GUARDIANS - Das Vermächtnis. Caledonia Fan
Problem", versicherte er. "Ich rufe jemanden an, der auch nachts ins Institut rein kann, und ich gebe ihm deine Nummer. Sag ihm einfach, was du brauchst."
"Gut, ich warte auf seinen Anruf und teste inzwischen Ahmads Blut." Issams Stimme ließ zwar Erleichterung erkennen, aber trotzdem war er noch sehr besorgt. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass Ahmad diese Verletzungen auch ohne seine Heilfähigkeit selbst in den Griff bekommen würde, wenn auch später als sonst.
Einen kurzen Augenblick erwog er, den schwarzen Guardian in ein Krankenhaus bringen zu lassen. Doch alles, was dort getan werden würde, konnte er hier ebenso gut erledigen. Und das Risiko, dass man in der Klinik auf die Besonderheiten in Ahmads Organismus aufmerksam wurde, war groß. Keiner konnte sagen, was sich daraus entwickeln würde. Deshalb entschied er, ihn hierzubehalten. Vorerst zumindest.
"Ich wünschte, er hätte es mir irgendwann einmal erlaubt, ihn zu untersuchen", sprach er leise weiter. "So kann ich jetzt erst damit beginnen. Und das ist schlecht, denn die Zeit drängt. Wir werden sehen, was die Nacht bringt. Morgen früh wissen wir mehr." Er warf noch einen letzten Blick auf den Computerbildschirm, dann ging er wieder hinüber zum Behandlungstisch.
Tariq schluckte trocken. Es fühlte sich an, als wäre sein Mund voller Sand. "Bleibst du heute Nacht bei ihm?"
Der Blick, den Issam ihm über den gerade wieder hochgezogenen Mundschutz hinweg zuschleuderte, zeigte dessen Frust über die eigene Hilflosigkeit. Aber jetzt zusätzlich auch noch Zorn darüber, dass sein Freund ihm offensichtlich zutraute Ahmad allein zu lassen.
"Das fragst du ernsthaft? Ich bin der Arzt hier! Natürlich bleibe ich."
Tariq stand einen Moment unschlüssig. Er spürte Issams Ärger und dass seine unbedachten Worte den Freund verletzt hatten. Dabei bereute er sie schon, kurz nachdem er sie ausgesprochen hatte. Resigniert seufzte er.
"Natürlich. Es tut mir leid, das war eine dumme Frage. Entschuldige bitte." Er zögerte kurz. "Brauchst du mich noch?", fragte er dann leise.
"Nein, danke."
Die Stimme des Arztes hatte ihre Schärfe bereits wieder verloren. Auch er bereute seinen heftigen Ausbruch. Klappernd sammelte er seine Instrumente auf dem kleinen Rolltisch zusammen und legte sie ins Spülbecken. Dann stützte er die Hände auf den Rand, atmete tief durch und drehte sich um.
"Geh ruhig. Ich komme klar hier. Tanyel hilft mir." Er vergewisserte sich mit einem Seitenblick auf den Steward, dass dieser bereitwillig nickte.
"In Ordnung. Dann danke ich euch beiden. Ich weiß Ahmad in guten Händen. Gute Nacht."
Tariq drehte sich um und verließ die kleine Klinik.
Tanyel sah ihm nach und bemerkte stirnrunzelnd, wie Müdigkeit und Erschöpfung seine Schritte schleppend machten.
Er wusste, dass sein Chef nicht gesund war. Doch der sprach nie darüber. Und deshalb hatte er keine Ahnung, was ihm fehlte, obwohl er als Steward sonst mehr über ihn wusste als jeder andere hier im Haus. Ja, er vermutete gar, dass er mehr wusste als Issam, weil er den leisen Verdacht hatte, dass Tariqs Zustand und das, was seine Gesundheit angriff, bei den regelmäßigen Checks des Arztes nicht entdeckt werden konnten.
~~~ TAG 2 ~~~
Mittwoch, 00:05 Uhr
Langsam stieg Tariq die breite Treppe hinauf zu seinen Räumen im ersten Stock. Der weiche Teppich schluckte die Geräusche, die seine Schritte dabei verursachten. Er benötigte kein Licht. Ungehindert fiel das Mondlicht durch das riesige Glasfenster neben der dunklen Holztreppe. Die Schatten der dünnen Quer- und Längsstreben des Fenstergitters zeichneten ein verzerrtes Karomuster auf den hell erleuchteten Bereich der Stufen.
Seine Beine waren schwer und er hatte das Gefühl, es dauerte heute länger, bis er oben ankam. Beide Zeiger seiner teuren Armbanduhr standen nach der Zwölf, Mitternacht war vorüber.
Der Einsatz hatte ein gutes Ende genommen. Yonas befand sich wieder zu Hause. Trotzdem, sie waren nicht ungeschoren davongekommen.
Er selbst hätte dafür Sorge tragen müssen, dass seine Leute, wenn schon nicht unversehrt, dann auf jeden Fall vollzählig zurückkehrten. Er war der Chef. Das mit Ahmad hätte nicht passieren dürfen. Er war extra hinterhergefahren, um so etwas zu verhindern.
In seiner Wohnung angekommen, ging er zuerst zum Telefon, um Will anzurufen. Sein zuverlässigster Mitarbeiter würde dafür sorgen, dass die benötigten Blutkonserven für Ahmad innerhalb der nächsten zwei Stunden da waren, daran hatte er keinen Zweifel.
Beruhigt legte er kurze Zeit später den Hörer auf und ging ins Bad. Während das Wasser in die Wanne rauschte und sein Badezimmer dabei mit dem den aromatischen Duft des Lavendel-Öls füllte, starrte er auf den immer größer werdenden Schaumberg, ohne ihn wirklich zu sehen. Plötzlich merkte er, wie erschöpft er war. Die Schlag auf Schlag auf ihn einprasselnden Ereignisse dieses Abends waren nicht leicht zu verkraften gewesen.
Begonnen hatte alles am Nachmittag, als Imara mit der Nachricht hereinplatzte, dass Yonas entführt worden war.
Der Sechzehnjährige war nach dem Unterricht noch bei einem Lehrer zur Berufsberatung gewesen und Ahmad und sie hatten ihn von der Schule in der Stadt abholen wollen. Aber sie hatten nur seinen verwaisten Rucksack neben dem Schultor gefunden mit einer rätselhaften Notiz daran.
Tariq verließ das Badezimmer, ging zurück zu seinem Schreibtisch und griff nach seinem Handy. Ahmad hatte den Zettel fotografiert und ihm das Foto geschickt. Lediglich zwei Zeilen ohne Unterschrift, nur seltsame Symbole. Zwei Patronen im Zentrum einer Spirale ...
Wie in Zeitlupe griff er danach, nahm ihn auf und las den Text noch einmal. 'Ich habe den Jungen. Komm in das Schloss im Wald', stand dort in Druckbuchstaben, aber von Hand geschrieben.
Er hatte keine Unterschrift gebraucht, um zu erraten, von wem die Botschaft in Wahrheit kam. Mato Rayans kriminelle Aktivitäten machten einen Großteil der Einsätze der Guardians aus. Man hatte ihn bislang nie in Verbindung mit diesen Verbrechen bringen können, dafür war er einfach zu clever. Sein gesellschaftlicher Status als renommierter Wissenschaftler galt als makellos und seine Weste strahlte blütenweiß. Aber sie waren ihm schon manchmal recht nahegekommen. Leider hatten sie es trotz aller Mühen bislang nicht geschafft, sein Hauptquartier aufzuspüren.
Jetzt war er also endlich aus seinem Mauseloch gekrochen und suchte die direkte Konfrontation mit ihm. Aber warum er dafür Yonas, einen seiner Internats-Schüler entführte, nur um ihn gleich darauf wieder abholen zu lassen …? Es konnte nur so sein, dass der Junge ein Lockvogel war. Der Köder, um ihn, den Schulleiter, ins Schloss zu locken.
Die Polizei einzuschalten war nicht in Frage gekommen. Es hätte Yonas in noch viel größere Gefahr gebracht. Rayan war gefährlich und unberechenbar wie eine Viper. Zwei wichtige Menschen hatte er ihm schon genommen und Trajan hätte es vor einem halben Jahr ebenfalls beinahe erwischt.
Er seufzte, denn auch mit diesen Morden ließ sich der Mann nicht in Verbindung bringen. Seine Handlanger, die unter dem Namen Hafenmafia agierten, waren gut ausgebildet und ohne jegliche Skrupel.
Bis heute.
Das Schloss im Wald.
Konnte es sein, dass sie seinen Unterschlupf endlich gefunden hatten? War es ein riesiger Fehler von Rayan gewesen, ihn, Tariq, dorthin zu bestellen? Oder hatte der schon lange vorher beschlossen, dass sein langjähriger Widersacher diesen abgelegenen Ort nicht lebend verlassen würde? Den gut gezielten Energiegeschossen nach war das tatsächlich sein Ziel gewesen.
Müde rieb sich der Chef der Guardians mit den Fingerspitzen die Nasenwurzel. Fragen über Fragen, von denen er zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eine beantworten konnte. Noch hatte er keine Ahnung, was sich aus all dem entwickeln würde. Er musste in aller Ruhe nachdenken, sortieren und planen, wie man jetzt weiter vorgehen sollte. Eines war sicher: nun, da er Mato Rayan einmal gefunden hatte, wäre es unverzeihlich, ihn wieder abtauchen zu lassen. Gleich morgen musste er zuallererst Sadik noch einmal dort hinschicken. Der Ausbilder und frühere Anführer