GUARDIANS - Das Vermächtnis. Caledonia Fan

GUARDIANS - Das Vermächtnis - Caledonia Fan


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der rote Guardian folgte Trajan, ohne Fragen zu stellen. Tariqs Anweisungen wurden nicht hinterfragt. Wenn man zu ihm kommen sollte, dann kam man, sofort.

      Ihr Chef sah ihnen schon ungeduldig entgegen.

      "Shujaa, versuche Ahmad aufzuspüren", bat er ohne Einleitung.

      "Aufspüren?", fragte der rote Guardian verblüfft. "Ich kann es probieren. Aber du weißt ja, dass er von mir nicht gefunden werden kann, wenn er es nicht will. Wenn er sich mithilfe seiner Sperre vor mentalen Zugriffen anderer abschirmt, ist das auch für mich unüberwindlich. Ich kann ihn nur finden, wenn er sie deaktiviert -."

      "Ich weiß", schnitt Tariq ihm das Wort ab, "und ich glaube, dass er genau das getan hat. Versuche es."

      Shujaa musterte den Chef prüfend. Dann nickte er, schloss die Augen und konzentrierte sich.

      Nur wenige Augenblicke später erschien Senad. Der dunkelhaarige junge Mann aus Bosnien war mit neunzehn Jahren der ältere der beiden grünen Guardians. Seine Leidenschaft gehörte allem, was mit Computern und der IT-Branche zu tun hatte. Drei Viertel seiner knappen Freizeit verbrachte der Informatik-Student vor irgendeinem Bildschirm. Er hackte sich in jede Seite, die er sehen wollte und knackte jedes Passwort, wobei ihm sein außergewöhnlich hoher IQ von großem Nutzen war. Nun stellte er seinen Laptop auf den Tisch, klappte ihn auf und sah den Chef abwartend an.

      "Wir brauchen das GPS-Signal von Ahmads Handy", wies dieser an und sofort ließ Senad seine Finger über die Tastatur fliegen, während seine Augen keinen Blick vom Monitor wandten. Tariqs Bitte würde er im Handumdrehen erfüllt haben.

      Jetzt furchte sich Shujaas Stirn verwundert und er öffnete die Augen wieder. "Komisch", meinte er, "ich habe ihn tatsächlich gefunden. Sein Lichtpunkt ist im Wald, westlich von hier, beim See. Direkt an der Blockhütte, die da am Ufer steht. Und er ist allein und steht ganz ruhig da. Das wundert mich jetzt wirklich, dass ich ihn so mühelos aufspüren konnte …"

      "Ja, seltsam. Das hat er sonst nur selten zugelassen, oder?" Tariq sah den roten Guardian aufmerksam an und der nickte zögernd, während er sich unschlüssig mit der Hand über das raspelkurz geschorene Haar fuhr. "Stimmt. Normalerweise verschanzt er sich hinter seiner mentalen Abschirmung, aber jetzt hat er sie offenbar nicht aktiviert. Was um alles in der Welt macht er um diese Zeit allein im Wald, wenn er weiß, dass du auf ihn wartest?"

      Tariq antwortete nicht auf die Frage. Ihn beschäftigte etwas anderes. "Und du bist sicher, dass er ganz allein ist?", vergewisserte er sich.

      "Ich sehe niemanden sonst", versicherte Shujaa ihm.

      Sie mussten noch einen Moment warten, bis auch Senad so weit war.

      "Sein GPS kommt vom Schloss", erklärte dieser nun.

      Trajan schüttelte den Kopf. "Kann nicht sein. Shujaa sagt, er ist im Wald."

      "Aber sein Signal kommt aus dem Schloss", beharrte der grüne Guardian schulterzuckend und klappte den Laptop zu. "Vielleicht ist er nicht die Person im Wald und Shujaa irrt sich?"

      "Du weißt, dass ich mich nie irre", entgegnete dieser unwirsch.

      "Dann hat er das Handy nicht bei sich", schlussfolgerte Senad. Einen Augenblick sah er den Chef an, dann wurde sein Blick wachsam. "Was ist hier los, Tariq?"

      "Wir wissen es noch nicht. Erst einmal vielen Dank euch." Tariq nickte ihnen zu und die beiden ältesten Guardians erkannten, dass sie nicht mehr gebraucht wurden. Nach kurzem Zögern verließen sie das Zimmer, nicht ohne einen verwunderten Blick auf Trajan zu werfen, denn der wurde von Tariq nicht zum Gehen aufgefordert. Man konnte sehen, dass beide auch lieber geblieben wären.

      Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, konnte Trajan seine Unruhe nicht länger bezähmen.

      "Tariq, lass mich dort nachschauen. Ich glaube, er steckt in Schwierigkeiten! Ahmad klang so …" Trajan fiel kein treffendes Wort ein.

      Aber Tariq verstand. "Keinesfalls gehst du allein!", erklärte er entschieden. Während er seine Jacke vom Haken neben der Tür zerrte, überlegte er fieberhaft, was das bedeuten konnte. Auf jeden Fall mussten sie erstmal mit Ahmad reden. Trajan würde er mitnehmen. Und Tanyel. Er wusste, dass sein Steward bereits zu Bett gegangen war. Es würde wertvolle Zeit kosten, auf ihn zu warten. Trotzdem, er hatte ihn lieber dabei.

      "Ich lauf schon mal vor. Du geh hoch und hol Tanyel aus dem Bett, dann kommt mir nach. Tanyel weiß, wo die Hütte ist. Wir treffen uns dort mit Ahmad."

      Der flauschige Teppich im Korridor schluckte jedes Geräusch ihrer Schritte. Während Trajan die Treppe hinauf hastete, hörte er, wie im Foyer das schwere eichene Eingangsportal hinter dem Chef dumpf ins Schloss fiel. Oben im zweiten Stock hämmerte er mit der Faust an die Wohnungstür des Stewards. Ungeduldig wartete er, bis Schritte dahinter hörbar wurden.

      Tanyel, die rechte Hand des Chefs und Mädchen für alles im Landsitz, schaute den späten Störenfried verwundert an, nachdem er geöffnet hatte. Doch er reagierte sofort, nachdem Trajan atemlos erklärt hatte, worum es ging. In wenigen Augenblicken hatte er seine Jacke, eine Taschenlampe und den Schlüsselbund ergriffen und folgte Trajan die Treppe hinunter.

      Ihre schnellen Schritte knirschten auf dem Kies vom Vorplatz. Es war eine windstille Nacht und am inzwischen fast wolkenlosen Himmel breitete sich ein Meer von Sternen aus. Sie liefen am westlichen Giebel des Hauses vorbei und hetzten dann über die Wiese auf den Wald zu. Der Mond schien so hell, dass er den gepflegten englischen Rasen hinter dem Landsitz beleuchtete.

      Doch Tanyel hatte kein Auge für die Schönheit der Nacht. "Konntest du Ahmad nochmal hören?", keuchte er, während er vor Trajan herrannte.

      "Nein, alles still jetzt. Und ich kann ihn nicht erreichen. Ich mach mir wirklich Sorgen. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm."

      Tanyel zog das Tempo noch ein wenig an. Darach Manor war ein riesiges Anwesen und selbst er hatte noch nicht jeden Winkel betreten, obwohl er jetzt schon so viele Jahre hier lebte. Im westlichen Areal lagen ein fast unberührter Forst und der See, unzugängliches Gelände, zu dem kein Weg führte. Doch an die kleine Hütte am Ufer dieses Sees konnte er sich erinnern. Seines Wissens nach war sie leer und ungenutzt. Was um alles in der Welt machte Ahmad dort?

      Der Wald nahm sie auf und schluckte fast das gesamte Mondlicht. "Ich hätte mir auch eine Taschenlampe mitnehmen sollen!", schnaufte Trajan, nachdem ihn das dritte Mal ein Zweig ins Gesicht gepeitscht hatte, während er hinter Tanyel durch die Nacht stolperte. "Hoffentlich finden wir ihn schnell. Eine Hütte im Wald westlich des Hauses ist eine ziemliche vage Ortsangabe."

      "Keine Sorge, ich weiß, wo sie ist", versicherte Tanyel.

      Dienstag, 22:50 Uhr

      Rhea, die achtzehnjährige weibliche Hälfte von Team Gelb, klopfte an die Tür von Tianas Zimmer, das direkt neben ihrem im ersten Stock des alten Gebäudes lag.

      "Mach schon auf", bat sie zum wiederholten Male. "Ich bin's doch bloß."

      Sie hatte den erbosten Abgang ihrer Freundin nach der bescheuerten Bemerkung von Hennak beobachtet und wollte eigentlich nur mal schauen, ob mit ihr alles in Ordnung war. Da sie die einzigen Mädchen unter den Guardians waren, hatte Tiana sie vor einiger Zeit schon in ihr Geheimnis eingeweiht. Niemand sonst wusste davon und Rhea konnte sich vorstellen, dass die Freundin mit sich selbst haderte, weil sie sich vorhin im Speisezimmer fast verraten hatte.

      Die Tür öffnete sich einen Spalt.

      "Komm rein", ließ sich eine resignierte Stimme von drinnen vernehmen.

      Rhea trat ein und schloss die Tür hinter sich.

      "Ich denke, du solltest vorsichtiger sein", mahnte sie. "Noch so eine Reaktion und jeder weiß es."

      "Das brauchst du mir nicht zu sagen", knurrte Tiana, die sich bäuchlings aufs Bett geworfen und den Kopf unter das Kissen geschoben hatte.

      "Du machst dir Sorgen, hm?" Rhea setzte sich neben sie und stützte einen Arm auf die Matratze. Die langen schwarzen Haare, die ihr dabei wie ein dunkler Vorhang über die Schulter nach vorn glitten, strich


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