DIE SEELE IM JENSEITS. Whitley Strieber

DIE SEELE IM JENSEITS - Whitley  Strieber


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dagegen entfaltet sie sich, in aller Öffentlichkeit, auf den Seiten eines Buches …

      Meine Trauer gilt dem Verlust von Annes Körper, nicht der Abwesenheit ihres Seins. Tatsächlich ist Anne, wie Sie im weiteren Verlauf unseres Berichtes sehen werden, zu einer Präsenz geworden, die sich durch hohe Intelligenz, Mitgefühl und, vor allem, Einsicht auszeichnet.

      Bis Montagmorgen verstummte sie völlig. Ich befand mich in einem so machtvollen emotionalen Zustand, wie ich es nie zuvor erlebt und auch nie für möglich gehalten hätte. Es war mehr als Seelenqual. Es war Qual gemischt mit etwas, das an Ehrfurcht grenzte.

      Ich war mir bewusst, dass ich Zeuge des Sterbens einer großen Seele wurde.

      Annes Leben hatte in sehr bescheidenen Verhältnissen begonnen. Ich hatte einige ihrer Schulkameradinnen kontaktiert, und sie schrieben mir, sie sei ein stilles, unscheinbares Mädchen gewesen. Niemand hatte sich je die Mühe gemacht, Anne zu fördern und geistig zu inspirieren. Bevor wir uns trafen, hatte niemand ihren Scharfsinn bemerkt. Bisher hatte er sich in Annes Leben nur dadurch geäußert, dass sie ständig Menschen verärgerte, weil sie ihnen sagte, was sie falsch machten. Weil sie die geborene Lehrerin war, konnte sie es einfach nicht lassen, den Leuten zu erklären, wie sie bestimmte Dinge besser machen konnten. Damit machte sie sich oft unbeliebt und wurde an jedem neuen Arbeitsplatz meist nach ein paar Monaten gefeuert.

      Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie bemerkenswert sie war. Gleich bei unserem ersten Treffen sprudelten die brillanten Gedanken nur so aus ihr hervor und ihr scharfer Verstand funkelte. Schon nach zehn Minuten hatte ich erkannt, was für eine glückliche Begegnung das war.

      Ich hatte mir immer eine kluge Frau gewünscht. Sehr klug. So klug wie möglich. Als wir uns eine Woche kannten, wusste ich, dass mir noch nie ein so hellwacher, geistreicher Mensch begegnet war. Ich war fest entschlossen, wenn unsere Beziehung funktionierte, mich zuallererst darum zu kümmern, dass sie die Ausbildung erhielt, die sie verdiente.

      Als ich in ihre leuchtenden braunen Augen schaute, sah ich nicht nur eine zweiundzwanzigjährige junge Frau. Ich sah ein Wesen von großer geistiger Tiefe, das sich hinter einem unschuldigen Funkeln verbarg. Ich wollte dieses Mädchen in meinem Leben, aber ich wollte auch diese andere Person, dieses Genie, das in ihr steckte und mich unbehaglich anschaute, fürchtend, dass sie mich abschrecken und vertreiben könnte.

      Seit diesem Tag lebe ich im Schatten einer verborgenen Meisterin, deren Weisheit und Kraft die meine weit überragt. Ich liebe bis heute jede Minute, in der ich dieses großartige Privileg genießen kann.

      Ich vermisste ihre süße Gegenwart und ihren enormen Geist so sehr, dass es kaum zu ertragen war, aber ich wusste auch, dass sie im Triumph auf die andere Seite gehen würde, denn sie hatte in dieser Welt Großartiges geleistet, war aber dabei sanft und bescheiden geblieben. Sie wusste, wie außergewöhnlich ihre Erkenntnisse und Einsichten bezüglich der Kontakte mit den »Besuchern« gewesen waren, aber sie hatte sich darauf und auf ihre anderen Leistungen nichts eingebildet, und sie hegte keinen Groll, weil so viele Menschen auf diese Einsichten mit offener Ablehnung oder Desinteresse reagierten. Natürlich gefiel ihr nicht, wie man uns behandelte, aber statt sich darüber zu ärgern oder verbittert zu werden, machte sie einfach mit ihrer Arbeit weiter.

      Nach ihren anfänglichen Problemen mit dem Wut-Management in unserer Beziehung hatte Anne die Fähigkeit entwickelt, Ungerechtigkeit und Enttäuschungen gelassen zu akzeptieren.

      Ich erinnere mich daran, wie wir uns die erste Folge der Serie South Park anschauten, diese Folge, in der sie sich über mich lustig machten. Anne nahm meine Hand und sagte: »Das sind leere Menschen, und sie wissen das, und du bist nicht leer, und auch das wissen sie, und deshalb greifen sie zu diesen Gemeinheiten.«

      Sie besaß große Menschenkenntnis, und sie kannte mich besser als ich mich selbst.

      In unserer letzten gemeinsamen Nacht schliefen wir, wie in allen unseren Nächten davor, Seite an Seite und Hand in Hand. Als ich in der Nacht ihre Hand drückte, kam es mir so vor, als hätte sie den Druck erwidert. Also verbrachte ich den Tag damit, ihr Gedichte vorzulesen, die wir beide liebten: Whitmans »Da war ein Kind hervorgekommen«, Wordsworths »Innewerden der Unsterblichkeit aus Erinnerungen an die frühe Kindheit«, Elliots »Das wüste Land«, Lowells »Stunde des Stinktiers«. Ich las ihr das Buch Kohelet vor, den Monolog der Molly Bloom aus Ulysses und viele Zeilen aus Joe Brainards Ich erinnere mich. Und natürlich, für uns von ganz besonderer Bedeutung, das »Lied des wandernden Aengus«.

      Annes erster telepathischer Moment kam, als sie endgültig ins Koma gefallen war. Sie war seit vier Stunden bewusstlos, als eine ihrer Pflegerinnen plötzlich sagte: »Sie hat mir gerade mitgeteilt, dass sie in einem roten Pyjama sterben möchte!« Die Frau war sich so sicher, dass diese Bitte tatsächlich von Anne gekommen war, dass sie sofort aufsprang, in den Supermarkt eilte und einen roten Pyjama kaufte. Wir zogen ihn meiner Frau über ihren dünnen, dahingeschwundenen Körper.

      Beachten Sie, wie sicher sich die Pflegerin war und wie stark sie das motivierte. Es war für sie, als hätte ein lebender Mensch etwas zu ihr gesagt, und doch handelte es sich nicht um eine Stimme, die physisch hörbar gewesen wäre wie zum Beispiel die Stimmen im Radio. Es war das, was ich mittlerweile eine »stille Stimme« nenne, ein inneres Wissen, was ausgesprochen wird, ohne dass die Ohren etwas wahrnehmen. Mit anderen Worten, es war keine akustische Halluzination. Stattdessen ist es ein spontanes inneres Sprechen, dem man deutlich anmerkt, dass es sich nicht um eigene Gedanken handelt, sondern von einer anderen Person kommt.

      Es war kein Zufall, dass Anne die Farbe Rot wählte. Sie lebte nun bereits zum Teil in der Welt der Toten und hatte Zugang zu dem Wissen, das dort existiert.

      Inzwischen hat sie mir erklärt, wie Farben unterschiedliche Lichtschwingungen und Seinsebenen widerspiegeln. Sie hat mir gezeigt, welche Farben mit dem Körper und der Seele assoziiert sind und in welcher Beziehung diese Farben zueinander stehen. Sie sagt: »Anstriche verblassen, aber Farbe ist unsterblich.« Der Körper stirbt, doch die Seele bleibt bestehen.

      Um die Bedeutung von Farben und viele andere Botschaften aus der nicht-physischen Realität verstehen zu können, ist es wichtig, das Prinzip der Triade zu kennen. Eine Triade hat drei Seiten: aktiv, passiv und harmonisierend.

      Weil der Körper die aktive Seite der Triade des Seins ist, wird ihm die Farbe Rot zugeordnet. Dass Rot für Dringlichkeit und aktives Handeln steht, ist leicht nachzuempfinden, so wie Grün auf Passivität und Frieden hindeutet. Anne wollte beim Verlassen dieser Welt in der Farbe des Blutes und des Lebens gekleidet sein.

      Am Abend des 11. August 2015, einem Dienstag, erreichte Annes Koma seine letzte Phase. Sie lag in unserem Bett, an der Stelle, wo ich nun jede Nacht schlafe und hoffe, dort eines Tages ebenfalls dieses Leben zu verlassen.

      Mein Sohn und meine Schwiegertochter waren am Vormittag eingetroffen. Es war klar, dass das Ende bevorstand. Wir drei saßen am Esstisch im Wohnzimmer, als ich Anne in meinem Bewusstsein sagen hörte: »Whitty, ich sterbe jetzt.« Ich sprang auf, eilte ins Schlafzimmer und legte mich neben sie. Ich legte meine Hand auf ihre Brust und fühlte ihren Herzschlag. Ich sagte: »Goodbye, Goodbye, Goodbye.«

      Während ich sprach, blieb Annes Herz stehen.

      Das Zentrum meines Lebens hatte seinen Körper – und mich – hinter sich gelassen.

      Trotz allem, was ich inzwischen über das Jenseits wusste und was wir beide über das nicht-physische Bewusstsein gelernt hatten, hatte ich in diesem Moment das Gefühl, ich hätte Anne für immer verloren.

      Doch da sie noch nie Zeit vergeudet hatte, ließ sie mich sofort wissen, dass sie weiter existierte. Das war kein flüchtiges Erlebnis, sondern entwickelte sich von dem kleinen Anfang an diesem ersten Abend zu einer sich stetig weiterentwickelnden Beziehung, die sogar noch reicher und komplexer ist als zu der Zeit, als wir beide physisch existierten. Natürlich fehlt mir die Lieblichkeit ihres Fleisches, doch an deren Stelle trat eine Vermischung unserer beiden Existenzen zu einer so intensiven Partnerschaft, wie ich sie mir nie hätte vorstellen können.

      Anne und ich leben hier und jetzt, verbunden durch die Brücke der Liebe. Manchmal


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