.

      Dort in der Wüste hatten Anne und ich viele schöne Wochenenden verbracht. Ich würde einen Ausflug an einen Ort unternehmen, den wir beide sehr gemocht hatten.

      An unserem ersten Nachmittag dort fuhren wir aus der kleinen Stadt hinaus in die Berge. Meine Kinder beschlossen, eine Wanderung zu unternehmen. Ich konnte sie nicht begleiten, weil mein Knie einer solchen Belastung nicht gewachsen war. Also setzte ich mich auf eine Bank.

      Ich redete innerlich mit Anne und bat sie wieder einmal um ein Zeichen, dass sie noch existierte. Nur Sekunden später klingelte mein Handy. Obwohl ich mich an einem ziemlich abgelegenen Ort befand, war der Empfang ziemlich gut. Die Anruferin war eine gute Freundin aus Nashville, Clare Henry, die Frau des Autors William Henry. Sie sagte: »Whitley, ich habe gerade eine Botschaft von Anne empfangen. Sie bat mich, dich anzurufen und dir zu sagen, dass es ihr gutgeht.«

      Da spürte ich Gewissheit. Das konnte kein Zufall sein. Der Anruf kam nicht nur zum perfekten Zeitpunkt, es war zudem überhaupt das erste Mal, dass Clare mich anrief. Für mich hatte Anne damit hinreichend bewiesen, dass sie noch da war. Sie existierte nicht nur, sie war bewusst und nahm wahr, was in meinem Bewusstsein vorging. Und sie verfügte nun offenbar über neue Kommunikationsfähigkeiten.

      Jetzt gerade fühlt es sich für mich an, als würden wir nebeneinandersitzen, so wie wir es taten, wenn wir zusammen arbeiteten. Sie sagt: »Ich habe jetzt etwas anderes zu bieten. Eine akkurate Sicht der Wirklichkeit.«

      Und gewiss ist es das, was unsere Spezies in dieser Krisenzeit besonders dringend braucht. Sie fügt hinzu: »Denke aber daran, dass es trotzdem auch für uns Grenzen gibt. Die Zukunft ist kein offenes Buch für uns, doch völlig unbekannt ist sie uns auch nicht. Wir sehen klarer, weil wir den Unterschied zwischen dem Unvermeidlichen, dem Wahrscheinlichen, dem Möglichen und dem Unmöglichen kennen. Wir stellen keine Mutmaßungen an.«

      Solche Einsichten werden gegenüber dem, was wir auf der physischen Seite der Spezies heute zur Verfügung haben, ein großer Fortschritt sein. Aber was die Kommunikation zwischen den beiden Seiten betrifft, sind Objektivität und reproduzierbare Resultate erforderlich, denn sonst wird das alles in Verwirrung und Fantastereien enden. Anne sagt: »Zahlen sind entscheidend. Viele von euch müssen in die Lage versetzt werden, die Brücke zu überqueren, damit wir in großer Zahl übereinstimmende, überprüfbare Informationen liefern können.« Und wir sollten darauf achten, dass eine permanente Zusammenarbeit aufgebaut wird. Ich stelle mir eine Situation vor, in der viele Menschen auf organisierte Weise mit ihren geliebten Angehörigen auf der anderen Seite in Austausch stehen. Auf diese Weise lassen sich gemeinsame Zukunftsvorstellungen entwickeln, die umfassend genug sind, um auf ihrer Grundlage konkrete Maßnahmen zu beschließen.

      Darüber hinaus besteht das Ziel dieser neuen Beziehung mit dem Jenseits darin, das Dasein der Seelen auf beiden Seiten reicher und erfüllter zu machen. Darum geht es nämlich im Leben. Es geht um die Seele. Und um das Universum, das Ganze.

      Während wir unsere Brücken bauen und danach streben, unserer Spezies Ganzheit zu bringen, müssen wir verstehen, was Glaube und somit durchaus hinterfragbar ist und was solides Wissen, das als Entscheidungsgrundlage dienen kann.

      Alle diese Vorfälle – Belles Anruf, gefolgt von Clares, Trishs und Robs Erlebnissen und Alex’ Traum – veranlassten mich, meine zentrale Frage, ob Annes Bewusstsein noch existierte, nicht mehr als Spekulation, sondern als Möglichkeit einzustufen. Aber wusste ich es? War meine Erwartung, dass Anne weiterhin existierte, jetzt Wissen, wenigstens für mich?

      Ich entschied, dass ich versuchen würde, weitere beweiskräftige Vorfälle zu sammeln. Wozu Anne sagte: »Gut, aber halte dich nicht zu sehr damit auf.«

      Besonders schwer an der Kommunikation mit den Toten fällt, daran zu glauben, dass sie wirklich real ist. Das liegt daran, dass wir die Realität anhand von physischen Merkmalen definieren, und die fehlen bei dieser Form der Kommunikation völlig. Deshalb wünschen wir uns Zeichen, so viele wie möglich.

      Da bin ich nicht anders. Wenn ein Zeichen erscheint, suche ich schon nach dem nächsten. Fünfundvierzig Jahre lang hatten Anne und ich uns in ständiger Kommunikation befunden, miteinander redend, einander berührend, uns liebend. Wir haben in jeder Hinsicht physisch zusammengelebt. Und es vergeht kein Tag, an dem mein Körper nicht aufs Neue über ihre Abwesenheit erschrickt. Und doch weiß mein Geist, dass sie da ist. Hier bei mir, in diesem Moment. Ich höre, wie sie mit mir spricht, sehe immer wieder unterschiedliche Manifestationen, erhalte so viele überzeugende, übereinstimmende Berichte von so vielen Personen, dass sie für mich als persönliches Wissen überzeugend sind. Um universell gültiges Wissen handelt es sich gewiss nicht, aber auf persönlicher Ebene genügt es mir.

      Dennoch reagiert mein Körper anders. Ohne Gerüche, Tasteindrücke, Geräusche – also ohne physische Manifestationen – ist sie für ihn nicht mehr existent. Anders als mein Geist ist mein Körper nicht in der Lage, etwas anderes zu glauben. Da es für ihn keine Bestätigungen für Annes Existenz mehr gibt, erzeugt er Fragen und Zweifel – was aber eine gute Sache ist. Es ist viel besser, durch Fragen die Tür zu öffnen, als sie durch Glauben zu schließen. Vor allem sollten wir die Wesen im nicht-physischen Bereich nicht als Propheten oder Führer betrachten.

      Das hat mit dem Grund für unser Dasein im Diesseits zu tun. Wir sind nicht hier, um in die Zukunft zu blicken, sondern um die Gegenwart zu erleben. Auf diese Weise erforschen und verstehen wir uns selbst. Dafür ist entscheidend, dass Überraschungen möglich sind, da wir sonst nicht im Einklang mit unserer tiefsten Wahrheit handeln würden. Wir hätten dann nicht die Chance, uns selbst zu entdecken. Es wird also immer eine Grenze geben nicht nur im Hinblick darauf, was unsere Toten über die Zukunft wissen, sondern auch was uns mitgeteilt werden kann.

      Ich würde sagen, dass meine Beziehung zu Anne jetzt tiefer ist als zu jener Zeit, in der wir beide in der physischen Welt lebten. Ich war ihr Lebensgefährte. Jetzt habe ich eine Verbindung zu ihr, die so nicht möglich wäre, wenn wir beide noch durch die Barriere der Körperlichkeit getrennt wären. Wir teilen unser Sein miteinander und kultivieren gleichzeitig Fragen, die uns beiden helfen werden, den Entdeckungsprozess fortzusetzen, der das zentrale Ziel jeder Beziehung ist – auch und gerade, wenn ein Partner sich auf der anderen Seite der Brücke befindet.

      Als die Lehrerin, die sie ist, liebt es Anne, Fragen zu stellen. Für mich wäre es wunderbar, völlige Gewissheit zu haben. Aber so tröstlich der Glaube auch sein mag, ist es doch reicher und besser, im Abenteuer der Fragen zu leben, und es macht erheblich mehr Freude.

      Bis ins Mark und in jedem Blutstropfen fürchten wir uns vor dem Sterben. Diese quälende Angst kann uns dazu treiben, unsere Menschlichkeit aufzugeben und gewalttätig zu werden.

      Anne wirkt dabei mit, dies zu ändern, indem die Toten uns Lebenden helfen, die Furcht, die uns beherrscht, durch etwas ganz Anderes zu ersetzen. Dieses Andere ist kein starrer Glaubenssatz, sondern eher ein weicher, Fragen zulassender Sinn dafür, dass dieses Universum keine passive Realität ist, die uns umgibt, sondern eine lebendige Gegenwart, von der wir ein Teil sind.

      Der glänzende, vielversprechende Materialismus


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