Gewalt durch Gruppen. Detlef Averdiek-Gröner
Silvester von ca. 45 % Rücklaufquote ausgeht.
Diese hohe Rücklaufquote ist einerseits erstaunlich, jedoch müssen bei der Einschätzung der Signifikanz einige Umstände berücksichtigt werden.
Die Anschriften wurden insbesondere in Bezug auf ein polizeiliches Verfahren vorselektiert. Die Menschen sollten nicht durch die Polizei aufgesucht werden, wenn sie sich gleichzeitig als Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren befinden. Sicherlich hat die Befragungssituation, also das Überbringen durch und die Rückgabe der Bögen an Polizeikräfte, einen Effekt auf den Befragten; es stellt sich die Frage, ob die Probanden unter dem Eindruck des Polizeikontaktes so geantwortet haben, wie sie es für sozial erwünscht hielten. Viele Fragen jedoch, zum Beispiel zum Anreiseverhalten, dürften wahrheitsgemäß beantwortet worden sein. Hier gibt es auch keinen nachvollziehbaren Grund, eine falsche Angabe zu machen. Bei den Fragen zum Alkoholkonsum und zur Staatsangehörigkeit ist jedoch von weniger wahrheitsgemäßen Aussagen auszugehen. Zudem muss angemerkt werden, dass trotz hoher Rücklaufquote der Rücklauf nur einen kleinen Teil der vor Ort befindlichen Personen abbildet.
Auch wenn nicht der Anspruch wissenschaftlich validierter Daten erhoben wird, so sind die gewonnenen Erkenntnisse doch höchst interessant und in dieser Form einmalig.
Die Ergebnisse der Befragung sind hier grafisch dargestellt:
Im Fragebogen bestand die Möglichkeit, den Aufenthalt in Köln in einem Freitextfeld zu bewerten bzw. zu dem Abend zu berichten, davon machten 55 % der Befragten Gebrauch.
Einige der Freitexte sind in nordafrikanischen Dialekten des Arabischen beantwortet worden, obwohl als Staatsangehörigkeit Syrien, Afghanistan oder Irak angegeben worden war. Wenige sind auch auf Französisch beantwortet worden, was auch eher für eine nordafrikanische Herkunft spricht, da für Syrien, Afghanistan und Irak der Französischgebrauch untypisch ist, dagegen aber in Tunesien, Algerien und Marokko noch häufig Französisch gesprochen wird.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Besucher Köln für eine sehr schöne, attraktive und sympathische Stadt halten. Sie haben sich aufgrund der Polizeipräsenz sicher gefühlt, auch wenn mehrheitlich in den Freitexten bekräftigt wird, dass viele der Besucher vom hohen Polizeiaufgebot überrascht waren, da sie bereits auf der Anreise von der Polizei begleitet worden waren und am Kölner Bahnhof kontrolliert worden sind. Viele der Besucher wussten nichts von den letztjährigen Ereignissen. Köln ist für viele unkompliziert und günstig zu erreichen und die Großstadt bietet ihnen eine einfache Verständigung mit den Menschen vor Ort. Mehrere Besucher gaben in ihren Freitexten an, dass sie trotz der Kontrollen am Silvesterabend gern im nächsten Jahr wiederkommen möchten, da sie schon viel Positives über Köln gehört haben oder sich schon positive Eindrücke, etwa durch den Besuch von Bekannten und Verwandten, verschaffen konnten. Einer der Besucher äußerte, dass die Kontrollen im nächsten Jahr doch bitte vor 24 Uhr stattfinden sollen, „damit man noch etwas vom Feuerwerk mitbekommt“. Aufgrund der lang anhaltenden Maßnahmen der Polizei verpassten viele der Besucher das Feuerwerk, was sie als „sehr schade“ empfanden, da sie sich auf dieses Ereignis sehr gefreut hatten.
Abschließend wurden einige soziodemografische Daten erhoben. Die Staatsangehörigkeit gaben 41 Personen nicht an. Am häufigsten wurden Staatsangehörigkeiten aus Irak, Afghanistan und Syrien angegeben, während die nordafrikanischen Staaten praktisch nicht vorkamen. Diese Angaben sind allerdings aufgrund der asylrechtlichen Lage als wenig glaubhaft einzuschätzen. Zudem korrespondieren die Angaben in keiner Weise mit den Eindrücken vor Ort, bei denen sprachkundige Beamte oder auch Sprachmittler eher nordafrikanische Dialekte feststellten, die sich von anderen arabischen Dialekten deutlich unterscheiden lassen. Die resultierende Vermutung, dass sehr viele der Besucher aus dem nordafrikanischen Raum stammen, wird durch die oben beschriebenen Erkenntnisse aus den Freitextfeldern untermauert.
Unterteilt nach Alterskohorten waren die Befragten insbesondere junge Männer zwischen 18 und 24 Jahren (59 %), Männer zwischen 25 und 40 Jahren (27 %) und Minderjährige (10 %).
Die Mehrheit der Befragten wohnt in Gemeinschaftsunterkünften (55 %), einige wohnen bei ihrer Familie (12 %) und nur 21 % in einer eigenen Wohnung.
Bezüglich der Aufenthaltsdauer in Deutschland ist die Gruppe derjenigen, die seit ein bis zwei Jahren in Deutschland sind, mit 42 % am größten. 16 % sind zwischen einem halben und einem Jahr und 7 % weniger als ein halbes Jahr in Deutschland. Insgesamt sind also 65 % der Besucher seit weniger als zwei Jahren in Deutschland. 30 % sind seit zwei Jahren oder länger hier, 5 % machten keine Angaben.
1.2.2.4Fazit aus der AG Silvester
Die AG Silvester hat nach entsprechenden Ermittlungen eine Teilmenge der im Zusammenhang mit dem Silvestereinsatz erhobenen Personendaten ausgewertet. Eine Vielzahl von Personendaten war nicht eindeutig genug, um Personen zweifelsfrei identifizieren zu können. Daneben wurden nicht alle identifizierten Besucher befragt, weil die AG Silvester u. a. Personen, gegen die ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Silvesterereignissen geführt wird, außen vor gelassen hat. Auch wenn hier nicht der Anspruch auf wissenschaftliche Signifikanz erhoben werden kann, haben die Aussagen nach hiesiger Bewertung einen durchaus hohen Erkenntniswert. Nach den Ergebnissen der Expertenbefragung als auch der Befragung der Besucher war eine deutlich überwiegende, wenn auch nicht exakt quantifizierbare Mehrzahl der Besucher junge Männer, die zumeist in Flüchtlingsunterkünften untergebracht und noch nicht lange in Deutschland sind.
Anfragen an in- und ausländische Polizeibehörden, Internetrecherchen sowie Kontaktaufnahmen mit Verantwortlichen von Moscheen haben keine Erkenntnisse ergeben, nach denen etwa eine gesteuerte Anreise nach Köln oder Absprachen größerer Personengruppen erfolgten. Dies deckt sich mit den Ergebnissen der Experten- und Besucherbefragung. Demnach erfolgten Verabredungen ganz überwiegend auf der Grundlage persönlicher Kontakte über Telefon und WhatsApp. Die Anreise erfolgte zumeist recht spontan, unkoordiniert und nicht abgesprochen in kleinen Gruppen bis fünf Personen. Es gibt keinerlei Hinweise auf in den Medien schon wenige Tage nach dem Ereignis erwähnte Hintermänner, welche die Anreise gesteuert und zu ihr aufgerufen hätten. Nach den Befragungsergebnissen reiste auch nur eine Minderheit nach Köln, um gezielt Straftaten zu begehen. Im Fokus standen vielmehr eine Gelegenheit zu Unterhaltung und zum Feiern sowie die Möglichkeit, durch Erlebnisse in einer Großstadt der täglichen Langeweile zu entfliehen.
Das Vorjahresereignis spielte nahezu keine Rolle; unter den Befragten waren nur wenige Wiederkehrer. Die Gewalt im Vorjahr übte auch keine „Attraktivität“ aus, die zu einer Anreise nach Köln geführt hätte. Nach Einschätzung des IKG lag den Silvesterereignissen des Vorjahres eine sehr spezifische und mit dieser Silvesternacht nicht vergleichbare Situation zugrunde. Silvester 2015 hatte sich eine Eigendynamik in einem nahezu rechtsfreien Raum entwickelt („crowds change their behaviours“, wie Prof. Dr. Zick, Gewaltforscher am Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld bei einer Arbeitsgruppensitzung der AG Silvester anmerkte). Dieser Befund entspricht dem Rechtsgutachten von Prof. Egg für den Landtag NRW, der hierzu sagt:
„Vereinfachend und salopp gesagt geht der Sachverständige nicht davon aus, dass sich am Silvesterabend 2015 in Köln Hunderte von gewaltbereiten und rücksichtslosen Kriminellen vorsätzlich und organisiert versammelt hatten, um Frauen sexuell zu demütigen und Männer wie Frauen zu bestehlen, sondern dass im Schutze der Dunkelheit und der großen Menschenmasse sukzessive eine ‚anomische‘ Situation entstanden war, die – ausgehend von einer kleinen Gruppe zielbewusster Täter – mehr und mehr Personen veranlasste, sich ebenfalls an Straftaten zu beteiligen.“8
Zu einem beachtenswerten Anteil der überprüften und identifizierten Personen liegen kriminalpolizeiliche Erkenntnisse vor. Für 22,7 % der Personen hat die Polizei eine Kriminalakte angelegt, 13,6 % sind außerhalb von Asylverfahren und ausländerrechtlichen Verstößen erkennungsdienstlich behandelt worden und bei 10,5 % sind von den Führungspersonalien erheblich abweichende Alias-Personalien erfasst.