WIE SCHATTEN ÜBER TOTEM LAND. S. Craig Zahler
hörte das Geräusch von knisterndem Zunder. Er sah nach links und erkannte, dass Long Clay lachte.
Kapitel 8
Ein umsichtiger Mexikaner
Humberto Calles lehnte seinen Guitarritakoffer an die Wand des Hinterzimmers der Bar, in der er regelmäßig auftrat, und zog seine Taschenuhr aus seiner perlenbesetzten, fransenverzierten Weste. Die Zeiger standen unveränderlich auf elf Uhr siebzehn und neun Sekunden, dem genauen Augenblick, in dem ein achtloses Pferd die Mechanismen zertreten hatte. Als Humberto die Taschenuhr gefunden hatte, eine runde Leiche auf einer Straße in Mexiko-Stadt, wo er sieben seiner Vettern zweimal im Jahr besuchte, hatte er sie eingesteckt und vorgehabt, sie reparieren zu lassen. Zwei Tage später kehrte der Balladensänger nach Nueva Vida zurück und erfuhr, dass seine Mutter, Gabrielle, in jener Nacht allein gestorben war. Er hatte mehrere Monate um sie getrauert und kurz danach seine Frau Patricia mit dem Kind geschwängert, das ihre erste Tochter, Anna, werden sollte.
Der vierundfünfzigjährige Mexikaner glaubte an den Erlöser – und liebäugelte oft mit weniger berühmten Geistern, die nicht ganz so eindrucksvoll gelitten hatten – und machte sich Gedanken über Vorahnungen und verborgene Bedeutungen.
Weil Humberto die Uhr kurz nach Mitternacht gefunden hatte, war er sicher, dass sie am Abend zertreten worden war und nicht um elf Uhr siebzehn und neun Sekunden am Morgen. Es war unwahrscheinlich, dass das kleine Instrument – selbst zerstört – dreizehn Stunden lang unbeansprucht auf einer Hauptstraße von Mexiko-Stadt gelegen hatte. Er wusste, dass seine Mutter in der Nacht gestorben war, in der er die Uhr gefunden hatte, und er fragte sich oft, ob sie möglicherweise genau zu dem Zeitpunkt dahingeschieden war, in dem die Zeiger von jenem deplatzierten Huf angehalten worden waren. Er hielt diese Gleichzeitigkeit für wahrscheinlich und dachte oft über ihre Bedeutung nach.
Letztlich hatte sich Humberto dazu entschieden, das kaputte Instrument nicht reparieren zu lassen. Elf Uhr siebzehn und neun Sekunden war ein Zeitpunkt, über den er sinnieren sollte, für die Ewigkeit eingefroren wie eine Fotografie auf einer kleinen, zerbrochenen Oberfläche.
Allein im Hinterzimmer der Bar klopfte Humberto mit den langen Fingernägeln seiner Zupfhand auf die untätige Taschenuhr, dachte an seine verstorbene Mutter und wartete auf die Amerikaner.
Ein kühler Schatten schob sich über den Tisch und bedeckte das angelaufene Metall. Marietta küsste Humbertos kahlen Oberkopf, stellte ein Glas Rotwein ab und sagte: »En la casa.«
Der Barbesitzer gab dem Künstler des Abends immer einen Drink aus, und Marietta gab Humberto immer einen zweiten, wenn der Boss nicht hinsah.
»Gracias, amigita.«
Die einunddreißigjährige Frau lächelte, lobte seinen Auftritt und fragte nach seinen Geschäftspartnern aus Amerika.
Humberto antwortete, dass er ihnen noch zwanzig Minuten geben würde.
Marietta lächelte ihn an, gab ihm einen nachwirkenden Kuss auf die rechte Wange, einen halben Zentimeter von seinem Mund entfernt, und ging davon.
Wäre Humberto kein glücklich verheirateter Mann, hätte er ein intimes Duett mit der drallen und flirtenden Barfrau getanzt und ihr die zärtliche und geduldige Zuneigung eines vierundfünfzigjährigen Künstlers demonstriert, der Frauen weit mehr wertschätzte als irgendein Hombre ihres eigenen Alters. Er hätte ihr ein wahrhaftes und selbstloses Liebesspiel gezeigt …
Humberto nahm einen großen Schluck vom Rotwein und seufzte über die Prinzipien von Treue und Monogamie, an die er gefesselt war. Er würde seiner Frau für den Rest seines Lebens treu bleiben und er würde nie mehr eine andere Frau liebkosen oder von einer liebkost werden.
Es gab viele Gründe, auf ein Leben nach dem Tod zu hoffen.
Eine bleiche Hand zog das karierte Tuch am Eingang der Bar zurück und ein staubiger Gringocowboy mit einem braunen Hut, lockigem, braunem Haar, einer Waffe an der rechten Hüfte und einem Stirnrunzeln kam herein, von einem hochgewachsenen, blonden Gentleman gefolgt, der einen buschigen Schnurrbart unter seiner großen Nase trug und außerdem einen königsblauen Smoking und eine entzückende kleine Melone. Sie blieben unter dem Kronleuchter stehen, bemerkten die Wachstropfen auf dem Steinboden, machten einen Schritt nach links und musterten das Lokal.
Marietta ging zu den Männern und sagte: »Sie Herren sind hier, um Ojos zu treffen?«
Humberto freute sich, dass sie daran gedacht hatte, seinen Decknamen zu verwenden.
»Si, Señorita«, antwortete der große Gentleman. Er zog seinen Hut, neigte den Kopf und sagte: »Nosotros queremos hablar con Ojos, por favor.« Seine Aussprache war tadellos.
Marietta zeigte auf den Revolver, der an der Hüfte des Cowboys saß. »Ihre pistola. Ich brauche. Sie können nicht Waffe haben hier.«
Der Cowboy betrachtete die Bar, sah wieder zu ihr zurück und hob die Hände. »Nehmen Sie sie.«
Die Barfrau zog die Waffe aus dem Holster. »Sie fragen mich für pistola, wenn Sie gehen. Ich bin Marietta.« Sie steckte die Waffe in ihr rotbraunes Kleid. »Jetzt, ich bringe Sie zu Ojos.«
»Gracias, amiga«, sagte der Gentleman.
Der Cowboy nickte langsam.
Die Frau eskortierte die Gringos an der voll besetzten Bar aus Stein und Ziegeln vorbei, um drei Trunkenbolde herum, die Messer auf ein Brett warfen, das mit einer blauen Kreidezeichnung von einem wütenden Bären verziert war, unter einer großen Holzstatue eines bizarren, dreiköpfigen, heidnischen Gottes her, die der Besitzer in den Badlands gefunden und wie eine Piñata aufgehängt hatte, an einem Tisch vorüber, an dem zwei alte Männer Dame spielten, zwischen zwei langen Bänken voller Hombres hindurch, die betrunken den Refrain eines der Lieder sangen, die der Balladensänger vor zwei Stunden zum Besten gegeben hatte, und drei Stufen hinab, ins tiefer gelegene Hinterzimmer, in dem der Mexikaner saß, den zu treffen die Amerikaner nach Nueva Vida gekommen waren.
Humberto stand auf und streckte dem staubigen Cowboy seine rechte Hand entgegen. »Ich bin Ojos. Sind Sie John Lawrence Plugford oder der Sohn?«
Der Cowboy ergriff die angebotene Hand. »Ich bin der Sohn. Brent.«
Während sie sich die Hände schüttelten, sah Humberto etwas, das entweder Misstrauen oder Abneigung sein konnte, über das Gesicht des Gringos huschen. Sie ließen einander los.
»Ich bin Thomas Weston«, verkündete der Gentleman, als er seine Hand ausstreckte.
Humberto schüttelte sie und sah keinen Ausdruck von Misstrauen oder Abneigung über sein Gesicht huschen.
»Me llamo Ojos.«
Der Balladensänger ließ die Hand des Gentlemans los und wies auf die gepolsterten Hocker, die den Tisch umgaben, der mit roten, braunen und grünen Fliesen verziert war. »Bitte setzen Sie sich.«
Die Gringos nahmen auf den Hockern Platz.
Humberto sah auf die Amerikaner herunter und erkundigte sich: »Was möchten Sie trinken?«
»Gar nichts«, sagte der Cowboy.
Der Balladensänger setzte sich auf einen gepolsterten Hocker den Gringos gegenüber und fragte: »Stört es Sie, wenn ich den Wein trinke, der mir schon ausgeschenkt wurde?«
»Wir sind nich' für'n geselliges Beisammensein hier.«
Humberto wusste, dass Brent Plugford nicht gebildet war.
Der Cowboy legte seinen Hut auf den Tisch, griff unter sein beigefarbenes Hemd, holte einen abgenutzten Umhängebeutel hervor und zog sich dessen Band über den Kopf. »Ihr Gold.«
Humberto nahm den angebotenen Beutel, legte ihn auf den Tisch, öffnete die Schnürnaht, warf einen Blick hinein und erspähte vielfältig funkelnde Nuggets.
»Es wird nicht gefeilscht«, erklärte der Cowboy. »Das ist jedes Krümelchen, das wir haben.«
»Es