GUARDIANS - Das Vermächtnis. Caledonia Fan
um ihn zu Fall zu bringen. Immer wieder drehte er sich nervös um in der Erwartung, einen der Gegner von vorhin oder La'ith hinter sich zu entdecken. Doch niemand behelligte ihn.
Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte das schmiedeeiserne Tor vor ihm auf, das verrostet und schief in den Angeln hing. Er schob sich hindurch und blieb unschlüssig stehen. Die ehemalige Zufahrtsstraße war der sichere Weg. Aber auch der längere, der sehr viel längere. Wenn er sich hingegen quer durch die Büsche schlug, war er in einer halben Stunde am Landsitz.
Doch obwohl ihn niemand finden würde, falls er nicht weiterkonnte, entschied er sich für den Fußmarsch durch den Wald.
Anfangs kam er gut voran. Aber immer öfter musste er stehenbleiben, sich an einem Baum festhalten und warten, bis sein Sichtfeld aufhörte sich zu bewegen.
Einmal hatte er den Eindruck, dass er verfolgt wurde. Er glaubte, ein leises Knacken hinter sich vernommen zu haben. Alarmiert hielt er an, um zu lauschen, doch das Einzige, was er hörte, waren sein dröhnender Herzschlag und sein abgehackter, keuchender Atem. Sonst war alles still. Er musste sich getäuscht haben.
Unermüdlich versuchte er, Trajan zu erreichen. Es war umsonst. Wahrscheinlich schlief der Guardian bereits.
Das Knacken hatte sich nicht wiederholt. Trotzdem war da ein Gefühl, dass er beobachtet wurde. Immer wieder flog sein Blick zurück und hetzte nervös zwischen den schwarzen Silhouetten der Bäume hin und her, aber es war nichts zu sehen.
Mühsam zwang er sich vorwärts. Durst quälte ihn und er bekam keine Luft. Er fror und schwitzte gleichermaßen. Es gab keinen erkennbaren Weg durch das Dickicht. Die Wolken ließen das Mondlicht nur ab und zu für ein paar Sekunden durch und es reichte nicht aus, um Hindernisse rechtzeitig bemerken zu können. Er hatte zunehmend Probleme, scharf zu sehen. Immer wieder verschwamm seine Sicht kurz und die Schatten mutierten zu sich bewegenden Gestalten, die nach ihm griffen. Büsche zerrten an seinem Mantel, ließen den Schmerz in der Schulter erneut aufflammen und bis in den Nacken schießen. Ungehindert peitschten ihm Zweige ins Gesicht. Er konnte sie nicht beiseiteschieben, weil er mit der linken Hand den rechten Arm stützte.
Zum Glück war er bald da. Die Hütte am Rand der kleinen Lichtung musste jeden Moment zwischen den Bäumen auftauchen. Mechanisch wie eine Aufziehpuppe stolperte er weiter.
Endlich.
Als hätte die Kraft nur bis zu diesem Punkt gereicht, brach er an der Grundstücksgrenze von Darach Manor in die Knie und fiel ins Gras. Er war nicht in der Lage, den Sturz abzufangen, und die Erschütterung des Aufschlages peitschte neuen Schmerz durch sein getrübtes Bewusstsein. Der Griff der Pistole bohrte sich dabei in die verletzten Rippen und ließ ihn nach Luft schnappen. Unbeholfen versuchte er mit der Linken, den Verschluss zu lösen, und schaffte es mit viel Anstrengung, die Waffe aus dem Halfter zu zerren. Atemlos keuchend und mit zugekniffenen Lidern blieb er liegen.
Seine Kraft war aufgebraucht. Er kam nicht wieder auf die Füße und auch die Augen konnte er nicht mehr öffnen. Nach wenigen Momenten schon kroch die lähmende Kälte des Bodens in seine Glieder. Er würde hier erfrieren ...
Noch einmal versuchte er, Kontakt zu Trajan herzustellen, aber es kam keine Antwort. Undeutlich merkte er, wie er erneut weg driftete.
Als der blaue Guardian endlich antwortete, hörte er es nicht mehr.
Dienstag, 22:30 Uhr
"Hat sich Ahmad bei einem von euch gemeldet?"
Die Frage ließ das aufgeregte Durcheinanderreden der acht Guardians, die im Speisezimmer des alten Landsitzes trotz der späten Stunde noch am Tisch saßen, kurz verstummen. Ihr Chef stand in der offenen Tür und wartete auf eine Antwort. Aber alles, was er bekam, war Kopfschütteln. Besorgt furchte er die Stirn.
"Hat er denn noch nicht angerufen?"
Die Frage war von Hennak gekommen. Der blonde Teenager wollte sie normal klingen lassen, doch er konnte einen leicht gehässigen Unterton nicht unterdrücken.
Jetzt war es Tariq, der den Kopf schüttelte. "Bitte gebt mir Bescheid, wenn er sich bei einem von euch melden sollte", meinte er und drehte sich um.
Acht Augenpaare schauten ihm verwundert nach, als er zurück in das Foyer ging. Ihr Chef war der Inbegriff eines englischen Lords. Obwohl er dadurch zeitweise wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten erschien, zählte er noch keine vierzig Jahre. Seine sparsamen Bewegungen wirkten hoheitsvoll und die kerzengerade Haltung unterstrich den Eindruck noch, genauso wie die schmale Nase, die hohe Stirn und der akkurat gestutzte Vollbart. Einzig die bis in den Nacken reichenden welligen, braunen Haare passten nicht zum Gesamtbild.
"Was soll die Frage?", murmelte Hennak. "Ahmad bleibt immer zurück, wenn wir nach Hause fahren, das weiß Tariq doch." Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch. "Dafür hat er unserem ach so perfekten Spurenbeseitiger schließlich ein eigenes Auto zur Verfügung gestellt", brummte er. Entrüstung und Neid sprachen aus den ärgerlichen Worten des blonden Guardians. "Ich weiß nicht, wo der Einzelgänger ist und auch nicht, was er macht. Ist mir auch egal."
"Dieser ach so perfekte Spurenbeseitiger ist wichtig!", bemerkte Shujaa, sein breitschultriger Teamgefährte mit der tiefbraunen Hautfarbe, der neben ihm saß. "Und er ist mindestens genauso gründlich wie du bei der morgendlichen Schönheitspflege für dein Gesicht."
Besagtes Gesicht verdüsterte sich vor Ärger, als Hennak den Kopf wandte und den Sprecher anstarrte. "Ah, noch einer vom Ahmad-Fanclub? Geht doch alle und küsst ihm die Schuhe! Oder schwenkt Fähnchen, wenn er am Tor vorfährt!"
"Hört auf, ihr zwei!", brummte Trajan vorwurfsvoll. "Hennak, das Thema Auto für Ahmad haben wir schon zur Genüge durchgekaut. Ich kann's nicht mehr hören. Du bist siebzehn! Was willst du mit einem eigenen Auto?" Der durchtrainierte Guardian mit den zerzausten dunkelbraunen Haaren und den braunen Augen saß ihm gegenüber und sah nicht einmal auf, als er den Freund vom Team Rot rügte. Er trug wie alle anderen einen schwarzen Overall. Die Weste, die ein blaues Dreieck auf dem Ärmel hatte, hing auf der Stuhllehne.
Tiana, seine ein Jahr ältere Schwester, hob den Kopf und runzelte ebenfalls missbilligend die Stirn über Hennaks letzte Bemerkung. "Aber Tariq hat recht. Es ist wirklich schon ziemlich spät. So lange braucht Ahmad doch sonst nicht."
Ihr Bruder nickte sinnend.
"Aber wenn er zurückkehrt, erfahren wir es sowieso nicht", fuhr sie mit leisem Bedauern in der Stimme fort. "Er kommt ja wegen der Barriere nie aufs Grundstück, geschweige denn herein ins Haus." Ein trauriger Ausdruck schlich sich in ihre grünen Augen. Ihrer Meinung nach gehörte Ahmad mit an diesen Tisch. Nicht nur das: Sie wünschte sich, dass er mit ihnen zusammen hier auf dem Landsitz lebte. Alle Guardians wären so unter einem Dach.
Doch es war sinnlos, sich schon wieder darüber Gedanken zu machen. Es ließ sich nicht ändern. Die Barriere war zu wichtig und deshalb musste Ahmad draußen bleiben.
Bedrückt schob sie eine vorwitzige Strähne ihrer langen, kastanienbraunen Haare hinter das Ohr und überlegte, ob sie als Erste aufstehen und zu Bett gehen sollte. Sie war müde, doch sie genoss diese Runde hier im Speisezimmer.
Yonas, einer ihrer Mitschüler, war nach der Schule in der Stadt von einem Unbekannten verschleppt worden. Ahmad, sechs der acht Guardians - sie selbst eingeschlossen - und ihr Chef hatten ihn vorhin unverletzt befreien und aus dem alten Schloss im Wald zurückholen können. Jetzt schlief er oben in seinem Zimmer und sie saßen hier und redeten über das zurückliegende Ereignis.
Die Nachricht hatte am Nachmittag eingeschlagen wie eine Bombe und allen Rätsel aufgegeben. Wer war der Entführer und warum war Yonas das Ziel? Und wieso war auf der am Schulrucksack zurückgelassenen Notiz der Ort angegeben, an dem er wieder abgeholt werden sollte?
Fast ohne Vorbereitungszeit waren das rote, das blaue und das grüne Zweierteam mit Imara, ihrer Fahrerin, aufgebrochen und am Schloss zu Ahmad gestoßen, der sie dort erwartete. Sieben Guardians, um ihren jüngsten Mitbewohner zu befreien. Später war noch der Chef dazugekommen.
Jetzt, wo es vorbei war, zeigte sich bei allen die Erschöpfung. Und