GUARDIANS - Das Vermächtnis. Caledonia Fan

GUARDIANS - Das Vermächtnis - Caledonia Fan


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schallisolierte Tür, stand man plötzlich in einer Hightech-Welt, die der einer Univer­sitätsklinik durchaus das Wasser reichen konnte, wenn sie auch nur eine Miniaturausgabe davon war.

      Der geräumige Behandlungsraum hatte keine Fenster. Dahinter konnte man durch die gläsernen Trennwände die beiden ebenfalls sehr großzügigen Krankenzimmer sehen. Die Glaswände ermöglichten es Issam, die zwei Betten darin jederzeit und von jedem Punkt aus im Blick haben zu können.

      Und deshalb konnte Trajan jetzt auch sofort sehen, dass der Doc in einer wenig bequemen Haltung auf einem Stuhl im gelben Zimmer saß. Den Kopf hatte er auf seine auf dem Tisch verschränkten Arme gelegt und schlief.

      Leise schloss der blaue Guardian die Tür hinter sich.

      Außer leisen Pieptönen war nichts zu hören. Trajan kannte sie. Sie gehörten zu einer Monitor-Überwachung. Nach diesem Kampf im vergangenen Oktober, bei dem Orell getötet wurde, war er selbst lange orientierungslos zwischen Leben und Tod hin und her gewandert. Die Pieptöne des Monitors waren oft sein einziger Anker in der Welt der Lebenden gewesen. In seinen tagelang ständig schwankenden Wachheitszuständen hatte er sich an ihnen festgeklammert, als könne er so ein endgültiges Abdriften in die Welt des Vergessens verhindern.

      Wenn Ahmad mittels Monitors überwacht wurde, ging es ihm schlecht. Issam war kein Arzt, der seine Patienten verzärtelte. Die Guardians mussten oft die Zähne zusam­menbeißen, wenn er ihre Verletzungen behandelte. In der Klinik blieb nur, wer das Bett hüten und beobachtet oder gar überwacht werden musste.

      Trajan selbst war damals fast sechs Wochen hier gewesen. Kaum einer hatte noch ernsthaft damit gerechnet, dass er zurückkehren würde aus seinem Dämmerzustand. Nur Tiana, seine ältere Schwester. Sie hatte nie die Hoffnung aufgegeben. Keinen Tag war sie von seiner Seite gewichen. Er erinnerte sich nicht daran, aber Tanyel hatte es ihm erzählt.

      Während dieser Gedanken war er langsam weitergegangen und hatte sich dabei umgesehen.

      Im Behandlungszimmer brannte kein Licht. Lediglich der leuchtende Bildschirm des Computers tauchte den Raum in einen fahlen Schimmer. Auf dem Rolltisch lag ein verknüll­tes, blutiges Papierlaken. Aufgerissene Verpackungen von Verbandszeug und leere Plastikflaschen häuften sich auf der Ablage. Der Mülleimer quoll über und auf dem Boden neben der Tür konnte er im Halbdunkel Ahmads Mantel erkennen. Daneben lehnte noch die Trage an der Wand, so wie er sie vorhin hingestellt hatte.

      In der Ecke links hinten befand sich eine Nische mit einem schmalen Notbett. In dem schlief Issam, falls ein Patient mal ständig überwacht werden und er notfalls schnell zur Stelle sein musste. Dort gab es auch eine kleine Treppe zu seinem Labor und seiner Bibliothek im Keller.

      An der offenen Glastür zum gelben Zimmer blieb Trajan stehen. Trotzdem er die Klimaanlage leise summen hörte, war es drückend warm im Raum. Lediglich eine kleine Lampe am Kopfende des Bettes spendete sanftes Licht. Doch sie schien Mühe zu haben, den Bereich, den sie mit ihrem Lichtkegel erfasste, der Dunkelheit im Zimmer zu entreißen.

      Kurz betrachtete er Issam. Der leise schnarchende Arzt sah erschöpft aus. Doch Trajan war sicher, dass er bei der leises­ten Veränderung der Pieptöne oder bei einem Alarm­signal des Monitors augenblicklich aufspringen würde.

      Dann wandte er seinen Blick zum Bett.

      Ahmad lag leicht erhöht, mit bloßem Oberkörper und nur mit einer dünnen Decke bis zur Hüfte zugedeckt. Noch immer war dieses Rasseln in seiner Brust zu hören, wenn er atmete.

      Langsam glitt Trajans Blick über die einzelnen Kabel und Schläuche, das große Pflaster an seinem Kopf und die unför­mige Orthese, die die rechte Schulter und den angewinkelten Arm umschloss. Das von den kinnlangen dunklen Haaren eingerahmte Gesicht unter der Sauerstoffmaske war erschreckend blass. Jemand, sicher war es Tanyel gewesen, hatte es sauber gewaschen. Die linke Hand lag auf dem Laken. Unter den Fingernägeln war noch eingetrocknetes Blut zu sehen ...

      Als er näher ans Bett trat, entdeckte er die dünnen weißen Linien auf der Brust des Gefährten. Entsetzt schnappte er nach Luft.

      Ein leises Geräusch hinter ihm ließ Trajan zusammen­zucken. Wie ein ertappter Dieb fuhr er herum und starrte den Arzt an, der den Kopf etwas zur Seite schob, dann aber weiterschlief.

      Trajan betrachtete den Gefährten erneut. Warum um alles in der Welt hat Ahmad nicht gleich im Schloss schon gesagt, dass er Hilfe braucht, fragte er sich. Zu stolz? Dieser Idiot!

      Plötzlich schoss ihm ein Gedanke in den Kopf. Vielleicht hatte Ahmad ja schon eher nach ihm gerufen und er konnte ihn nur nicht hören, weil es im Speisezimmer so laut zuging? Alle berichteten aufgeregt von ihren Kämpfen, auch er selbst. Es war durchaus möglich, dass Ahmad schon länger versucht hatte ihn zu kontaktieren und er es nur nicht mit­bekommen hatte. Dann wäre er zu einem großen Anteil mit­schuldig daran, dass es ihm jetzt so schlecht ging.

      Das mit dieser Erkenntnis schlagartig aufkommende Schuld­gefühl traf Trajan mit voller Wucht und er biss sich auf die Lippen.

      Hinter ihm ruckte Issams Kopf plötzlich hoch.

      "Was?", murmelte er schlaftrunken und blinzelte einen Augenblick verwirrt. Als er begriff, wo er war, sprang er auf.

      "Trajan? Was machst du denn hier? Habe ich geschlafen? Was ist los?"

      "Ich mache gar nichts", verteidigte sich dieser, hob abweh­rend die Hände und trat einen Schritt vom Bett zurück.

      "Geh wieder ins Bett", knurrte der Arzt und rieb sich gähnend mit der Hand übers Gesicht. "Wenn Tariq erfährt, dass du hier bist, erwürgt er mich."

      "Tanyel weiß es. Er hat gesagt, ich soll ruhig herkommen." Trajan hatte keineswegs vor, sich einfach wegschicken zu lassen.

      "Tanyel ist nicht der Chef", wischte Issam den Einwand einfach beiseite, doch dann stutzte er. "Moment, er hat was?"

      Der blaue Guardian warf dem Arzt einen unsicheren Blick zu. "Er sagte, dass Ahmad momentan nur dunkles Grau zeigt, keinerlei Farbe."

      Issam verengte die Augen. Tanyels Worte sagten mehr über Ahmads Befinden, als der Monitor je preisgeben konnte, und dunkles Grau klang nicht gut.

      "Ich werde hierbleiben und versuchen, ihn zu erreichen." Trajan sah wieder zu Ahmad, als er das sagte, und Issam erkannte, dass der Siebzehnjährige zum gegenwärtigen Zeit­punkt tatsächlich der Einzige zu sein schien, der die Mög­lichkeit dazu hatte. Deshalb widersprach er nicht, obwohl er sich sonst diesen Ton nicht hätte bieten lassen.

      "Dann würde ich kurz mal duschen gehen", seufzte er leise. "Kommst du zehn Minuten allein klar?"

      Trajan zögerte. "Ich weiß nicht ... Was, wenn hier irgendein Alarm losgeht?"

      "Das glaube ich nicht. Er ist stabil. Und ich bleib nicht lang."

      "Okay", willigte Trajan ein, "aber behalt dein Handy bei dir."

      Issam blieb noch einen Moment stehen und musterte das Display des Monitors, dann drehte er sich um, nickte Trajan zu und ging.

      Der blaue Guardian zog sich den Stuhl ans Bett, auf dem Issam eben noch gesessen hatte. Während er Ahmad betrachtete, fiel ihm auf, wie wenig er über den Kameraden wusste, weil der Einblicke in sein Privatleben so gut wie nie erlaubte. Aber ein Ereignis gab es, welches ihm im Gedächt­nis geblieben war. Er wusste nicht mehr den genauen Zeit­punkt und ein paar Wochen lag es mit Sicherheit zurück. Ahmad war damals in der Stadt mit einem Mädchen aneinandergeraten. Von dieser Begegnung oder von der beeindruckenden Person selbst hatte der schwarze Guardian niemandem erzählt. Aber Trajan und Tiana waren an diesem Abend zufällig im Kino gewesen und auf dem Weg zum Taxistand unbemerkt dazugekommen, als sich die beiden gegenüberstanden.

      "Wer ist die denn?", flüsterte Tiana neben ihm, wobei sie dem Wört­chen 'die' einen abfälligen Klang verlieh.

      Trajan schüttelte den Kopf. "Keine Ahnung", gab er ebenso leise zurück. "Ich habe sie noch nie gesehen. Aber ich kann mich ja mal etwas in ihrem Kopf umzuschauen."

      Die Gedanken anderer Menschen zu lesen war seine zweite Gabe


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