Fielding Gray. Simon Raven

Fielding Gray - Simon Raven


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kommen, trugen redlich das Ihre dazu bei. Ich sang mit ironischem Unterton (zumindest fand ich das), Peter Morrison, weiter unten in der Reihe, stimmte unmelodisch, aber kräftig mit ein, auch Somerset Lloyd-James hinter mir lispelte hingebungsvoll drauflos, und drüben in der Abteilung für die jüngeren Oberstufler wandte sich Christopher Roland in meine Richtung, fing meinen Blick auf und lächelte. In jedem Fall stellte »For all the Saints« den Optimismus und die gute Laune aller Anwesenden wieder her, so dass, als der Rektor während der letzten, schwelgerischen Liedzeile die Kanzel betrat, dieser sich einer freundlich gestimmten Zuhörerschaft für seine Ansprache gewiss sein konnte.

      Die Zuhörerschaft blieb nicht lange freundlich gestimmt.

      »Schon jetzt«, sagte der Rektor, »werden unter Ihnen die zu erwartenden Stimmen laut. ›All das ist jetzt vorbei‹, sagen diese Stimmen, ›der Sieg wurde errungen. Staatsmänner haben ihr Werk und Politiker ihre Machenschaften vollbracht, Industrielle sind bereichert und Offiziere aus dem Generalsrang in den Adelsstand erhoben worden, einfache Leute sind gestorben und werden (hoffen wir) so bald nicht vergessen werden, und Moralapostel haben eifrig auf Kosten aller moralisiert. Doch jetzt ist all das vorbei, und wir können uns wieder den alltäglichen Geschäften und den Vergnügungen unseres alten, des wahren Lebens, widmen. Wir haben sechs Jahre voll schmerzlicher Verluste, Gefahren, Unannehmlichkeiten und Einmischungen von offizieller Seite erduldet, und jetzt werden wir uns dafür, so gut es geht, entschädigen.‹«

      Wie ich so darüber nachdachte, war es tatsächlich genau das, was jeder um mich herum gesagt hatte, und den Gesichtsausdrücken der Kämpfer nach zu schließen, traf es auch die derzeitige Stimmung in den Offiziersmessen ganz genau. Und was sonst, fragte ich mich, konnte unser Schulrektor auch erwarten? Kriege wurden entweder geführt, um etwas einzunehmen oder um etwas zu bewahren. Dieser war, wie man uns bis zum Erbrechen erklärt hatte, geführt worden, um die Freiheit zu bewahren, und Freiheit bedeutete für alle in der Kapelle Anwesenden die Rückkehr zu einem Leben, wie es gewesen war, bevor der Kampf begonnen hatte. Was sie wollten, was ich wollte, war eine Rückkehr zur Normalität: ein Ende der Ratio­nierungen, der Reglementierungen, davon, in irgendwelchen Büros vom gewöhnlichen kleinen Mann herumkommandiert zu werden, und ein Ende der ganzen bedrückenden Aushänge, die uns allerorten über unsere Pflichten aufklärten. Was wir alle wollten, und uns auch verdient hatten, war ein bisschen Spaß. Und wer sollte am besten die Rechnung dafür zahlen, wenn nicht die üblen Schurken, die überhaupt erst für den ganzen Ärger gesorgt hatten?

      »Das«, sagte der Rektor, »ist es, was die zu erwartenden Stimmen, die Stimmen des gemeinen Eigennutzes, bereits jetzt sagen. Es ist meine Pflicht, Sie, die Sie im Kampf waren, wie auch euch, die ihr hilflos dasitzen musstet, während eure Freunde und Brüder losgezogen sind, um zu sterben, darauf hinzuweisen, dass es keine Entschädigung und keine Rückkehr zu unserem alten Leben geben kann. Das ist eine ökonomische und auch eine politische Erkenntnis: England ist derzeit nicht zu Gratifikationen in der Lage, und die Menschen in England (um nicht zu sagen weltweit) werden in Zukunft nicht mehr tolerieren, was die meisten hier unter ihrem ›alten Leben‹ verstehen. Aber ich spreche hier nicht in einem ökonomischen oder politischen Rahmen. Ich muss als Christ sprechen. Und als Christ habe ich Ihnen und euch zu sagen, dass in der Vergangenheit ausgestandene Unannehmlichkeiten einen in der Gegenwart nicht mit dem Recht auf Kompensationen ausstatten, und am wenigsten auf Kosten anderer, unserer sogenannten Feinde, denen es schlechter als uns ergangen ist. ›Aber‹, so werden die zu erwartenden Stimmen empört rufen, ›es war doch deren Schuld.‹ Deren Schuld? Die Schuld von ungebildeten Bauern und fehlgeleiteten Handwerkern, von Kindern in eurem Alter, die in dieser Minute in den Trümmern ihres Zuhauses Hunger leiden? Deren Fehler? Und selbst wenn es so wäre, soll es denn keine Vergebung geben … keine Barmherzigkeit … keine Liebe?«

      Es war recht wenig Liebe auf den Gesichtern in den Besucherbänken zu sehen. Man sah Verärgerung, Hochmut, ungläubiges Staunen, Verdrossenheit, Langeweile oder Habgier: keine Liebe. Und ganz ehrlich, dachte ich, woher auch? Wer einen Angriffskrieg begann, und zudem auch noch gegen die Briten, verdiente das Schlimmste. Man konnte unmöglich Mitleid für die Deutschen von mir erwarten, von Liebe ganz zu schweigen. Es war doch ganz klar: Das Leben musste wieder seinen Lauf nehmen, und wenn ich durch glückliche Fügung für die annehmlichen Innenhöfe von Lancaster bestimmt war und nicht für die in Ruinen liegenden Straßenzüge von Berlin, dann sah ich keinen Sinn darin, mich dafür schlecht zu fühlen.

      »Und was die Rückkehr in das alte Leben angeht«, sagte der Rektor, »so sage ich Ihnen und euch, wieder als Christ, dass das, was passiert ist, nicht als erledigt abgetan werden kann, als wäre es nie passiert. Ihr könnt nicht sagen: ›Der Krieg ist vorbei, lasst ihn uns vergessen und weitermachen wie davor.‹ Die Enormität des Ganzen war zu groß. Die angehäufte Schuld ist so unermesslich, dass wir alle unseren Teil davon tragen müssen. Wir können uns nicht in unsere hübschen Gärten zu­rückziehen und gemütlich dort herumsitzen, während die Wunde der Welt vor unseren Mauern schwärt. Es geht nicht allein darum, die Hungernden zu ernähren oder die Verstümmelten und Erkrankten zu heilen, obwohl dies wichtige Aufgaben sein werden. Wir werden uns auch der Erkenntnis stellen und verstehen müssen, dass Hass und das Böse die ganze Welt infiziert hat, so dass von nun an Läuterung nötig und eine Sühneleistung auch von den Geringsten von uns erforderlich ist.«

      Als der Rektor von der Kanzel herabstieg und sich durch den Mittelgang auf den Weg zu seinem Sitzplatz machte, konnte ich leises und böses Getuschel unter den Offizieren hören. Einer von ihnen machte eine obszöne Geste, und es sah einen Moment lang so aus, als würde er dem vorbeigehenden Rektor gleich etwas hinterherrufen, doch hielt ihn ein kräftiger und doch solidarischer Rempler durch den einen Ellenbogen, der seinem Nachbarn verblieben war, davon ab. Der Rektor war dafür bekannt, die übertriebenen Forderungen seines eigenen Gewissens auch anderen mit aufzuerlegen, doch dieses eine Mal, fand ich, hätte er etwas taktvoller vorgehen können. Doktor Bunter an der Orgel, der Ungutes witterte, ließ verfrüht die einleitenden Takte des Abschlussliedes losbrechen, was dazu führte, dass die Hälfte der Gottesdienstbesucher nicht schnell genug die Stelle fand und »The Day Thou gavest, Lord, has ended« losging wie ein von sechshundert kläglich Betrunkenen dargebotener bukolischer Rundgesang. Als dann aber, auf halbem Weg durch die zweite Strophe, die Kontrolle wiedererlangt war, begann das traurige, vertraute Lied Wirkung zu zeigen. Die Offiziere beruhigten sich und sangen mit verhaltener Solidarität. Die Jungen sangen sich in einer sentimentalen Trance froh die Seele aus dem Leib. Nun war das gesamte Bauwerk von dem Gefühl durchdrungen, dass Seelen sich miteinander verschränkten und ineinander verschmolzen, um ein riesiges und flirrendes spirituelles Kolloid zu bilden. Es war eine auf dem einfachsten Nenner beruhende Gemeinschaft, im allgemeinen Einverständnis, eine unerträgliche Schuld mit ein paar leicht vergossenen Tränen auszulöschen.

      Und Doktor Bunter hatte sich noch eine passende Steigerung ausgedacht, einen letzten exzessiven Gefühlsschauer. Als die Stimmen mit tränenerstickter Befriedigung die letzte Strophe sangen (»So sei es, Herr: Die Reiche fallen, dein Thron allein wird nicht zerstört«), fielen in das Orgelspiel noch die Trommeln und Signalhörner des Jugendtrainingskorps unserer Schule mit ein, das symbolträchtig hinter dem an 1914–1918 erinnernden Lettner platziert war; und während die letzten Töne des Hymnus verhallten, leitete ein Wirbel der Kesselpauken auf überwältigende Weise zu den aufsteigenden Anfangsakkorden der Auszugsmusik über. Mit nassen Wangen und glänzenden Augen hörten alle den Ruf, der das Ende des Tages verkündete: das Ende des Tages für den letzten Trefoil von ­Truro und für den einfachen Soldaten Zyn, für den verpickelten Blood und den ritterlichen Morrison; das Ende des Tages für den Säufer Jackson, für den Stipendiaten Fullworthy, der so feinsinnige elegische Verse verfasst hatte, für Connaught la Poeur Beresford, für Williams (A.) und Williams (G.), für Vallis, der an einem anderen, längst vergangenen Abend einmal den zum Sieg führenden Schlag geliefert hatte, und für den kleinen Us­que­baugh, den es immer Überwindung gekostet hatte, sich auf den Gegner zu werfen, um ihm den Ball abzunehmen; das Ende des Tages für Sangster und Sassoon-Warburton, diesen vielversprechenden jungen Generalmajor, für Royce, der allein in der Wüste gestorben, und für Vazey, der gemeinsam mit fünfzig anderen in einem U-Boot erstickt war; für Hauptmann Cohen, den ein Rabbi beschnitten hatte, und für Hauptmann Yarborough, den ein Geschoss wegrasiert hatte – für sie alle das Ende des Tages. Lass es England mit Trommeln und Fanfaren wissen: Diese, deine Söhne,


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