Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung. Julius Fischer

Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung - Julius Fischer


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fürs Telefonieren in etwa fünfhundertfünfzig Euro. Am Abend gingen mein Bruder und ich in die Kellerbar des Hostels, um uns eine Comedy-Show anzugucken. Ich dachte mir, da kommt das her, also jetzt nicht aus diesem Keller, aber aus Amerika, das wird man sich doch mal angucken dürfen. Zu Hause würde ich das unter keinen Umständen machen. Deutschland ist kein Comedy-Land. Zu einfach die Mechanismen. Sag den Leuten etwas, das sie schon wissen, und sie lachen.

      Da gehe ich doch wirklich lieber zum Poetry Slam. Da wird zumindest ab und an mal betreten geschwiegen.

      Die Moderatorin begrüßte die fünf Zuschauer, einen Australier, zwei Briten und uns, sowie die zehn Comedians mit einer der Situation angemessenen Begeisterung.

      Dann forderte sie uns auf, unsere Herkunft zu nennen, ich outete meinen Bruder und mich als Deutsche, womit wir, denn das ist in der amerikanischen Comedy eben so üblich, die Nazis waren. Das alleine fand ich nicht schlimm, nur ein wenig billig, da jeder der folgenden Comedians sich darauf bezog.

      Was mich erstaunte, waren zwei Dinge: Erstens wurde mein Bruder beim Versuch, an der Bar eine Cola zu erstehen, mit Edding markiert, damit er ja keinen Alkohol kaufte, zum anderen machte jeder der Auftretenden beim geringsten Sex-Gag in seinem Set eine Pause, um darauf hinzuweisen, dass sich ein Minderjähriger, wenn auch ein minderjähriger Nazi, im Publikum befände und dementsprechend der Gag entfallen müsse. Nicht, dass ich es schlimm finde, jemanden als Nazi zu bezeichnen, weiß Gott nicht, aber ich finde Nazis nun mal schlimmer als Witze über Geschlechtsorgane.

      Das alles war natürlich Öl im Feuer meines eh schon vor sich hin pubertierenden Bruders, der dementsprechend in der Pause das Weite suchte. Nicht genug damit, dass er einen Geruch wie ein Elch verströmte, seine Stimme bei jeder Gelegenheit brach wie eine Birke im Sturm und das Leben selbst ihm jede Lust nahm, nun wurde er auch noch von schlechten amerikanischen Comedians fertiggemacht.

      Auf die Frage, wo er denn sei, antwortete ich nach der Pause mit: »Er ist nach oben gegangen, um noch ein bisschen Völkermord zu begehen, oder was wir Deutschen eben so machen.«

      Daraufhin wurde ich nicht mehr angesprochen.

      Immer wenn es in Amerika lustig zugeht, zum Beispiel bei einem Comedy Roast, geht es unter die Gürtellinie. Ich habe selbst mal bei einem Roast mitgemacht. Das Ziel einer solchen Show ist es, sich gegenseitig möglichst eloquent fertigzumachen. Ich war vor allem der Dicke mit dem kleinen Penis, die anderen haben meine Beleidigungen meistens nicht verstanden, weil ihre Eltern Geschwister sind.

      Ich glaube ja, der Möhrenmann hat gar keine Eltern. Er ist einfach irgendwann gewachsen. Eine immer größer werdende Wurzel, die irgendwann ein Gehirn entwickelte. Und nun seine Artgenossen verspeist, um sich mit Energie zu versorgen.

      Carrot Cannibal, der neue Bösewicht im Marvel-Universum.

      Einen Roast gab es ja auch bei der letzten US-Wahl.

      Das habe ich nicht verstanden.

      Was hatte das in einem Wahlkampf zu suchen? Sollte das die menschliche Seite der Kandidaten zeigen? Dass sie Witze übereinander machen?

      Hat Trump überhaupt Humor?

      Ich habe kein Problem mit Witzen, ich liebe gute Witze, aber was bringen die im Wettkampf um eines der wichtigsten Ämter der Welt?

      »Hey, er hat den atomaren Erstschlag befohlen, aber hast du den Witz gehört, den er dabei gemacht hat?«

      Ich habe Angst vor dieser Entwicklung. Dass Politiker jetzt auch noch witzig sein dürfen.

      Da wird einem schon mal verziehen, dass man ein sexistisches, rassistisches Arschloch ist, das grundsätzlich nichts gegen den Schießbefehl hat.

      Ich frage mich, wo das hinführt?

      Diese Verrohung der Sprache, das Verschwimmen der Grenzen.

      Klar kann der Witz ein Mittel sein, um Inhalte zu transportieren. Aber nicht, wenn er aus Image-Gründen eingesetzt wird. Dann doch lieber ein kleines Selfie aus dem Tierheim oder der Dritten Welt. Überlasst die Witze den Witzemachern. Das würde ich manchen Comedians auch gerne sagen.

      Als ich zwei Tage später mit meiner gesamten Family auf Wunsch meiner Mutter in einen richtigen Comedy Club ging und wir gefragt wurden, ob wir uns in die erste Reihe setzen wollten oder davor Angst hätten, antwortete ich: »We’re not scared, we’re Germans.«

      Woraufhin der Platzanweiser hart lachen musste. Und uns in die erste Reihe setzte.

      Ach, ich hasse Menschen.

      Die Tür wird aufgeschoben und der Schaffner betritt das Abteil.

      Er deutet auf den immer noch schlafenden Möhrenmann und fragt: »Gehört der zu Ihnen?«

      Allein die bloße Annahme treibt mir das Blut in den Kopf.

      Wieso sollte so ein Mensch zu mir gehören? Was verbindet uns, mal abgesehen von der Tatsache, dass wir gemeinsam in einem Abteil sitzen?

      Sicherlich keine übermäßige Leidenschaft für Rohkost.

      Ob der zu mir gehört?!

      Ich gehe doch auch nicht beim Arzt zu wildfremden Leuten hin und frage sie, ob sie zusammen da sind, weil sie beide niesen.

      Also, ich spreche sowieso keine wildfremden Leute an, schon gar keine, die niesen. Ich hasse niesen. Und Menschen.

      Verdammter Schaffner.

      Ich schüttele den Kopf, unfähig, auch nur ein Wort herauszupressen.

      Der Schaffner tippt den Schlafenden an.

      »Fahrkarten bitte.«

      Auch das ein unnützer Einwurf. Was würde ein Schaffner sonst von einem wollen? Hass.

      Der »Träumende« wälzt sich auf seinem Sitz hin und her. Ich kann erkennen, dass er nur so tut, als würde er schlafen. Ich sehe deutlich, dass er die Augen einen Spalt weit geöffnet hat.

      Wahrscheinlich hat er keine Fahrkarte. Klar.

      Nicht, dass ich das schlimm fände. Aber die Vorstellung, dass sich darüber eine Diskussion entspinnt, lässt mich innerlich schreien.

      »Das ist eine Kinderfahrkarte.«

      »Ja, aber ich fahre doch ermäßigt. Ich bin doch Student. Und habe ganz schwere Allergie.«

      »Das ist aber eine Kinderfahrkarte.«

      »Tschuldigung, ich hatte nicht genügend Geld und mein Vater ist letzte Woche gestorben und jetzt fahre ich zu seiner Beerdigung, er hat ja niemanden außer mir.«

      »Das ist trotzdem eine Kinderfahrkarte für die Parkeisenbahn in Dresden.«

      »Ach, die gilt hier nicht?«

      Unangenehm. Der Schaffner stößt den Möhrenmann immer wieder sanft mit dem Fahrkartenlesegerät an. Und dieser wälzt sich theatralisch von einer Seite auf die andere. Als würden beide das schon seit Jahren machen.

      Das finde ich am schlimmsten. Wenn man Leuten offensichtlich anmerkt, dass sie lügen. Und sie zu stolz oder zu verzweifelt sind, das zuzugeben.

      »Nein! Ich habe den Unfall nicht verursacht. Das war der andere.«

      »Hier sind nur Sie, Ihr Auto und eine Straßenlaterne.«

      »Die hat mich provoziert.«

      Manchmal rutscht man aber ins Lügen auch so rein. Durch die Umstände. Das ist super unangenehm.

      Ich war zu einer Preisverleihung geladen, musste kurzfristig einen Anzug kaufen und hatte dafür nur eine Stunde Zeit. Also bin ich in einen Herrenausstatter rein, die Verkäuferin war super genervt, was mich total einschüchterte. Aber zum Glück war mein Girl mit.

      »Wir haben nicht so viel Zeit, der Anzug ist für morgen«, sagte sie nach ein paar Minuten und ging, um Accessoires zu besorgen.

      Und so stand ich nun in diversen Anzügen vor dem Spiegel, hinter mir die strenge


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