GUARDIANS - Das Vermächtnis. Caledonia Fan

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starrte wie gebannt auf das Blut, das bei dem kurzen Stopp von Ahmads rechter Hand auf den Boden neben Tariqs Füßen getropft war.

      "Verdammt, Tariq", stieß er hervor, ohne den Blick zu heben, "er kommt doch durch, oder?" Es war nur geflüstert, als würde er befürchten, mit seiner Stimme das Unfassbare erst möglich zu machen.

      Der Chef seufzte ratlos. "Ich weiß es nicht. Er sah nicht gut aus, aber ich hoffe, dass der Doc es verhindern kann."

      Gerade wollte er sich mit den Fingern durch die Haare fahren, da bemerkte er im letzten Moment das Blut an seiner Hand und ließ sie sinken.

      Stumm warteten sie. Nach wenigen Augenblicken verließen Senad und Trajan die Klinik und standen mit betretenen Gesichtern vor ihnen.

      "Senad, du musst die neue Alarmanlage sofort in Betrieb nehmen", ordnete Tariq an. "Mir egal, ob sie geprüft wurde oder nicht."

      Der dunkelhaarige Guardian mit den ungewöhnlich hellgrünen Augen nickte, ohne zu fragen. Er hatte die Dringlichkeit in der Anweisung deutlich hören können.

      "Und - vorerst zu niemandem ein Wort über diese Sache hier", fuhr Tariq ernst fort. "Das mache ich morgen früh selbst. Besprechung um halb acht, sorgt dafür, dass alle da sind! Ich werde nochmal bei Issam reinschauen. Gute Nacht und vielen Dank."

      Die drei jungen Männer, die im Augenblick eher wie verstörte Kinder wirkten, nickten gehorsam. Einen Moment zögerten sie noch, als wollten sie nicht weggehen. Doch dann drehten sie sich um und verschwanden in dem schmalen Korridor, der zum Haupthaus führte. Ihre Schritte hallten erst auf den blanken Bodenfliesen, dann änderte sich ihr Klang, als sie die Holztreppe hinaufstiegen.

      Tariq lauschte ihnen noch einen Augenblick nach, dann wandte er sich der Tür zur Klinik zu.

      Dienstag, 23:20 Uhr

      "Wie sieht es aus?"

      Obwohl Issam seine Frage verstanden hatte, antwortete der zweiundvierzigjährige Arzt nicht sofort. Gerade hatte er Tanyel vorsichtig dabei geholfen, Ahmad auf den fahrbaren Behandlungstisch in der Mitte des Raumes zu legen. Jetzt schaltete er eine grelle Lampe darüber an und musterte kritisch die Kopfverletzung. "Er hat viel Blut verloren", knurrte er gleich darauf, während er seine Finger behutsam tastend neben der Wunde über Ahmads Kopf gleiten ließ.

      "Sauerstoff", wies er Tanyel knapp an.

      Der Steward hatte den Regler schon aufgedreht und legte eben die Maske auf das wachsbleiche, blutverschmierte Gesicht.

      Issam selbst befestigte einen Clip an Ahmads Finger. Als gleich darauf gleichmäßige, aber hastig aufeinanderfolgende Pieptöne erklangen, nickte er grimmig. "Mach eine Infusion fertig, Tanyel! Tariq, da unten im Schrank sind die Flaschen, die mit der blauen Schrift. Und nimm gleich zwei. Obwohl, bei der Menge Blut, die er verloren hat …"

      Tariq fand die Flaschen und reichte sie Tanyel.

      Issam hatte bereits einen Zugang gelegt und schloss eine Infusion an. Dann zog er ein Medikament in einer Spritze auf. Es sollte seinen Patienten in Tiefschlaf versetzen und schmerzfrei machen. "Komm schon, Ahmad, was ist los mit dir? Wo sind deine sagenhaften Heilfähigkeiten abgeblie­ben?", raunte er besorgt, während er es langsam injizierte.

      Die Wunde an der Schulter, die er dabei flüchtig musterte, entlockte ihm einen unterdrückten Fluch. Er griff sich eine Schere und schnitt den Ärmel des schwarzen Mantels kurzerhand auf. Sekunden später flog das Kleidungsstück beiseite, gefolgt von dem gleichfarbigen Shirt, dem es nicht anders erging.

      Als Ahmads Oberkörper endlich frei lag, trat schlagartig Stille ein.

      Tanyel hörte, wie der Doc scharf die Luft einzog. Auch er selbst starrte entsetzt auf das Flechtwerk dünner weißer Narben, das sich über Ahmads Brust zog wie ein feines Spitzengewebe.

      Issam besann sich. Er holte ein Stethoskop und hörte konzentriert den Brustkorb ab, während er beobachtete, wie Tariq einen Schritt näher kam und mit gefurchter Stirn die unzähligen wirren Linien musterte. Obwohl er kein Wort sagte, wusste Tanyel, dass der Chef genau wie der Arzt und er selbst dieses Bild kannte. Keiner von ihnen dreien sah das filigrane Narbengeflecht zum ersten Male.

      "Okay, die Lunge ist verletzt", verkündete Issam, "wahr­scheinlich gebrochene Rippen. Er blutet innerlich." Sein Finger deutete auf eine ebenfalls violett verfärbte Stelle auf Ahmads linker Brust. Mit raschen Handgriffen brachte er das Röntgengerät, das direkt über dem Behandlungstisch hing, in Position.

      Als er dann kurz darauf - auf seinen Schreibtisch gestützt - die fertige Aufnahme am Computerbildschirm betrachtete, verfinsterte sich sein Gesicht.

      "Was ist?", fragte Tariq.

      Sein Freund nahm sich Zeit mit der Antwort. Eine Weile starrte er noch auf das schwarzweiße Bild und kratzte sich mit der Rechten an seinem gepflegten Dreitagebart, dann richtete er sich auf. "Tariq, drück eine große Kompresse auf die Wunde an der Schulter", kommandierte er, "und Tanyel, du musst mir mal assistieren."

      "Was hast du vor?" Der Steward schaute ihn skeptisch an. Er hatte keinerlei medizinische Ausbildung und war dem Arzt bisher nur ein paar Mal bei Kleinigkeiten zur Hand gegangen.

      "Ich werde hier einen Eingriff vornehmen." Issams Zeige­finger tippte auf eine Stelle auf dem Bildschirm. "Und zwar sofort." Mit wenigen Worten erklärte er, was nötig war.

      Tariq runzelte die Stirn und schluckte. Auch Tanyel schien sich nicht sicher, ob er sich für das, was er laut Issams Erklärung zu tun hatte, eignete.

      Doch der ließ keine Diskussion zu. Und er gab ihm auch keine Gelegenheit, sich Gedanken zu machen. Die Zeit drängte.

      Nach zehn Minuten schon waren sie fertig. Erleichtert zog sich der Arzt den Mundschutz unters Kinn und streifte die Handschuhe ab. Sie hatten es geschafft. Die Verletzung an der Lunge war versorgt und Ahmad atmete ruhiger. Noch einmal lauschte er mit dem Stethoskop lange und konzentriert an verschiedenen Stellen von Ahmads Brust, bis er schließlich zufrieden nickte.

      "Das hört sich viel besser an. Hoffentlich bleibt es so. Leg ihm das Wärmevlies über, er ist völlig unterkühlt", wies er seinen Helfer an und wartete, bis Tanyel behutsam und sorg­fältig die dünne, beheizbare Decke über Ahmad gebreitet und an den Seiten festgestopft hatte.

      Dann nahm er Tariq die Kompresse ab und reinigte vorsichtig die rechte Schulter. Unterhalb des Schlüsselbeins kam eine tiefe, fast zehn Zentimeter lange Wunde zum Vorschein, aus der noch immer Blut quoll. Ihre Umgebung war blauviolett verfärbt.

      "Was war das denn?", knurrte der Steward.

      Der Arzt kniff die Augen zusammen. "Für einen Streifschuss sind die Kanten zu glatt." Er beugte sich vor und untersuchte die Verletzung, musste immer wieder neu hervordringendes Blut wegwischen.

      "Du riskierst viel, wenn du die Barriere aufhebst, Tariq", meinte er zwischendurch und begann die Wunden an der Schulter und am Kopf zu nähen.

      Der schüttelte den Kopf. "Ich habe sie nicht aufgehoben. Sie war schon vorher verschwunden."

      Verwundert zog der Doc eine Braue hoch, während er routiniert einen neuen Stich setzte. "Ach so? Hat er sie selbst …? Wo habt ihr ihn eigentlich gefunden?"

      "Im Wald an der westlichen Grundstücksgrenze. Er war auf dem Rückweg von dem Einsatz heute Abend, zu Fuß. Vermutlich hat er in seiner Verfassung gar nicht bemerkt, dass er sie durchschritten hat."

      Jetzt hob Issam den Kopf und warf Tariq einen schnellen Blick zu. "Und er war sicher wieder allein, wie ich vermute." Mit zusammengekniffenen Augen musterte er seinen Freund, nachdem er die erste Naht beendet und sein kleines Tischchen mit den Instrumenten mit einer fast wütenden Bewegung beiseitegeschoben hatte, so dass es scheppernd gegen die Wand stieß.

      Das Schweigen nach seiner Frage war ihm Antwort genug. "Ich verstehe", meinte er vorwurfsvoll. "Erfahr ich, was ihm dort im Schloss passiert ist? Habt ihr ihn da so zurückge­lassen?" Mit einer anklagenden Geste deutete er auf seinen Patienten. "Das ist vielleicht sogar für einen mit seinen Fähigkeiten zu viel! Er hätte dort verbluten


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