Fielding Gray. Simon Raven
tun.«
»Was willst du machen, Peter?«, fragte ich.
»Ich werde Nahrungsmittel anbauen.«
»Und du, Somerset?«
»Ich werde die Leute zu ihrem Vorteil beraten«, sagte Lloyd-James unsentimental. »Beratung wird genau das sein, was gebraucht wird. Ich werde ein Experte sein, im Zeitalter der Experten.«
»Und wofür willst du Experte sein?«
»Für das, was die Leute gerade so als ihre größte Sorge ansehen.«
Somerset legte sich immer nur ungern gleich auf eine Sache fest.
»Und was, Fielding, wirst du tun?«, sagte Peter Morrison. »Jetzt du.«
»Hab ich doch schon gesagt. Ich will Professor werden.«
»Was für ein Professor?«
»Ein Professor, der gut speist und trinkt. Der geistreich und weltläufig ist. Der ein angenehmes Leben hat.«
»All das«, sagte Peter, »ist doch nur nebensächlich. Um was geht es dir eigentlich ?«
»Das kann man noch nicht wissen.«
»Da bin ich anderer Meinung. Für mich ist Ertragsfähigkeit das Wichtigste. Dass mein Land – das jetzt meins sein wird, jetzt, wo Alastair tot ist – Früchte trägt, und auch ich selbst. Für Somerset ist, wenn ich es nicht falsch sehe, Macht das Wichtigste. Was ist es bei dir, Fielding?«
Im Hintergrund läutete eine Glocke.
»Ich muss los und Köpfe zählen«, sagte Lloyd-James.
»Wir auch … Darf ich eine Antwort haben, Fielding?«
»Ich glaube … dass es mir um Wahrheit geht.«
»Ist das nicht eine Nummer zu groß?«
»Nicht von allem. Nur im Kleinen, nur für mich. In einem kleinen Eckchen werde ich versuchen, Wahrheit zu schaffen.«
»Beschränkt und einschränkend«, sagte Lloyd-James.
»Befriedigend. Und sei es nur für mich allein.«
Peter sagte nichts, nickte aber bedächtig. Dann trennten wir uns. Lloyd-James, um beim Adsum in seinem Haus zu helfen, Peter und ich, um dieselbe Aufgabe in unserem zu erledigen.
Diese Geschichte handelt von Verheißung und Verrat. Ich schreibe sie, gute zehn Jahre nachdem sie sich ereignet hat, auf der Insel Santa Kytherea nieder, in einem kleinen, weißen Haus zwischen den Bergen und dem Meer. Ich mache das, weil es hier zum einen nur sehr wenig zu tun gibt (die Routineaufgaben der Schwadron wird Stabsfeldwebel Bunce einwandfrei beaufsichtigen), zum anderen möchte ich, ein für alle Mal, festhalten, was in diesem Sommer des Jahres 1945 schiefgelaufen ist. »Verheißung und Verrat«, habe ich oben geschrieben, was impliziert, dass ich der Goldjunge war, der den Kuss des Verräters erhalten hat. Aber war es wirklich so? Und wenn ja, was genau war verheißen worden, und wer oder was wurde verraten?
Eins nach dem Anderen. Wie hat das alles angefangen? Ich habe Christopher schon beschrieben. Man stelle sich ihn nun an einem Winternachmittag vor, wie er von den Fives-Spielfeldern heimrennt: erhitzte Wangen, die Strümpfe bis zu den Knöcheln runtergerutscht, dreckstarrende Sportschuhe, in einer (wegen der Kleiderrationierung) deutlich zu klein gewordenen Hose. Es ist fast Zeit fürs Abendbrot, und es wird gerade dunkel. Ich komme aus der anderen Richtung schwerfällig in Gummistiefeln dahergestapft, nachdem ich den Nachmittag mit öder Gartenarbeit verbracht habe (um meinen Teil zu den Kriegsbemühungen beizutragen). Unsere Wege treffen sich da, wo wir beide zu unserem Haus abbiegen müssen. Christopher winkt, lächelt, rennt schon mal voran, und ich stehe einfach bloß da und spüre Gott weiß welche Sehnsüchte in mir aufwallen. Es war aber keine Wollust – das schwöre ich. Ich hatte eine Vision gehabt: Nach drei Stunden zermürbend eintönigen Tuns in der Gesellschaft von lauter tumben und streitsüchtigen Jungs hatte ich jemand Anmutigen, Freundlichen und Heiteren gesehen, jemanden, der mir zudem sogar ein wenig von seiner Anmut herübergewinkt, einen Teil seiner Heiterkeit zu mir herübergelächelt hatte, als er mir im Abendlicht begeg-nete.
Und so hat es alles begonnen, im Dezember 1944, ungefähr fünf Monate vor dem Tag, an dem der Gedenkgottesdienst stattfand. Und in der Zwischenzeit? Nach außen hin waren wir bloß gute Freunde, habe ich damals notiert, die auf dem Sportplatz herumrannten und miteinander schwatzten, eigentlich wie eh und je, seit wir uns ein paar Jahre zuvor als neue Schüler an der Schule erstmals begegnet waren. Doch innerlich war da jetzt, zumindest was mich betraf, das starke Bedürfnis, ihn zu beschützen und zu umhegen, ihn zu streicheln (aber nur als Tröster) und (brüderlich) in den Arm zu nehmen. Dieses Lächeln hatte meine Seele berührt. Aber wie sollte ich Christopher das sagen? Und was würde er antworten?
Das Ganze wurde noch dadurch erschwert, dass Christopher nicht gerade viel Grips hatte. Damit will ich nicht sagen, dass er dumm war; die alltäglichen Dinge waren kein Problem für ihn, doch war er ein Junge von durch und durch konventioneller Denkart und nicht empfänglich für neue Gedankenwelten oder Bücher. Ihn in eine Exegese platonischer Liebe (denn das war es ganz sicherlich), ihre Geschichte und ihre Implikationen zu verwickeln war daher ausgeschlossen. Er hätte mich für geistesgestört gehalten. Auf der anderen Seite barg die Tatsache, dass er so konventionell war, eine leise Hoffnung; denn die Konventionen an unserer Schule schlossen – als beständiges, wenn auch kaum als begrüßenswert anzusehendes Phänomen des schulischen Lebens – den Gedanken mit ein, dass ein Junge in einen anderen, normalerweise einen jüngeren, »verschossen« sein konnte. Mit irgendeiner Vorstellung dieser Art war Christopher zweifellos vertraut. Zugleich war die Idee, »verschossen« zu sein, aber auf eine Weise mit kleinlichem Schuldempfinden und allerlei albernen Blödeleien verbunden, dass ich dies keinesfalls zum Ausgangspunkt meines weiteren Vorgehens machen wollte. »Christopher, ich bin in dich verschossen.« Nein, auf keinen Fall, nein. Was auch immer ich für Christopher empfand, platonische Liebe oder romantische Liebe, Agape, Eros oder Caritas, es war viel zu ernst, um von Redensarten, wie sie Dreizehnjährige benutzten, entehrt zu werden.
Aber am Ende war alles viel leichter, als ich es für möglich gehalten hätte. Denn in Wahrheit war es so, dass Christopher auf eine Weise sensibel (wenn nicht sogar intelligent) war, die ich unterschätzt hatte; und am Abend nach dem Gedenkgottesdienst, nach fünf Monaten bloßen Herumüberlegens meinerseits, ergriff er einfach selbst die Initiative.
Entgegen der Strenge seiner Moralpredigt hatte unser Schulrektor ein mildes Zugeständnis anlässlich des zu feiernden Sieges verkündet. Nach dem Adsum um sieben Uhr würde die sonntägliche Studierzeit entfallen und jedes Haus durfte stattdessen eine eigene Feier durchführen, in der Form, die der jeweilige Hausvorstand für angemessen hielt. In unserem Haus, das der Rektor selbst leitete, wurde ein schicklicher Gesangsabend anberaumt. Ich werde nie wissen, wie genau es dazu kam, aber ab einem bestimmten Punkt entwickelte diese unschuldige Veranstaltung eine groteske, eine luperkalische Freizügigkeit. Hatten wir eben noch alle »The Lincolnshire Poacher« gesungen, spielte das Grammofon des Präfekten im nächsten Augenblick – in meiner Erinnerung gibt es kein Dazwischen – schon »Jealousy«, und die älteren Schüler des Hauses schlurften mit den jüngeren paarweise vereint in einem schwitzigen Tango umher. Selbst Peter Morrison vollführte, den ihm als Diener zugeordneten Jungen umklammernd, elefantöse Schritte über den Boden des Speisesaals. Ich selbst tanzte mit einem kecken und hübschen kleinen neuen Schüler, der seine Hüften schwang, als würde sein Leben davon abhängen – als sich eine Hand auf dessen Schulter legte, ein schroffes »Entschuldige mal« ertönte und Christopher seinen Platz eingenommen hatte.
»Was ist bloß mit allen hier los?«, sagte ich.
»Ich weiß nicht, aber es ist schon in Ordnung. Das ist, weil der Krieg zu Ende ist. Dieses eine Mal ist das schon in Ordnung.«
Auch wenn er mir nicht allzu nahe kam, umfasste er doch meine Hand und meine Schulter sehr fest.
»Ist es in Ordnung für dich, das Mädchen zu sein?«, sagte ich dämlich.
Er ignorierte das.
»Dir